© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/16 / 04. März 2016

Satzungsstreit geht in die Verlängerung
Sudetendeutsche: Trotz eines neuen Beschlusses schwelt der Konflikt um den Verzicht auf die Forderung nach einer „Wiedergewinnung der Heimat“ weiter
Gernot Facius

Der seit einem Jahr schwelende Streit über eine neue Satzung der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) ist vorerst entschieden. Beendet ist der Konflikt aber noch lange nicht. 72 Prozent der Mitglieder der SL-Bundesversammlung stimmten am vergangenen Wochenende  zum zweiten Mal für den Verzicht auf die alte Forderung nach „Wiedergewinnung der Heimat“, wie sie bislang Bestandteil des Paragraphen 3c war, der den Zweck der Vertriebenenorganisation definiert. 

Ein früherer, gleichlautender Beschluß war vom Landgericht München 1 aus formalen Gründen für nichtig erklärt worden. Auch das Recht auf Rückgabe beziehungsweise gleichwertigen Ersatz oder Entschädigung des konfiszierten Eigentums der Sudetendeutschen, an dem die SL jahrzehntelang festhielt, wird so nicht mehr eingefordert. Stattdessen heißt es – nach einem kurzen Hinweis auf die EU-Grundrechtscharta –, Völkermord, Vertreibungen, ethnische Säuberungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, menschen- und völkerrechtswidrige Enteignungen sowie Diskriminierungen seien weltweit zu ächten und „dort, wo sie erfolgten, auf der Grundlage eines gerechten Ausgleichs zu heilen“. Die Regierung in Prag wird allerdings nicht direkt angesprochen.  

Zweifel an Rechtmäßigkeit

Der als Sprecher und Bundesvorsitzender der Landsmannschaft wiedergewählte CSU-Politiker Bernd Posselt hatte die Satzungsänderung unter anderem mit dem von ihm forcierten „Kurs der Öffnung und des Brückenschlags“ begründet.  Kritiker, vornehmlich aus dem nationalkonservativen Witikobund, warfen ihm vor, Rechte der Sudetendeutschen preiszugeben. 

In der Tat ist es nicht so sehr der Verzicht auf die Forderung nach „Wiedergewinnung der Heimat“, welche die „Reformgegner“ (O-Ton Posselt), immerhin eine qualifizierte Minderheit in der Bundesversammlung, empört; das Mißverständliche dieser Formel hätte auch durch einen interpretierenden Zusatz aus der Welt geschafft werden können. Gravierender ist für viele, daß just in dem Moment, in dem Ungarn, Rumänien und Serbien ihren ehemaligen deutschen Mitbewohnern ein Restitutionsangebot gemacht haben, die SL entsprechende Forderungen an die Prager Seite vermeidet oder in politische Watte packt. Nicht die heutigen Bewohner der enteigneten Liegenschaften seien hier heranzuziehen, sondern der (tschechische) Staat als Rechtsnachfolger der damaligen Vertreiber, stellte Ingolf Gottstein (Witikobund) klar. 

Gottstein hatte gegen den SL-Beschluß vom 28. Februar 2015 geklagt. Er wünsche sich vor allem, sagte er vor der neuen Entscheidung, daß die betagten Vertreibungsopfer „die moralische Rehabilitation erleben“. Eine Verzichtserklärung der SL wirke zwar nicht auf die Individualrechte der Vertriebenen. Sie komme allerdings einer Schlechterstellung der Rechtsposition der Opfer gleich, sie wirke wie ein „enteignungsgleicher Eingriff“. Die Landsmannschaft, gab die Sudetenpost, Organ der SL Österreich, zu bedenken, müsse deutlich machen, daß sie sich um sudetendeutsches Eigentum kümmere, nicht um „weltweit geschehenes Unrecht“ – eine Anspielung auf den revidierten Satzungstext. Die Posselt-Kritiker, so ist zu hören, wollen trotz des Votums für die Satzungsänderung ihren Kampf nicht aufgeben. „Versuchen politisch motivierter Verzichtsbehauptungen muß entschieden entgegengetreten werden“, hatte Kläger Gottstein schon vor der Entscheidung zu Protokoll gegeben. Die ihn beratenden Juristen sahen die Bundesversammlung weiter nicht legitimiert, eine solche „Zweckänderung“ zu beschließen. Der Konflikt dürfte auch den 67. Sudetendeutschen Tag im Mai in Nürnberg überlagern. 

„Sudetendeutsche wollen ihre Heimat nicht mehr wiederhaben“, titelten jetzt viele Zeitungen. „Irreführend“, konterte der „Reformer“ Posselt. Es seien lediglich „veraltete“ Formulierungen gestrichen worden, die den Eindruck erweckten, es würden Gebietsansprüche erhoben. An der Liebe zur Heimat ändere sich nichts. An der aktuellen Debatte läßt sich freilich ablesen, daß der Wille zum Dialog innerhalb der Landsmannschaft nicht sehr ausgeprägt ist. Die Zeit zwischen der Gerichtsentscheidung und der neuerlichen Abstimmung hätte genutzt werden können, um Verständigungsmöglichkeiten auszuloten. Die Chance wurde aber vertan.