© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/16 / 26. Februar 2016

„Die Bürger sind froh, daß es uns gibt“
Nach dem Ausscheiden Bernd Luckes ist er neben Frauke Petry der neue Mann an der Spitze der AfD. Der Ökonom Jörg Meuthen will die Partei am 13. März in Baden-Württemberg zum Erfolg führen
Moritz Schwarz

Herr Professor Meuthen, sind Sie ein Rechtspopulist?

Jörg Meuthen: So ein Unfug.

Fühlen Sie sich durch den Vorwurf persönlich getroffen?

Meuthen: Nein, ich weiß ja, daß er nicht wahr ist. So etwas muß man wohl aushalten, wenn man Politik macht.  

Wie sehen Sie sich selbst? 

Meuthen: Gesellschaftspolitisch würde ich mich als aufgeklärt-konservativ und wirtschaftspolitisch als ordoliberal bezeichnen – sprich, so wie früher einmal CDU und FDP waren. 

Kritiker sehen Sie als bürgerliches Aushängeschild einer radikalen Wutbürgerpartei. Sind Sie nicht repräsentativ für die AfD?

Meuthen: Ich kenne die Partei längst sehr gut, und ganz überwiegend treffe ich dort ganz normale, gemäßigte und gesittete Menschen, die aus einem seriösen beruflichen Umfeld kommen – sehr viele sind Akademiker. Natürlich gibt es bei 18.000 Mitgliedern auch einige, die etwas randständigere Positionen einnehmen. Es sind aber die Medien, die diese besonders herausstellen und so ein nicht repräsentatives Bild zeichnen.

Nach der Logik der Lehre vom Wandel der AfD von der eurokritischen Professorenpartei zur rechten Protestformation hätten Sie diese mit Bernd Lucke verlassen müssen.

Meuthen: Ich war von Beginn an ein Gegner des von Lucke initiierten „Weckruf“, habe statt dessen versucht, die Partei zusammenzuhalten und prophezeit, daß eine Neugründung aus der AfD heraus scheitern würde. Heute sehen wir, daß sich Luckes Neugründung Alfa tatsächlich im demoskopisch irrelevanten Bereich bewegt. Vor allem aber kann ich nicht bestätigen, daß es diesen Wandel gegeben hat. Die AfD hat weder ihre akademische Expertise verloren – zum Beispiel haben fünf der sechs Mitglieder der Sprecherebene des Landesvorstandes Baden-Württemberg einen akademischen Titel. Noch ist sie nicht mehr die eurorettungskritische Partei der Anfangszeit – nur dominieren derzeit andere Themen die politische Debatte in Deutschland. Noch haben wir mit dem Weggang Bernd Luckes unseren „liberalen Flügel“ verloren. Lucke war – übrigens nach eigenem Bekunden – nie ein Liberaler. Er hat sich selbst vielmehr immer als konservativ definiert und zurückgewiesen, ein Liberaler zu sein. Und auch wenn das in den Medien anders dargestellt wird, Beatrix von Storch etwa ist inhaltlich viel liberaler als Lucke. Storch – wie auch ich – wollen etwa deutlich weniger Staat. Lucke hat das nie geteilt, er wollte nicht weniger Staat, sondern diesen nur anders gestalten.      

Heute schmäht Lucke die Partei als „radikal“, „rechts“ und „inhuman“. Aus seiner Sicht hat sich die AfD durchaus verändert.

Meuthen: Daß er das nach seiner Trennung aus persönlichen Gründen so sieht, verstehe ich. Teilen kann ich das nicht. 

Muß man sich aber nicht wundern, daß mancher Ihnen Populismus unterstellt, wenn der AfD-Vizevorsitzende Alexander Gauland etwa sagt, die Flüchtlingskrise sei für die Partei „ein Geschenk“?

Meuthen: Diese Äußerung wird immer wieder zitiert. Tatsächlich aber ist sie aus dem Zusammenhang gerissen. Gauland hat nicht etwa zum Ausdruck gebracht, daß er sich über diese Krise freut. Sondern hat lediglich sachlich festgestellt, daß Fehler der Regierung – hier die Politik der Kanzlerin, die Grenzen zu öffnen – per se immer ein politisches „Geschenk“ für eine Opposition sind.

Die AfD ist also keine populistische Partei?

