© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/16 / 19. Februar 2016

Musik querbeet
Eurovision Song Contest: Freunde zeitgenössisch-kommerzieller Klänge fiebern für den Vorentscheid
Mario Jacob

Voller Stolz präsentierte der Norddeutsche Rundfunk (NDR) am 19. November einen der erfolgreichsten Künstler Deutschlands: Xavier Naidoo soll Deutschland beim Eurovision Song Contest (ESC) 2016 in Stockholm vertreten. Doch dann kam alles ganz anders. Schon kurz nach Bekanntgabe brach ein Empörungssturm in den sozialen Netzwerken aus. Kritiker warfen Naidoo Homophobie, Rechtspopulismus und Antisemitismus vor. Auch 40 festangestellte Redakteure des NDR kritisierten die Entscheidung in einem internen Brief. Am 21. November erklärte Thomas Schreiber, ARD-Unterhaltungskoordinator und Leiter des Programmbereichs Fiktion und Unterhaltung im NDR, lapidar: „Die laufenden Diskussionen könnten dem ESC ernsthaft schaden“ (JF 49/15). Aus diesem Grund werde Xavier Naidoo nicht für Deutschland in den Ring steigen.

Nach der Bruchlandung mit ihrem Alleingang setzen die NDR-Verantwortlichen nun wieder auf den traditionellen Weg und lassen die Zuschauer in einem Vorentscheid am 25. Februar (ARD 20.15 Uhr) bestimmen, wer am 14. Mai nach Stockholm fahren darf.

Sieben von zehn deutschen Interpreten singen englisch

Diesmal schwärmt Schreiber von einer ungeheuren „Bandbreite“. So nimmt sich Barde Alex Diehl die „Haßkommentare“ im Internet zu den Attentaten in Paris vor. Den „Sound für ein weltoffenes und modernes Deutschland“ propagiert das sphärisch daherkommende „Night-Drive-Popper“-Duo Keøma. Nicht fehlen darf Grand-Prix-Urgestein Ralph Siegel. Er komponierte und produzierte das Lied „Under The Sun We Are One“ für die 19jährige Laura Pinski. Die Düsseldorferin singt davon, daß „wir irgendwo alle eins sind. Egal ob ärmer, reicher, krank oder gesund“.

Schlagersternchen Ella Endlich will dagegen Lebensfreude verbreiten und vor allem auf deutsch singen – sieben der zehn Interpreten bevorzugen Englisch. Das sei ihr das „Wichtigste“ gewesen, erklärt die Berlinerin. „Ich hätte mich niemals hingestellt mit einem englischen Lied. Das ist sicherlich was Besonderes und auch etwas, was das Publikum honorieren wird.“

Auf die europaweite Unterstützung der Metal-Fans setzt dagegen der Sänger des Rockopern-Projektes Avantasia, Tobias Sammet. Es sei gerade auf Werbetour für das neue Avantasia-Album „Ghostlights“ (JF 7/16) in London, Stockholm und Helsinki gewesen, und überall hätten ihn die Radiostationen auf den ESC angesprochen, erklärt der 38jährige. An jedem Ort sei betont worden: „Wenn ihr nach Stockholm fahrt, dann habt ihr unseren Support sicher.“ In einem Sender in Großbritannien hätten ihm die Mitarbeiter zugesichert, für Stockholm eine Aktion „Vote for Metal“ ins Leben zu rufen.

Sammet zeigt sich vor allem erfreut darüber, vor so großem Publikum spielen zu dürfen. Metal habe zwar wahnsinnig viele Fans auf der ganzen Welt und mache weltweit einen großen Teil des Unterhaltungsvolumens aus. Trotzdem werde die Musik in Deutschland von den Medien „fast totgeschwiegen“. Daß eine Band wie Avantasia in Brasilien vor 8.000 Zuhörern spielt oder in Arenen in Rußland, das käme in den Medien nicht vor, unterstreicht der Sänger und Komponist, der mit über drei Millionen verkauften Tonträgern und über 600 Konzerten in fast vierzig Ländern zu den international erfolgreichsten Musikern Deutschlands zählt.

Eins ist Sammet aber wichtig: „Das ist ein Song Contest und keine Stuntshow. Soll ich da jetzt mit dem Motorrad über sieben Autos springen? Es geht doch um Musik. Das spiegelt auch unsere Unterhaltungsbranche heutzutage wider, da gibt’s oft riesige Bühnen, Trapezkünstler, die von links nach rechts fliegen.“ Manchmal habe er das Gefühl, diese großen Shows sollten von schlechter Musik ablenken. „Ich will kein großes Brimborium, ich will da hingehen und meinen Song spielen. Alles andere lenkt nur ab“, unterstreicht der Fuldaer. 

Auf Brimborium verzichtet die Band Gregorian in ihren Mönchskutten nicht. Im Gegenteil: „Wir haben sehr aufwendig inszenierte Shows, und ein paar Highlights werden wir komprimiert auf drei Minuten verbraten. Also Feuer, Laser, das ganze Programm“, läßt Gregorian-Produzent Frank Peterson verlauten. Mit ihren choralen Cover-Versionen bekannter Popsongs sind Gregorian seit sechzehn Jahren weltweit erfolgreich. Entsprechend optimistisch zeigt sich Peterson: „Wir haben noch nie eine Show gespielt, bei der wir nicht am Schluß Standing Ovations bekommen haben.“

Und Xavier Naidoo? Der nimmt seinen Rauswurf gelassen und besingt nun mit den Söhnen Mannheims den Untergang des „Babylon-Systems“ und resümiert: „Nennt mich Staatsfeind“.