© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/16 / 19. Februar 2016

Voreilige Schlüsse
Kriminalität: Der vermeintlich „rechte“ Handgranatenanschlag von Villingen-Schwenningen entpuppt sich als Machtkampf im Sicherheitsgewerbe
Michael Paulwitz

Der Wurf einer Handgranate auf den Wachcontainer einer Asyleinrichtung im baden-württembergischen Villingen-Schwenningen, der Ende Januar politisch-mediale Aufregung ausgelöst hatte, ist aufgeklärt: Zwei Wochen danach hat die Polizei vier Osteuropäer als Tatverdächtige festgenommen. Motiv des Anschlags, bei dem die Granate nicht detonierte, war offenbar ein Revierstreit zwischen rivalisierenden Sicherheitsdiensten. 

Einen „fremdenfeindlichen Hintergrund“ schließen die Ermittler explizit aus. Landes- und Bundespolitiker, die in ersten Reaktionen trotz fehlender Ermittlungsergebnisse einen solchen unterstellt, „Rechtsterrorismus“ markig verurteilt und einen noch schärferen Kampf gegen „rechten“ Extremismus gefordert hatten, sind von den Fakten blamiert, zeigen sich aber uneinsichtig.

Im Zwielicht stehen vor allem Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der seine Landsleute pauschal verdächtigt hatte, „mit militärischen Waffen auf Asylsuchende losgegangen“ zu sein, sowie Wirtschaftsminister und SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid, der den Zwischenfall in eine Reihe mit anderen Angriffen auf Asylunterkünfte gestellt und im SWR indirekt die AfD dafür verantwortlich gemacht hatte, weil der Anschlag „viel mit der Hetze und dem Klima von Haß und Gewalt zu tun“ habe, das „die AfD im Land verbreitet“ habe. CDU-Herausforderer Guido Wolf sprach etwas vager von einem „Anschlag auf die Menschlichkeit“.

Zurückgenommen hat diese Verleumdungen bislang keiner der wahlkämpfenden Landespolitiker, ebensowenig wie die rot-grünen Spitzenpolitiker, die „Sprengkörper auf Flüchtlinge“ (Justizminister Heiko Maas, SPD), „Terrorismus“ (Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius, SPD), „rechten Straßenterror“ (Volker Beck, innenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag), oder eine „neue, erschreckende Kategorie des Hasses“ (Grünen-Bundesvorsitzende Simone Peter) ausgemacht haben wollten. 

Der Freiburger Erzbischof Stephan Burger, der pathetisch den „Anschlag auf Menschen, die bei uns Schutz suchen“, verurteilt hatte, redete sich gar mit einem „es hätte ja so sein können“ heraus: weil es „immer wieder zu fremdenfeindlichen Vorfällen und Übergriffen“ komme, habe seine „grundsätzliche Einschätzung (…) nichts an ihrer Gültigkeit verloren“.

Als Vorwand für einen intensivierten Kampf gegen „rechten Terror“ als Kanzlerinnen-„Chefsache“, wie von Grünen-Chefin Peter gefordert, taugte der Villinger Handgranaten-Zwischenfall nach der raschen Aufklärung durch die Ermittlungsbehörden gleichwohl nicht. Vielmehr lenkt die Affäre auf einen weniger beachteten Aspekt des von der Politik der offenen Grenzen ausgelösten Asyl-Chaos. Das hierfür reichlich ausgeschüttete Steuergeld lockt eine Vielzahl von nicht immer seriösen Geschäftemachern mit schnellem Profit. Nach Recherchen des SWR soll die Firma der angegriffenen Wachleute sich nicht an „Gebietsabsprachen“ der regionalen Sicherheitsunternehmen gehalten haben. 

Die Täter, einige Berichte sprechen auch von Rußlanddeutschen, sollen eigens aus Osteuropa für die „Bestrafungsaktion“ angeworben worden sein. Anfängliche Meldungen, wonach Verbindungen zu der in Villingen-Schwenningen starken Rockerszene bestehen sollen, wurden von der Polizei nicht bestätigt. Der Oberbürgermeister der Stadt, Rupert Kubon (SPD), forderte als Konsequenz, man solle bei der Auswahl der Sicherheitskräfte künftig „genauer hinschauen“. Das zuständige Regierungspräsidium Freiburg hat die Aufträge offenbar „freihändig“ ohne Ausschreibung vergeben.

Erinnerungen an den Anschlag von Düsseldorf

Der Fall erinnert an den – wie sich im nachhinein herausstellte – von muslimischen Immigranten verübten judenfeindlichen Anschlag von Düsseldorf, der 2000 den Anlaß für den vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder ausgerufenen „Aufstand der Anständigen“ bot, an den erfundenen Sebnitzer Skinhead-Mord an einem Jungen oder die angebliche „Ausländerhatz“ von Mügeln. Die Hysterie-Welle wurde diesmal allerdings vor allem von Politikern getragen, die den ungeklärten Fall ohne Rücksicht auf die Bedenken der Ermittler zu einer Kampagne „gegen Rechts“ zu instrumentalisieren versuchten. Die Polizei hatte von Anfang an betont, auch die Spur ins Wachdienst-Milieu zu verfolgen; die verwendete Waffe, eine Handgranate jugoslawischer Bauart mit separatem Zünder, der in diesem Fall offenbar nicht eingesetzt war, wies früh nach Osteuropa.

Nachdem führende Medien auf den von der Politik in Gang gesetzten Zug aufgesprungen waren und von „eskalierendem Haß“ raunten, waren nach der Aufklärung auch besonnenere Kommentare zu hören. So kritisierte der Tagesspiegel die Unsitte, „von den Tatsachen losgelöst“ zu urteilen, und selbst die linke taz tadelte den Bundesjustizminister, der „selbst weiter an der Hysterieschraube dreht“, und mahnte, führende Politiker sollten „sich mit voreiligen Schlüssen in Ermittlungsverfahren zurückhalten“. Selbstkritik in eigener Sache hätte freilich auch nicht geschadet: Unmittelbar nach dem Handgranatenwurf hatte das Blatt noch eine direkte Linie zum „Asylpaket II“ und zu „rechtem Terror“ gezogen.