Meuthen: An sich ist Populismus – „dem Volk aufs Maul zu schauen“ – in einer Demokratie nichts Falsches. Allerdings wird er bei uns zum einen in dem Sinne gebraucht, Wählern ohne eigene Überzeugungen nach dem Munde zu reden, Hauptsache man hat Erfolg. Und genau das tun wir nicht. Vielmehr hat gerade die AfD sehr klare und keinesfalls beliebige Überzeugungen. Zum anderen meint Populismus heute, einfache Antworten auf komplizierte Probleme anzubieten. Auch das trifft auf uns nicht zu. Weder in der Euro- noch in der Flüchtlingskrise haben wir einfache Antworten präsentiert. Nur müßten sich die Medien unsere Vorschläge auch einmal anschauen. Stattdessen diskutieren sie lieber über einen angeblichen „Schießbefehl“. Allerdings möchte ich klarstellen, daß man auch da nicht verallgemeinern darf: Es gibt durchaus auch faire Berichterstattung über die AfD, und nicht alle Journalisten sind voreingenommen. Deshalb bin ich auch gegen Schlagworte wie „Lügenpresse“, weil das so pauschal eben auch nicht stimmt.  

Wenn die AfD eine normale Partei ist, warum wird sie dann nicht so dargestellt? 

Meuthen: Betrachten Sie politischen Wettstreit als das, was er im Grunde auch ist, ein Wettbewerbsprozeß. Kein Unternehmen möchte Konkurrenz – das gleiche gilt für etablierte Parteien. Deshalb auch diese unglaublichen Äußerungen, etwa von Sigmar Gabriel, der uns „rechtsextremistisch“ nennt und sich zu der abstrusen Behauptung versteigt, wir wollten „eine völkische Gesellschaft“. Ehrlich gesagt, ich kann mir nicht vorstellen, daß er das selbst glaubt. Ich halte das eher für eine kalte Strategie der Verunglimpfung. 

Allerdings bringen auch die „Welt“ oder die „FAZ“ die AfD in Zusammenhang mit einer „völkischen“ Bewegung.  

Meuthen: Das soll uns dann wohl in die Nähe des Nationalsozialismus rücken. Wie absurd! Schon, weil wir Freunde Israels sind und froh und dankbar für das jüdische Leben in Deutschland. Auch haben wir in unseren Reihen einen jüdischen Landtagskandidaten für einen der Stuttgarter Wahlkreise. Wie soll das bitte schön mit völkischen und antisemitischen Haltungen zusammengehen? 

EU-Kommissar Günther Oettinger würde sich sogar lieber erschießen, als etwa mit Frauke Petry verheiratet zu sein.  

Meuthen: Nun ja, auch hier rät die AfD vom Schußwaffengebrauch ab. Und Frau Petry ist über diese Ablehnung vermutlich tief betrübt, weil Herr Oettinger ja bekanntlich ein echter Womanizer ist – besonders, wenn er englisch spricht. Aber im Ernst: Man fragt sich manchmal wirklich, was in solche Leute gefahren ist. 

Allerdings stellt sich schon die Frage, warum Frau Petry im Interview mit dem „Mannheimer Morgen“ überhaupt angefangen hat, über Schußwaffen zu sprechen. Danach gefragt wurde sie nämlich nicht. 

Meuthen: Jeder macht mal einen Fehler, davor ist keiner gefeit. Frau Petrys Äußerung war unglücklich, ja. Aber: Niemals hat sie gefordert, auf Flüchtlinge zu schießen. Im Gegenteil, sie hat ausdrücklich gesagt, daß sie alles tun möchte, um genau dies möglichst zu verhindern. Wenn dennoch immer wieder die Rede davon ist, die AfD hätte einen „Schießbefehl“ gefordert, dann ist das schlicht nicht wahr. Dieser angebliche Schießbefehl ist eine reine Erfindung der Medien. Davon kann sich jeder überzeugen, der den Wortlaut des Interviews nachliest. Und noch einmal: Der Parteivorstand hat in einer Erklärung klipp und klar richtiggestellt, daß die AfD natürlich nicht auf unbewaffnete Migranten schießen lassen will. Das wäre auch komplett gegen das Gesetz.

Wie sehr schadet Ihnen der Fall?

Meuthen: Nach meiner Wahrnehmung ist der Schaden zum Glück geringer als gedacht. Ich erlebe, daß das Interesse an diesen Aussagen merklich abflaut.

Inwiefern? Denn kaum ein Medienbeitrag über die AfD, in dem nicht auch von „Schießbefehl“ die Rede ist.

