© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/16 / 04. März 2016

Pankraz,
Frau Guérot und der Ruf nach Segregation

Die Lobredner des millionenfachen Flüchtlingsstroms nach Nord- und Mitteleuropa werden immer ungenierter. Bisher galt (angeblich) auch bei ihnen die Devise, daß es primär wichtig sei, die Ankömmlinge in die Kultur des Ziellandes so gut wie möglich zu integrieren, sprachlich, sozial, geistespolitisch, eben in jeder Hinsicht. „Integration“  hieß die Parole. Aber jetzt ändert sich das. Das neue Kampfwort heißt  „Segregation“, also Absonderung, Trennung. „Segregation statt Integration“ – so tönt es nun aus dem Deutschlandfunk und auch schon aus der seriösen politischen Presse, etwa Le Monde diplomatique.

Eine Integration der Flüchtlinge bringe doch nur Probleme und Unruhe, meinte die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot in einem langen Interview mit dem Deutschlandfunk. Viel besser wäre es doch, die Zuzügler (man höre!) als „Weltgäste“ zu betrachten und sie ihre eigenen Städte im Zielland bauen zu lassen. Dies sei schon angesichts der Konkurrenz um billigen Wohnraum und Jobs „ein interessanter Lösungsansatz“. Schließlich gehe es nicht um die Rettung völkischer Homogenität durch homogene Völker, sondern „echt europäisch“ wäre  „die Auflösung der Grenze als Grenze des Homogenen“.

Zitat Ulrike Guérot: „Wie wäre es, wenn Flüchtlinge in Europa Bauland zugewiesen bekämen, benachbart zu den europäischen Städten, aber in einem Abstand, der die Andersartigkeit wahrt? Damit würde man einen Möglichkeitsraum an nebeneinander real existierenden Lebensentwürfen und -modellen schaffen. So entstehen Neu-Damaskus und Neu-Aleppo, inmitten von Europa. Oder auch Neu-Diyarbakir oder Neu-Erbil und Neu-Dohuk für die kurdischen Flüchtlinge. Vielleicht auch Neu-Kandahar oder Neu-Kundus für die afghanischen Flüchtlinge oder Neu-Enugu oder Neu-Ondo für die nigerianischen.“


Robert Menasse (61), der österreichische Schriftsteller, hat sich mit Frau Guérot zusammengetan und gemeinsam mit ihr in Le Monde diplomatique ihre Gedanken weiter ausgeführt. „Staatsgrenzen sind für die meisten Menschen etwas Selbstverständliches und geradezu Notwendiges“, heißt es da, „aber wie normal sind Grenzen wirklich? (…) Der Bürger kann euphorisch werden, wenn Grenzen plötzlich verschwinden, wie es etwa beim Fall der Berliner Mauer war, aber er will die Grenze wieder zurück, wenn Menschen von ‘drüben’ womöglich herüberwollen, auf seinen Arbeitsmarkt.“ Das sei nicht normal, meint Menasse, es sei pure Schizophrenie.

Fragt sich nur, bei wem Schizophrenie weiter verbreitet ist, bei den normalen Bürgern – oder bei Politikbeobachtern à la Menasse und Guérot, die allen Ernstes zu glauben scheinen, selbständige neue „Flüchtlingsstädte“ wie Neu-Aleppo etwa in der Nähe von Paris, Neu-Erbil in der Nähe von Berlin oder Neu-Kundus in der Nähe von Stockholm würden irgend etwas „lösen“ oder gar verbessern. Es ist nichts weiter als reine, ruchlose Spinnerei, wie man sie bisher wirklich nur von dubiosen Aktionisten aus dubiosen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gewohnt war.

Aber Menasse und Guérot sind nicht irgendwer. Menasse rangiert als voll etablierter, auch als Politberater gern gesehener Autor in Wien, Guérot als Professorin für „European Studies“ an der Johns-Hopkins-Universität in Washington, D.C.; vorher war sie Politikberaterin unter anderem bei Karl Lamers von der CDU/CSU in Berlin und wirkte seinerzeit führend an der Abfassung des bekannten Schäuble-Lamers-Papiers „Zur Vertiefung der Europäischen Union“ mit. Wortmeldungen wie die genannten im Deutschlandfunk und in Le Monde diplomatique sind durchweht vom Odeur offiziellen Pläneschmiedens. Man kann nur den Kopf schütteln.

Jeder weiß: Die Städte, denen jetzt gleichberechtigte Neu-Städte an die Seite gestellt werden sollen, haben wahrhaftig schon genug zu tun mit jenen Problemen, die ihnen integrationsunwillige Zuwanderer in ihren eigenen Vorstädten bereiten; siehe Saint-Denis bei Paris, das sich ja bereits zu einer Art Neu-Algier entwickelt hat. Es herrscht dort Gewalt gegen indigene Einheimische oder gegen später Zugezogene, die nicht der „richtigen“ Religion angehören. Die Grausamkeiten, vor denen die Flüchtlinge, wie wir täglich hören, geflohen sind, sind nicht überwunden, sondern mitgebracht worden.


Frau Guérot bezieht sich zur Rechtfertigung ihrer Segregationsträume kurioserweise auf Immanuel Kant; der habe in seiner Schrift  „Vom ewigen Frieden“ das Völkerrecht großartigerweise durch ein „Weltbürgerrecht“ ersetzt, wonach es jedem Erdenbürger von Natur aus erlaubt sein soll, sich jederzeit nach Belieben in einem Land niederzulassen, ohne dessen spezifische Traditionen und Gesetze anzuerkennen. Das Gegenteil ist in Wahrheit der Fall, und Pankraz wundert sich, daß  der gelehrte Herr Menasse das schlichtweg übersieht.

Kant hat das Völkerrecht keineswegs ignoriert, sondern es ausdrücklich privilegiert und  scharf von einem angeblichen „Weltbürgerrecht“ abgehoben. Das Völkerrecht deklariert international geltende Vertragsgrundsätze, beispielsweise im Seehandel oder bei Kriegsfällen und anderen Großkonflikten. Daneben gibt es dann noch, so Kant, ein eingeborenes „Recht auf Hospitalismus“, ein allgemeines Besuchsrecht, an das sich jeder Reisende, ob mächtiger Fürst, Händler oder bloßer „Lustreisender“, zu halten hat.

Es gibt Regeln für Gäste wie für Gastgeber. Gäste, die auf Dauer bleiben wollen, also Vertriebene, Verfolgte oder bloße „Flüchtlinge“, müssen sich entweder voll integrieren oder die Regeln des Gastlandes strikt einhalten. Zuwanderer, die statt dessen auf Segregation aus sind und im Gastland eigene Städte mit eigenen, mitgebrachten Gesetzen erbauen wollen, wären von Kant als Kriegsfalle eingeschätzt worden, gegen die man sich nötigenfalls auch mit polizeilichen oder gar militärischen Mitteln wehren müsse.

So also steht es mit Immanuel Kant. Klar dürfte sein, daß seine Vorstellung von Frieden sehr viel weniger Schizophrenie enthielt als die Pläne heutiger Segregationisten.