© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/16 / 26. Februar 2016

Eskalation in Sachsen
Asylkrise: Entsetzte Reaktionen nach Brandstiftung in Bautzen und Blockade eines Flüchtlingsbusses in Clausnitz
Christian Schreiber

Es sind makabre Bilder, die sich in Windeseile im Internet verbreiteten. Ein Bus mit der Leuchtschrift „Reisegenuß“ steht vor einem Flüchtlingsheim im sächsischen Clausnitz. In dem Amateurvideo sieht man einen weinenden Jungen und Frauen, die sich weigern, den Bus zu verlassen. Draußen skandiert eine Menschenmenge „Wir sind das Volk“: Vereinzelt sind auch „Ausländer raus“-Rufe oder „Haut ab“ zu hören. Die Polizei hat alle Hände voll zu tun. Die Szenen, die sich in der vergangenen Woche in Sachsen abspielten, haben ein gewaltiges Echo ausgelöst. Rund 100 Demonstranten hatten versucht, die Unterbringung von 50 Asylbewerbern zu verhindern, teilte die Polizei mit. 

Die Ordnungskräfte waren ebenfalls in die Kritik geraten, weil die Aufnahmen einen Polizisten dabei zeigen, wie er einen Jungen offenbar gegen seinen Willen aus dem Bus in die Unterkunft bringt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verteidigte aber das Vorgehen der Polizei in Clausnitz. „Die Polizei hat richtig gehandelt“, sagte er der ARD. Er könne die Kritik nicht nachvollziehen. „Es war richtig, alle Asylbewerber schnell aus dem Bus zu bringen.“

Petry: AfD-Mitglieder unter den Demonstranten

Einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge sei der genaue Zeitpunkt der Ankunft sehr kurzfristig mitgeteilt worden. Heimleiter Thomas Hetze sei einer der ersten gewesen, der Bescheid wußte. Das Pikante an der Angelegenheit. Hetze ist Mitglied der Alternative für Deutschland (AfD), sein Bruder ist offenbar einer der Initiatoren der Proteste gewesen. Mittlerweile wurde der Heimleiter zumindest vorübergehend von seinem Posten entbunden: „Wir haben die Entscheidung zum Schutz seiner Person und durch die bundesweite Diskussion über ihn getroffen“, erklärte Landrat Matthias Damm (CDU).

In der Nacht zum Sonntag kam es in Bautzen, ebenfalls einer Gemeinde in Sachsen, zu einem weiteren Vorfall. Ein ehemaliges Hotel, das zur Unterbringung von Migranten dienen sollte, wurde in Brand gesetzt. Nach ersten Untersuchungen sei von einer vorsätzlichen Brandlegung auszugehen, teilten die Behörden mit. Anwohner und Schaulustige hatten laut Polizei zum Teil mit „unverhohlener Freude“ auf den Brand reagiert. Manche hätten den Brand mit „abfälligen Bemerkungen“ kommentiert, auch die Löscharbeiten seien behindert worden.  Drei Ermittlungsverfahren wegen „Behinderung von Einsatzkräften“ seien eingeleitet worden.

Der Freistaat Sachsen steht seitdem deutschlandweit in der Kritik. Die richtet sich insbesondere gegen die Polizei, aber auch Landesinnenminister Markus Ulbig (CDU). Grünen-Chef Cem Özdemir warnte im ARD-Morgenmagazin davor, die Übergriffe zu verharmlosen, was in den vergangenen 25 Jahren viel zu oft passiert sei:  „Die ganze Welt weiß es, daß es in Sachsen ein Problem gibt mit Rechtsradikalismus.“ Der grüne Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler sprach in der Neuen Presse aus Hannover von Polizeiversagen und forderte Ulbigs Rücktritt. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) kündigte erneut einen harten Kurs der Justiz an. Der Staat müsse angesichts solcher Straftaten „seine Kräfte bündeln“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Gleichzeitig stellte er fest, die AfD sei seiner Ansicht nach „ein Fall für den Verfassungsschutz“. 

Die Vorfälle seien erschreckend und schockierend zugleich, sagte der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Das sind keine Menschen, die so was tun. Das sind Verbrecher.“ Solche Taten besudelten „das, was die Menschen an Mut in der friedlichen Revolution aufgebracht haben und den Fleiß beim Wiederaufbau Sachsens“.

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, verteidigte das Vorgehen der Polizeibeamten. Zugleich wies er darauf hin, daß es in Clausnitz zu Provokation seitens der Flüchtlinge gekommen sei. Diese hätten den Stinkefinger sowie Kopf-ab-Gesten gezeigt. Auch die AfD-Vorsitzende Frauke Petry forderte „genaue Aufklärung über alle Hintergründe“ der Ereignisse in Clausnitz. „Es hat wohl aus dem Bus heraus sehr unschöne Gesten gegeben.“ Gleichzeitig distanzierte sie sich von der Demonstration und räumte ein, daß auch AfD-Mitglieder unter den Teilnehmern waren. „Es ärgert mich, daß so etwas in Sachsen passiert, zumal wenn eigene Mitglieder beteiligt sind. Ich weise aber Gerüchte zurück, daß AfD-Mitglieder dies organisiert haben“, sagte Petry am Montag im Fernsehsender Phoenix. „Wir glauben, daß Protest notwendig ist, aber nicht gegen Personen, die nach Deutschland einreisen, sondern gegen diejenigen, die diese Migrationspolitik zu verantworten haben“, bekräftigte die AfD-Chefin.