Meuthen: Natürlich versuchen vor allem unsere Gegner, das am Kochen zu halten. Gradmesser ist für mich aber, inwiefern das bei den Bürgern noch Thema ist, und das erlebe ich im Straßenwahlkampf als eindeutig rückläufig.

Auch wenn die AfD laut Umfragen stabil bei zwölf Prozent liegt, fürchten Sie nicht, die Sache könnte zu einer Verschiebung Ihrer Klientel im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung führen? Sprich, bürgerliche Wähler wenden sich ob der „Schießbefehl“-Unterstellung ab, dafür wenden sich Ihnen Wähler zu, die mit einem „Schießbefehl“ kein Problem haben.

Meuthen: Unsere Klientel sind die vielen vernünftigen und besonnenen Bürger, nicht ein paar durchgeknallte ausländerfeindliche Radikale. Die sollen wählen, wen sie wollen, wir sind nicht deren Partei.

Die Schießbefehl-Affäre hat den Wahlkampf nicht verändert?

Meuthen: Nicht auf der Straße. Natürlich gibt es dort auch Bürger, die deutlich ihre Ablehnung kundtun, aber es überwiegen klar die positiven Erfahrungen. Über mangelnden Zulauf und Zustimmung von seiten der Bürger können wir nun wirklich nicht klagen. Viele äußern, wie froh sie sind, daß es uns gibt. 

Laut Umfrage befürworten allerdings fünfzig Prozent der Deutschen eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz.

Meuthen: Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz müßte auf Anhaltspunkten dafür, daß wir verfassungsfeindlich seien, basieren. Das Gegenteil ist aber richtig: Gerade die AfD ist die Partei der Rechtsstaatlichkeit und des Grundgesetzes. Fehlende Grundgesetzestreue ist eher bei unseren politischen Gegnern festzustellen, wie ihnen ja auch allenthalben von führenden Staatsrechtlern attestiert wird. Wer wäre hier also wohl eher zu beobachten?      

Manche Bürger trauen sich nicht, zu AfD-Veranstaltungen zu gehen, aus Angst, dort Opfer der Gewalt von Gegendemonstranten zu werden. Ist das ein Problem? 

Meuthen: Ja – allerdings kann ich versichern, daß die Polizei alles sehr gut abschirmt und deshalb eigentlich keine Gefahr besteht. Wir hatten bisher noch nie wirkliche Gefahr für Leib und Leben in unseren Veranstaltungen, die meist sehr gut besucht sind. Das wesentlich größere Problem ist, daß wir ständig um Veranstaltungsorte kämpfen müssen, da uns Räume, Hallen, Gaststätten gekündigt werden, oft weil die Betreiber unter Druck gesetzt werden. 

Von wem?

Meuthen: Vor allem von der politischen Konkurrenz, ganz konkret zum Beispiel von SPD und Grünen. Mitunter ist es aber auch der Bürgermeister, etwa in Baden-Baden oder Augsburg. Was mir beim Thema Gewalt aber wirkliche Sorgen macht, ist nicht die Sicherheit bei unseren Wahlkampfveranstaltungen, sondern die unserer Parteimitglieder. Immer wieder werden AfD-Funktionäre bedroht, Hauswände beschmiert, Autos beschädigt oder sogar angezündet. Trauriger Höhepunkt bisher ist der mutmaßliche Beschuß eines unserer Plakatierer mit einer Gaspistole in Karlsruhe. So etwas macht schon erhebliche Sorgen. 

Bekommen Sie Drohungen?

Meuthen: Ich persönlich nicht, aber andere, zum Beispiel der Vorsitzende der Jugendorganisation Junge Alternative, Markus Frohnmaier. Er hat gerade dieser Tage eine anonyme Exekutionsankündigung bekommen, wörtlich: „Dein Todesurteil wird vollstreckt. Letzte Chance, dein Testament zu machen, bevor dein Blut den Rinnstein füllt. Dein Umfeld wird auch gesäubert, deine Familie nicht ausgespart.“ Man muß sich mal klarmachen, was da steht – das ist RAF-Jargon! 

Gerieren Sie sich jetzt nicht als Opfer? So der Vorwurf in vielen Medien. 

