© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/16 / 26. Februar 2016

„Ein beunruhigend starker Geruch“
Lech Walesa als Spitzel IM Bolek für das Regime: Ein Sensationsfund stürzt eine nationale Ikone vom Sockel
Christian Rudolf

Hände weg von Walesa. Ich bekenne: IM Bolek – das bin ich.“ Einer der landesweit beliebtesten Politiker Polens, der junge, linke Bürgermeister von Stolp, Robert Biedron, nahm von der hintergründig humorvollen Seite, was in der vergangenen Woche ganz Polen aufhorchen ließ und seitdem die Zeitungen und Fernsehsendungen dominiert. Der erste demokratisch gewählte Präsident Polens nach der politischen Wende, Freiheits-ikone Lech Walesa, soll inoffizieller Mitarbeiter des kommunistischen Geheimdienstes SB der Volksrepublik Polen gewesen sein. Nach Feststellung des Instituts für Nationales Gedenken (IPN) in Warschau belegten Aktenfunde die jahrzehntelangen Vorwürfe gegen den einstigen Arbeiterführer und Friedensnobelpreisträger des Jahres 1983. Unter den vom IPN, Pendant der deutschen Stasi-Unterlagenbehörde, im Haus des verstorbenen letzten kommunistischen Innenministers und Chefs der Geheimdienste Czeslaw Kiszczak requirierten Dokumenten sollen Walesas Personalakte sowie dessen Verpflichtungserklärung für den Staatssicherheitsdienst gefunden worden sein. Im Original. Mit dieser Sensationsnachricht trat IPN-Direktor Lukasz Kaminski am Donnerstag der Vorwoche vor die Presse.

„Besondere Bedeutung für die staatliche Sicherheit“

Der Umstand, durch den die Behörde an die Dokumente kam, mutet kurios an: Die Witwe des Generals, in dessen Amtszeit das Kriegsrecht verhängt und der Priester Jerzy Popieluszko vom SB ermordet wurde, habe den Warschauer Aktenwächtern sechs Säcke voller hand- und maschinenschriftlicher Aufzeichnungen sowie Fotografien für umgerechnet gut 20.000 Euro zum Kauf angeboten. Daraufhin wurde deren Haus in Warschau von Staatsanwälten und Polizei durchsucht und die Unterlagen beschlagnahmt.

„In der Personalakte befindet sich ein Umschlag und darin eine mit der Hand geschriebene Verpflichtung zur Mitarbeit mit dem Sicherheitsdienst, unterschrieben: Lech Walesa ‘Bolek’“, sagte IPN-Chef Kaminski. In der Arbeitsmappe sollen demnach mit dem Pseudonym ‘Bolek’ unterschriebene Quittungen für Geldempfang, „zahlreiche Spitzelberichte“ Walesas sowie Notizen von SB-Funktionären über gemeinsame Treffen stecken. Die Dokumente und Aufzeichnungen sollen aus den Jahren 1970 bis 1976 stammen. Von den Papieren gehe ein „beunruhigend starker Geruch“ aus, gab ein Experte des IPN zu Protokoll.

Vorwürfe, die spätere „Solidarnosc“-Ikone habe mit dem Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet, hatten frühere Weggefährten Walesas bereits Mitte der siebziger Jahre erhoben. Einstige Mitstreiter für eine unabhängige Gewerkschaft auf der Danziger Lenin-Werft zu Beginn der achtziger Jahre wie Andrzej Gwiazda, Anna Walentynowicz und Krzysztof Wyszkowski kündigten Walesa ebenso die Freundschaft auf wie die Kaczynski-Brüder Jaroslaw und Lech oder Antoni Macierewicz, der heute Verteidigungsminister in der nationalkonservativen Regierung ist. 

Ein Parlamentsbeschluß von 1992 zur Durchleuchtung von Amtsträgern auf eine Zusammenarbeit mit dem kommunistischen Spitzel- und Zersetzungsapparat in den Jahren zwischen 1945 und 1990 brachte den 1990 ins Präsidentenamt gewählten Walesa erstmals in Rechtfertigungsnot. Sein Name prangte auf einer von Macierewicz, damals Innenminister, erarbeiteten Liste mit insgesamt 66 Namen von Abgeordneten und Regierungsmitgliedern, die nach Aktenlage informelle Mitarbeiter der Geheimdienste gewesen waren. Walesa nahm darunter eine Sonderstellung ein: Von den Diensten war seine Person als „von besonderer Bedeutung für die staatliche Sicherheit“ speziell markiert. Ein Abgeordneter trug damals die pikante Zusammenstellung im Sejm vor. Die Erwähnung Lech Walesas als IM „Bolek“ indessen wurde später aus dem offiziellen Stenogramm gelöscht.

In einer offiziellen Presseerklärung der Präsidialkanzlei als Reaktion auf die Macierewicz-Liste bekannte sich der vormalige Elektriker dazu, für eine Zusammenarbeit mit dem SB unterschrieben zu haben. Zwei Stunden später allerdings ließ er die Erklärung zurückziehen. Walesa wehrte sich in der Folge hartnäckig gegen Stasivorwürfe. Bisherige Anschuldigungen des IPN stützten sich auf Unterlagen in Kopie. Während Walesas fünfjähriger Präsidentschaft verschwanden etliche Teile der vom SB über ihn angelegten Akte. Die Umstände wurden nie geklärt.

Walesa, dessen oft gewundene, widersprüchliche Redeweise sprichwörtlich ist, bestritt nach Bekanntwerden der neuerlichen Vorwürfe jede Zusammenarbeit mit der kommunistischen „Bezpieka“, wie die Stasi in Polen genannt wird. „Es kann keine derartigen Materialien von mir geben. Wenn es sie gäbe, wäre es nicht nötig, sie zu fälschen. Das beweise ich vor Gericht“, schrieb der 72jährige auf seinem Mikroblog. Später gestand er jedoch ein, „einen Fehler begangen“ zu haben, aber er stehe im Wort, daß er ihn nicht bekanntgebe: „Bestimmt nicht jetzt, jetzt noch nicht.“ Nie habe er Geld angenommen und nie mündlich oder schriftlich über irgendjemanden berichtet. Auch habe es nie sein Einverständnis zur Zusammenarbeit mit dem SB im Sinne einer Unterstützung des Kommunismus gegeben: „Ich habe mich niemals brechen lassen.“ Mehr könne er nicht zur Wahrheitsfindung beitragen. Walesa weilt derzeit auf einer ausgedehnten Reise in Übersee.

Die volle Dimension der Aktenfunde in den Geheimschränken des Innenministers ist dieser Tage noch nicht absehbar. Beobachter erwarten weitere spektakuläre Enthüllungen. Medien, die der aktuellen Regierung unter Führung der Kaczynski-Partei PiS nahestehen, sprechen vom „Zyklon Schrank“, der derzeit durch Polen brause und an den Grundfesten der Nachwendeordnung rüttele. Die Abmachung des „Runden Tisches“ von 1989, unter die Ära des Kommunismus einen dicken Strich zu ziehen, steht zur Disposition.