© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/16 / 19. Februar 2016

Suche nach dem Saubermann
Fifa: Mit der Neuwahl des Präsidenten des skandalträchtigen Weltfußballverbandes hoffen viele auf einen Neuanfang
Christian Schreiber

Spötter behaupten, Gianni Infantino hätte seine bisher größten Auftritte als Lotto-Fee gehabt. Immer wenn bei Auslosungen zu europäischen Fußball-Wettbewerben die Lostrommel gerührt wurde, trat der glatzköpfige Mittvierziger in Erscheinung, erklärte das Prozedere und rührte schließlich die Trommel. Läuft alles nach Plan, könnte der 45jährige Schweizer, der fünf Sprachen fließend spricht, am 26. Februar beim Wahlkongreß der Fifa zum mächtigsten Mann des internationalen Fußballs aufsteigen.

 Bisher ist Infantino Generalsekretär des europäischen Verbands Uefa, er galt als engster Vertrauter und rechte Hand des Präsidenten Michel Platini. Der wiederum wurde in den vergangenen Jahren nicht müde, sich als Saubermann aufzuspielen, um seinen ehemaligen Mentor Sepp Blatter vom Thron des Weltverbands Fifa zu stoßen. 

Platini bestreitet alle Unregelmäßigkeiten 

Das Duo „Blattini“ bildete über Jahre eine Schicksalsgemeinschaft. Der charmante Franzose, der bis heute als einer der besten Fußballer der Welt gilt, hielt dem windigen Schweizer den Rücken frei. Blatter galt dagegen als Inbegriff für Vetternwirtschaft und Korruption. Platini schützte den Fifa-Boß so lange, bis es an der Zeit schien, in seine Fußstapfen zu treten. Den günstigen Zeitpunkt sah er im vergangenen Spätsommer gekommen. 

Da soll Platini dem damals noch amtierenden Fifa-Chef mit Gefängnis gedroht haben. „Er saß während des Mittagessens beim Fifa-Wahlkongreß neben meinem Bruder“, berichtete Blatter der niederländischen Zeitung de Volkskrant zufolge. „Er sagte: Berichte Sepp, daß er sich vor der Wahl zurückziehen muß, sonst geht er ins Gefängnis.“ 

Blatter wurde zwar noch einmal wiedergewählt, mußte aber nur wenige Monate später ankündigen, daß er Ende Februar den Weg zu einer Neuaufstellung freimachen wolle. Zu viele pikante Details über das Finanzgebaren des Schweizers waren ans Tageslicht gekommen. 

Los ging es schon bei der Präsidentschaftswahl 1998. Der damalige Generalsekretär Joseph Blatter gewinnt gegen Uefa-Präsident Lennart Johansson kurz vor dem Beginn der Weltmeisterschaft in Frankreich. 

Es ist ein offenes Geheimnis, daß Platini, damals Chef des Organisationskomitees (OK)  in Frankreich, eifrig die Trommel für Blatter gerührt hatte.  Bis heute stehen Vorwürfe über angebliche Zahlungen von je 50.000 Dollar an afrikanische Delegierte in einem Pariser Hotel im Raum. Blatter weist dies bis heute zurück, doch die Finanzskandale ziehen sich wie ein roter Faden durch seine Amtszeit. Fest steht, daß Blatter seine Kontakte nutzte, um Platini zur Johansson-Nachfolge zu verhelfen. 

Bei der lukrativen Vergabe der WM-Turniere soll es traditionell unseriös zugegangen sei. Den Zuschlag für 2018 und 2022 erhielten Rußland und Katar. Stets war von Manipulationen und Schwarzzahlungen die Rede. Teilweise war die Vetternwirtschaft offensichtlich. So erhielt Platinis Sohn einen lukrativen Job im Organisationskomitee des Scheichtums Katar. 

In die Ecke gedrängt, machte Blatter dies öffentlich. Und es gibt viele Kenner der internationalen Fußball-Szene, die glauben, daß Blatter am Ende auch Platini hochgehen ließ. Belegt ist, daß  Blatter 2011 eine Zahlung von zwei Millionen Schweizer Franken an Platini billigte, ohne daß es einen schriftlichen Vertrag gegeben habe. 