Meuthen: Ja, es ist nicht zu fassen. Eine solche Gehässigkeit von seiten einiger Medien, die doch beanspruchen, seriös zu sein, habe ich mir früher nicht vorstellen können. Dabei habe ich Politik nie für einen Streichelzoo gehalten. Aber das ging dann doch über mein Vorstellungsvermögen. Natürlich gibt es auch bei uns Einzelfälle, wie etwa ein 19jähriges AfD-Mitglied in Sachsen-Anhalt, das bei einer Demonstration gegenüber Journalisten tätlich geworden ist. Wir haben diese Person allerdings sofort ausgeschlossen, denn Gewalt ist – egal von wem – immer absolut inakzeptabel. Man kann also klar sagen: Von der AfD geht keine Gewalt aus – sie erfährt aber erhebliche Gewalt. Das aber ist kaum ein Thema in den Medien.

Tragen die Medien eine Mitverantwortung für die Gewalt?

Meuthen: Einige schon, denn wenn manche uns immer wieder als „Pack“, „Gesindel“ oder „Nazi-Partei“ bezeichnen, braucht man sich nicht zu wundern, daß sich mancher Zeitgenosse ermächtigt fühlt, gegen uns gewalttätig zu werden. Das gilt aber nicht nur für die Medien, sondern auch für Fachleute wie etwa Forsa-Chef Manfred Güllner, der uns tatsächlich als „braunen Bodensatz“ bezeichnet, oder für Politiker, wie etwa den baden-württembergischen Finanz- und Wirtschaftsminister und SPD-Spitzenkandidaten Nils Schmid, der in Zusammenhang mit dem Fund einer Handgranate vor einer Asylunterkunft in Villingen-Schwenningen im Fernsehen behauptet hat, der Vorfall habe „viel mit der Hetze und dem Klima der Angst, das die AfD verbreitet, zu tun“. Und das, obwohl von Beginn an Zweifel daran bestanden, daß die Tat überhaupt politisch motiviert war. 

Inzwischen ist klar, die Tat hat keinen politischen Hintergrund. Hat Herr Schmid sich entschuldigt? 

Meuthen: Ach was, mit keinem Wort!

Am 10. März könnten Sie ihn darauf in der Diskussionsrunde zur Wahl im SWR-Fernsehen ansprechen.

Meuthen: Das habe ich vor, und ich wünsche von ihm eine Entschuldigung, etwa dafür, mich mittelbar als „rassistischen Hetzer“ bezeichnet zu haben, als er sagte, er werde an der Sendung nicht teilnehmen, weil er sich nicht mit solchen auf ein Podium setzen will. 

Daraufhin hatte der SWR Sie ausgeladen.

Meuthen: Ja, allerdings tat mir der Sender fast leid, als mich Chefredakteur Fritz Frey persönlich anrief, um mir die Entscheidung zu erklären und er sich dabei hörbar verärgert zeigte ob der Situation, in die Grün-Rot den Sender durch ihre Boykottdrohung gebracht hatte.

Hätte der SWR nicht widerstehen müssen? 

Meuthen: Sicher hat er sich mit der Entscheidung nicht mit Ruhm bekleckert, aber die Schuld liegt bei Grün-Rot.

Nun sind Sie doch wieder eingeladen. Laut Presse aber nur, weil Grünen und SPD zugesichert worden sei, die AfD solle in der Sendung nicht die Gelegenheit bekommen, sich als normale Partei darzustellen. 

Meuthen: Ich werde aber genau darauf bestehen. Ich werde mich ganz sicher nicht neunzig Minuten lang auf die Anklagebank setzen lassen, um mich für Zitate einzelner Parteikollegen zu rechtfertigen. Um ein Tribunal gegen die AfD kann es in so einer Wahlsendung auch nicht gehen, sondern eben um die Landtagswahl für Baden-Württemberg.

Bei der Sie wieviel Prozent erreichen werden?

Meuthen: Wir liegen derzeit je nach Umfrage zwischen zehn und zwölf Prozent. Ich halte zwar auch noch deutlich mehr für durchaus möglich, sage aber ganz klar: Alles ab zweistellig ist für uns ein großartiger Erfolg!






Prof. Dr. Jörg Meuthen, ist seit Juli 2015 gemeinsam mit Frauke Petry Bundessprecher der AfD sowie Landessprecher in Baden-Würrtemberg. Der Professor für Volkswirtschaft an der Hochschule für öffentliche Verwaltung im badischen Kehl wurde 1961 in Essen geboren.

Foto: Bundes- und Landeschef Meuthen: „Populismus meint, dem Wähler nach dem Munde zu reden. Genau das tun wir nicht. Gerade die AfD hat klare und nicht beliebige Überzeugungen“

 

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