© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/16 / 04. März 2016

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Die Wahrheit jenseits der Mitte
Elena Hickman

Die Zahlen geben keinen Grund zur Freude: „Nach einschlägigen Untersuchungen sind 20 bis 25 Prozent aller Deutschen für antisemitische Ressentiments empfänglich“, sagte Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) in der vergangenen Woche mit Blick auf die Internationale Konferenz gegen Antisemitismus Mitte März in Berlin. Allerdings seien diese Menschen nicht nur am „sogenannten rechten Rand“ zu finden, „sondern quer durch alle gesellschaftlichen Schichten“, gab Pau zu bedenken, und auch in politischen Gruppierungen und Parteien. Im internationalen Vergleich rangiere Deutschland damit im europäischen Mittelfeld.

Die Mitte ist allgemein weder besonders gut noch schlecht. Wohin sich diese Zahl entwickeln könnte, ist dabei aber schon interessanter. „In Ländern, in denen der Islam dominiert, folgen nach jüngsten Untersuchungen 75 Prozent der Menschen antisemitischen Vorbehalten“, sagte die Politikerin und wies dabei auf die „aktuellen Herausforderungen“ bei der Integration von Flüchtlingen hin.

 Auch der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), warf einen Blick auf die sich verändernde Gesellschaft, auf „neue Formen des Antisemitismus“. Das Internet und die sozialen Netzwerke seien ein Forum des Rassismus und des Antisemitismus geworden, sagte Roth. Sie seien international, sie kennten keine Grenzen, deshalb sei es auch wichtig, „daß wir grenzenlos und grenzüberschreitend tätig werden“, unterstrich der Minister. Selbstverständlich unterstütze er die Arbeit der EU-Kommission auf diesem Gebiet, aber gleichzeitig sei er ebenso dankbar, daß dies nicht alleinige Aufgabe der „politischen Eliten“ und „Verantwortungsträger“ in Regierungen und Parlamenten bleibe. Es sei die „Aufgabe aller Bürgerinnen und Bürger“, sagte Roth im Konferenzraum des gut bewachten Jakob-Kaiser-Hauses. Die „Zivilgesellschaft“ sei deshalb zur Konferenz eingeladen worden, und viele Aktivisten und Nichtregierungsorganisationen hätten sich bereits angemeldet. 

Wie Pau, sprach auch Roth die aktuellen Herausforderungen durch die große Zahl an Flüchtlingen an – wenn auch eher flüchtig. Aus den jüdischen Gemeinden würde „immer wieder“ die Frage kommen: „Führt das gegebenenfalls zu einer größeren Gefahr für uns?“ Derzeit gebe es jedoch keine Anzeichen dafür, versicherte der Minister, daß es 2015 mehr Straftaten mit einem antisemitischen Hintergrund in Deutschland gegeben habe. Allerdings müsse man wachsam bleiben.

Auf der Konferenz gegen Antisemitismus im März solle die „Zusammenarbeit auf eine neue Stufe“ gestellt werden, kündigte Pau an. Schwerpunkte lägen dabei auf dem Umgang mit der Einwanderungsgesellschaft, Haß im Internet und Antisemitismus im Sport. Wer zu diesen Themen jedoch viele jüdische Experten erwartet, wird enttäuscht. Wenn nicht jemand ausdrücklich sage, „ich will das aus meiner jüdischen Perspektive einbringen“, bemerkte Pau, „dann tut das eigentlich auch nichts zur Sache, wenn es um diese Konferenz geht“.