Platini bestreitet Unregelmäßigkeiten und erklärte wiederholt, das Geld stehe ihm als Berater Blatters zwischen 1998 und 2002 rechtmäßig zu. Doch die Ethik-Kommission des Weltfußball-Verbands sah dies anders. Die Ermittler vermuteten Schmiergeld für Blatters Sieg bei der Präsidentschaftswahl im Sommer des gleichen Jahres und sperrten die beiden Funktionäre für acht Jahre. Beide kündigten zwar juristische Schritte gegen diese Strafe an, gaben aber schließlich ihren Verzicht auf eine Kandidatur am 26. Februar in Zürich bekannt. 

Doch die Sache hat einen Pferdefuß. Denn noch ist Sepp Blatter offiziell gar nicht zurückgetreten. Und es gibt weder mündlich noch schriftlich eine verbindliche Rücktrittserklärung des Schweizers. Sein Brief vom 5. Juni 2015, welcher der Schweiz am Sonntag vorliegt, reicht als solche nicht aus, da er kein Rücktrittsdatum nennt. 

Diesen Brief schickte Blatter damals den 209 Fifa-Mitgliedsverbänden. Das Blatt berichtet weiter, daß nur der Wahlkongreß mit einer Dreiviertelmehrheit  die Abwahl Blatters beschließen könne, sofern dieser nicht zuvor doch noch reinen Tisch mache. 

Da Blatter aufgrund der Sperre sein Amt aber nicht ausüben kann, könnte die Fifa streng juristisch gesehen, künftig sogar zwei Präsidenten haben. Kenner der Fußball-Szene vermuten, daß Blatter diese juristische Grauzone nutzen könnte, um einen letzten großen Auftritt zu haben, um seinen Rücktritt vor Ort medienwirksam zu erklären. Sonderlich von Schuldgefühlen geplagt scheint er ohnehin nicht zu sein. „Es tut mir leid, daß ich immer noch ein Punchingball bin“, sagte Blatter nach Bekanntwerden seiner Sperre. „Es tut mir leid für den Fußball. Es tut mir leid für die Fifa. Und es tut mir leid für mich.“

Mit einer gewissen Genugtuung dürfte der Schweizer verfolgt haben, daß sich viele seiner potentiellen Nachfolger durch die Enthüllungen der vergangenen Monate selbst ins Abseits gestellt haben. Deutschlands Fußball-Kaiser Franz Beckenbauer galt vielen als Wunschkandidat. 

Doch ausgerechnet Blatter hatte in den vergangenen Jahren immer wieder mehr oder weniger unverhohlen darauf hingewiesen, daß es bei der Vergabe der Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland auch nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. 

Gianni Infantino gilt als Favorit der Europäer 

Beckenbauer war damals Chef der deutschen Bewerbergesellschaft und hat als solcher eine  bis heute ungeklärte Finanztransaktion in Höhe von zehn Millionen Schweizer Franken zu verantworten. Nach Darstellung des DFB überwies Ex-Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus diese Summe im Jahr 2002 für das WM-OK an den Weltverband Fifa. Wer genau das Geld erhielt, ist ungeklärt. 2005 soll das Geld an Louis-Dreyfus zurückgezahlt worden sein. Der Betrag wurde vom WM-Organisationskomitee zur Tarnung als Beitrag für eine Fifa-Gala deklariert, die später nie stattfand. 

Diese Ermittlungen dauern derzeit noch an, haben aber dafür gesorgt, daß das Tischtuch zwischen Lichtgestalt Beckenbauer und dem DFB zerschnitten ist. Dessen Präsident Wolfgang Niersbach, den ebenfalls viele als Nachfolger von Blatter gesehen hätten, mußte seinen Posten mittlerweile räumen. Als damaliger Generalsekretär des OK hatte er Kenntnis von der Zahlung.

