© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/16 / 19. Februar 2016

Es ist künftig schwierig, reich zu werden
Finanzliteratur: Robert J. Shillers überarbeitetes Werk „Irrationaler Überschwang“ räumt mit gefährlichen Börsenmythen auf
Felix Dirsch

Die Ökonomen George A. Akerlof und Robert J. Shiller sind maßgeblich für die Wende von der neoklassischen Perspektive zu einem revitalisierten Keynesianismus verantwortlich. Die von ihnen gemeinsam verfaßte Studie „Animal spirits“ von 2009 ist nichts weniger als ein Frontalangriff auf die jahrhundertlang dominante Figur des Homo oeconomicus. Die Arbeit wartet mit einer lange verschütteten Binsenweisheit auf: Gefühle sind demnach alles andere als einflußlos im Hinblick auf den Markt. Das ökonomische Handeln wird nicht nur über den Kopf gesteuert, sondern folgt in nicht geringem Maße anderen Triebkräften: Optimismus, Pessimismus, Euphorie, Depression, Hysterie, Panik – so lauten die wahren Steuermechanismen des Marktgeschehens.

Die Börsencrashs 2000 und 2009 genau vorhergesagt

Zuvor ist Shiller mit einer anderen Arbeit bekannt geworden: Im Jahre 2000 veröffentlicht er die Untersuchung „Irrationaler Überschwang“, die schnell zum Bestseller avanciert. Der Grund des Erfolges liegt auf der Hand: Als das Buch erscheint, platzt die New-Economy-Blase. Der Verfasser sagt dies klar voraus. Einige Jahre später wiederholt die Prophezeiung sich nochmals: Auch die Subprime-Blase kommt mit der Lehman-Pleite an ihre Ende. Wieder liegt der Yale-Professor richtig. Natürlich existieren auch jetzt und künftig überbewertete Spekulationsobjekte, die sich überhitzen und auf einmal deutlich an Wert verlieren.

Angesichts der raschen Veränderungen auf vielen relevanten Märkten ist es notwendig, Shillers Opus magnum in neuer Auflage zu präsentieren. Die akuelle Auflage ist in deutscher Übersetzung 2015 herausgekommen. Der Grund für die Aufmerksamkeit, die die Monographie gefunden hat, liegt wohl in der Erwartung mancher Leser, von denen einige wahrscheinlich Möchtegern-Börsianer sind, darin einen Schlüssel für Finanzinvestitionen zu entdecken: Gibt es Gesetzmäßigkeiten und Regeln, die das Auf und Ab bei Aktien-, Immobilien- und Anleihekäufen plausibel machen und nach denen man sich in Zukunft richten kann? Welche wesentlichen Unterschiede im Hinblick auf die Preisbildung bestehen auf diesen unterschiedlichen Märkten? Bekanntlich werden Aktiengeschäfte in kürzester Zeit abgewickelt, während Immobilientransaktionen meist länger dauern. Die klare Botschaft des Wirtschaftsnobelpreisträgers lautet: Selbst bei sorgfältiger Beschäftigung mit der außerordentlich komplexen Thematik ist es auch künftig schwierig, reich zu werden. Insofern werden diejenigen, die praktische Lösungsvorschläge erhoffen, enttäuscht sein.

Das Problem ist exemplarisch an der Entwicklung von Aktienmärkten zwischen 1982 und dem dramatischen Umbruch um 2000 zu erörtern. Warum kommt es in diesem Zeitraum zu einem satten Anstieg der Kurse? Vieles wirkt im Vorder- wie auch im Hintergrund: der deregulierte Kapitalismus, der vergleichsweise niedrige Zinsen beschert, der stürmische Aufbruch im Computer- und Internetbereich, der der Vorstellung einer „neuen Ära“ Nachdruck verleiht, die immer stärkere Nachfrage nach Aktien, der hohe Beschäftigungsstand, der noch eine Konsequenz des Baby-Booms der Nachkriegszeit ist, eine Zeit relativer Stabilität, jedenfalls vor 2001 und noch einiges mehr. Jedoch sind diese Faktoren im einzelnen (was ihren Anteil an dem Aktien-Höhenflug anbetrifft) schwer zu gewichten. Sie wirken noch zu einem Zeitpunkt, als sich Verluste bemerkbar machen. Schon die schiere Zahl für die Gründe der Preisbildung spricht gegen die Möglichkeit genauerer Berechnung und Vorhersage der Preise. Dazu kommen weitere Effekte, etwa ein komplizierter Rückkoppelungsmechanismus. Die Dynamik von Feedback-Schleifen ist schwer zu durchschauen. Die nichtlineare Chaos-Theorie versucht (mit mehr oder weniger Erfolg) eine Formalisierung dieser Zusammenhänge. Natürlich ist die Angelegenheit im Detail noch komplexer. Bekanntlich steuern Nachrichten das Börsengeschehen nicht unmaßgeblich. Weiter ist die Psychologie wichtig, der Shiller ein ausführliches Kapitel widmet. Glücksritter beeinflussen die Preise nicht nur marginal, ebenso das Herdentierverhalten.

Den Markt demokratisieren?

Shiller hat bereits in früheren Analysen sein primäres Ziel klar herausgestellt: Das übergreifende Thema seiner Arbeiten ist es, die Funktionsweisen des Marktes zu demokratisieren und zu humanisieren. Das bedeutet, daß echte (nicht fiktiv-abstrakt angenommene) Menschen instand gesetzt werden, individuell bedeutsame Risiken zu bewältigen und die persönliche Entwicklung der Wirtschaftssubjekte zu fördern.

Bereits diese Absicht belegt, daß der Gelehrte, der an der Yale-Universität in Connecticut tätig ist, zu den Verhaltensökonomen zählt, die seit über drei Jahrzehnten den schematischen Rationalitätsannahmen der neoklassischen Richtung tatsächliche Experimente entgegenhalten, die derartige implizite Voraussetzungen widerlegen. Der Kontrast zu „neoliberalen“ Intentionen, die den einzelnen und die entscheidenden Institutionen marktkonform machen wollen, könnte offenkundiger nicht sein.

Shiller legt eine in ihrer Differenziertheit beeindruckende Abhandlung vor, die am Ende noch durch seine Stockholmer Nobelpreisrede von 2013 über „Spekulative Wertpapierpreise“ ergänzt wird. Obwohl sich der Autor um eine verständliche Sprache bemüht, sind die Analysen an etlichen Stellen nicht leicht zu lesen. Einige Formeln vereinfachen die Thematik nicht unbedingt. Ob die Handreichungen im konkreten Tagesgeschäft reichen, wird sich allerdings erst in einigen Jahren zeigen. Allzu großer Optimismus dürfte sich aber verbieten.

Robert J. Shiller: Irrationaler Überschwang. Plassen Verlag, Kulmbach 2015, 432 Seiten, gebunden, 29,99 Euro