So blieb am Ende wohl nur „Los-Fee“ Infantino als ein wählbarer europäischer Kandidat. Insgesamt gibt es fünf Bewerber. Der 57jährige Franzose Jerome Champagne wartet als einziger mit einem Wahlprogramm auf. Er fordert mehr Transparenz und Entwicklung, hofft unter seiner Führung auf eine „starke, demokratische, respektierte und proaktive Fifa“. Allerdings arbeitete er bereits von 1999 bis 2010 in verschiedenen beratenden Funktionen für die Fifa, war ein enger Vertrauter von Blatter. Zudem fehlt ihm die Unterstützung der Uefa, die sich auf Infantino festgelegt hat.  

Ebenfalls nur Außenseiter ist Prinz Ali bin al-Hussein aus Jordanien. Im internationalen Sport gilt der in Amman geborene Adlige, der in den USA und Großbritannien studierte, als bestens vernetzt. Von sich behauptet er, der einzige Kandidat zu sein, der der „Korruption im Weltfußball mit Mut entgegentritt“. Doch nicht einmal sein asiatischer Kontinentalverband steht hinter ihm. 

Als große Unbekannte gilt der Südafrikaner Tokyo Sexwale, der sogar von Franz Beckenbauer in höchsten Tönen gelobt wurde. „Er hat zwar eine andere, eine politische Vergangenheit, aber er kennt sich im Sport aus. Er hat den Geruch der Neutralität und deswegen glaube ich, daß er eine gute Lösung wäre.“ In seiner Heimat war er 13 Jahre lang zusammen mit Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela inhaftiert und leitet derzeit eine Fifa-Beobachtungskommission für Israel und Palästina. Große Skandale kann man ihm bis heute nicht nachweisen, allerdings bezeichnet er Amtsinhaber Blatter als Freund. 

Top-Favorit neben Infantino ist Scheich Salman bin Ibrahim al-Khalifa aus Bahrain. Der 50jährige ist derzeit Präsident des Asiatischen Verbands. Menschenrechtler werfen seiner Familie vor, an der Niederschlagung von Anti-Regierungsprotesten beteiligt gewesen zu sein. Zudem soll er als Präsident des bahrainischen Verbands Mitschuld an der Inhaftierung und Folter von Fußballern tragen, was er vehement bestreitet. Al-Khalifa gilt als gewiefter Taktiker und hat unlängst eine weitreichende Kooperation mit dem afrikanischen Verband abgeschlossen. Von dort kommen am 26. Februar viele Stimmen, so daß der Scheich kurz vor der Wahl leicht favorisiert sein könnte. 

Es winkt ein Gehalt, das Topmanager erblassen läßt 

Wahlberechtigt sind mit je einer Stimme  alle 209 Mitgliedsverbände der Fifa. Diese verteilen sich derzeit auf die sechs Konföderationen: Afrika 54, Asien 46, Europa 53, Nord- und Mittelamerika 35, Ozeanien 11, Südamerika 10. Im ersten Wahlgang sind zwei Drittel der Stimmen für die Wahl erforderlich (derzeit 140). 

Im zweiten Wahlgang genügt eine einfache Mehrheit von 105 Stimmen. Der Deutsche Fußball Bund wird für den amtierenden Uefa-Generalsekretär Infantino votieren, wie die meisten Europäer und der Großteil Südamerikas. Auch auf einige Abtrünnige aus Afrika kann Infantino möglicherweise hoffen. Denn die europäischen Verbände gelten mit ihren großen Sponsoren im Rücken als äußerst attraktiv für Geschäfte hinter den Kulissen. 

Zudem will Infantino die Teilnehmerzahl bei Weltmeisterschaften von 32 auf 40 erhöhen. In Europa gefällt dieses „Geschenk an Afrika“ zwar nicht jedem, aber mangels Alternative hat er diese Stimmen sicher. Der neue Fifa-Präsident erhält auf jeden Fall ein Gehalt, welches selbst Top-Manager vor Neid erblassen läßt. Zwar gilt das Salär des „Fußball-Königs“ als gut gehütet, aber der Präsident des Schweizer Erstligisten FC Sion, Christian Constantin, ein enger Freund Blatters, ließ Anfang November die Katze aus dem Sack. Acht Millionen Euro erhält der Fifa-Präsident. Für die „Los-Fee“ Infantino wäre dies ein ordentlicher Sprung, erhält er doch als Generalsekretär der Uefa geschätzt „nur“ 1,5 Millionen Euro.