© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/16 / 04. März 2016

Auf die Strafbank setzen
Persönlichkeitsstörung: Die Funktionselite erkennt ihre Irrtümer nicht mehr
Thorsten Hinz

Mit ihrem Theaterdonner um die Vorgänge im sächsischen Clausnitz haben unsere Qualitätsjournalisten und -politiker sich eine weitere Verschnaufpause vor dem Ernstfall verschafft, den der Soziologe und Bevölkerungswissenschaftler Gunnar Heinsohn so umreißt: „Heute wollen allein 540 Millionen aus Afrika und dem arabischen Raum auswandern. 2050 werden es bei der Fortrechnung dieser Wünsche 950 Millionen sein (…)“

Die Absurdität des Asylrechts zeigt Heinsohn am Beispiel Nigerias auf, wo 170 Millionen Menschen leben. „Da gibt es jetzt eine Gruppe, Boko Haram, ‘Bücher sind Sünde’. Ihre Mitglieder schießen auf lokale Machthaber, um so an Positionen zu gelangen, die sie als Wirtschaftsflüchtlinge nicht erreichen konnten. Auf einen Schlag haben ein paar tausend Schießende 170 Millionen Mitbürger in Schutzberechtigte verwandelt, deren Rücksendung in die Heimat ein Verbrechen wäre.“ 

Wie also wollen unsere Funktionseliten den Fortbestand Deutschlands und Europas sichern? Wollen sie es überhaupt? Welche effektive Abwehrstrategie – denn um die muß es gehen – haben sie in Planung? Welche Konsequenzen halten sie gegebenenfalls für nötig? Und wenn nicht, was folgt daraus für uns?

Antworten wie: „Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen“ sind bloß Ausflüchte. Europas Möglichkeiten, auf den „Youth bulge“ in den islamischen Ländern, die Unterentwicklung, die religiös eingefärbten Bürgerkriege einzuwirken, sind minimal.

Wer diese Probleme aufwirft, dem wird nicht argumentativ begegnet, sondern der wird als Person angegriffen und zum „Nazi“, Brandstifter, Fremdenfeind, zum Ausbund des Bösen gestempelt. Der Psychologe Hans-Joachim Maaz diagnostizierte kürzlich im Cicero bei den Funktionseliten eine „narzißtische Normopathie“. Der Begriff übersetzt die Verdinglichung – die Überhöhung gesellschaftlicher Phänomene zu naturgesetzlichen oder göttlichen Gewalten – in die Terminologie der Psychologie. „Das Falsche, der Irrtum, wird nicht mehr erkannt, weil die Mehrheit einer Meinung ist und danach handelt.“ In der Logik der Normopathen sitzen ihre Kritiker einem falschen Bewußtsein oder einer verkommenem Moral auf. Die „normopathische Störung“, die die Einsicht in die Lage und die fälligen Veränderungen blockiert, erklärt Maaz „als Folge reaktiver Schuldabwehr aus den zu verantwortenden Verbrechen der Vergangenheit und dem Wissen vom neuen ‘falschen Leben’ in einer Gesellschaft mit Profitzwang und materieller Gier (...).“ Erneut führen alle Wege ins Dritte Reich!

Diese historisch-psychologische Deutung liegt nahe, doch bedarf sie der Aktualisierung und Ergänzung. Dem Zusammenhang von Stigmatisierungs- und Willkommenshysterie entspricht der Nexus von äußerer Schwäche und innenpolitischer Feinderklärung. Das schreibt eine Praxis aus der Zeit der deutschen Teilung fort, als die Bundesrepublik und die DDR von ihren Vormächten eingehegt waren und außenpolitische Probleme vorzugsweise im Modus des Bürgerkriegs bearbeiteten, indem sie den jeweils anderen deutschen Staat und dessen tatsächliche oder vermeintliche Parteigänger im eigenen Land bekämpften. 

Die Außenpolitik der DDR war zu 99 Prozent durch die existentielle Abhängigkeit von der Sowjetunion und durch die Abgrenzung gegen die Bundesrepublik definiert. Die Bonner Republik erweiterte zwar sukzessive ihren außenpolitischen Spielraum, doch untergründig fand noch eine andere, gegenläufige Bewegung statt. Für Caspar von Schrenck-Notzing markierte das Jahr 1959 den entscheidenden Einschnitt. Der sowjetische Parteichef Chruschtschow beschwor mit der ultimativen Aufforderung an die Westmächte, sich aus West-Berlin zurückzuziehen, eine Krise herauf, die bis zum Atomkrieg zu eskalieren drohte. Die deutsche Öffentlichkeit reagierte, so Schrenck-Notzing, mit einem „panischen Ausbruch ins Irrationale. (...) Eine Frage war gestellt, die Antwort überstieg die Kräfte, es blieb der Kopfsprung aus dem offenen Fenster, genannt ‘Bewältigung der Vergangenheit’.“ 

Der innenpolitische – antifaschistische – Exorzismus sollte das Ausland von der deutschen Harmlosigkeit überzeugen. Das entsprach dem Verhalten von Kindern, die die Augen schließen in der Hoffnung, vom schwarzen Mann nicht entdeckt zu werden. Indem sie das moralische Bekenntnis über die außenpolitische Überlegung stellte, nähert die „kritische Öffentlichkeit“ der Bundesrepublik sich zugleich der antifaschistischen

Staatsideologie der DDR an. Es gehört zu den Folgen dieser Konvergenz, daß die SED-Nachfolger heute als kompetente Interpreten der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gelten und, ausgestattet mit staatlicher Macht, ihre alten und neuen Feinde – Rechte, Konservative, Nationalliberale, Antikommunisten, Bürgerrechtler, Libertäre – auf die für die Feinde des Grundgesetzes vorgesehene Strafbank verweisen können.

Die Infantilisierung des Politischen setzte sich zunächst im vorpolitischen Raum, im Kulturbetrieb, den Medien, den Universitäten und Kirchen durch. Die praktische Politik stemmte sich dagegen, solange sie von Männern geprägt wurde, deren historische Erfahrungsräume mehr umfaßten als nur die Bundesrepublik. Diese Generationen mußten schon aus Altersgründen allmählich ins Hintertreffen geraten, so daß das vereinte Deutschland von Funktionseliten geprägt wird, bei denen sich die politische Infantilisierung zum Befund der Normopathie verdichtet hat.

Auf die Asylantenwelle, die gleich nach 1989 über die geöffnete Grenze nach Deutschland schwappte, reagierten die Behörden ähnlich hilflos wie heute. Brandanschläge auf Ausländerunterkünfte – deren Urheberschaft zuweilen ominös blieb – gaben Anlaß zu Lichterprozessionen und nationalen Selbstgeißelungen. Längst hat der politische Veitstanz sich institutionalisiert. Mehr noch: Das Attribut „narzißtisch“ drückt aus, daß er das Selbst und die Eigenliebe seiner Protagonisten definiert, die den politischen Widerspruch deshalb auch als persönlichen Angriff wahrnehmen. Das erklärt die Aggressivität ihrer Reaktionen und macht es sinnlos, an sie im Namen einer allgemeinen diskursiven Vernunft zu appellieren. Man muß darauf setzen, daß die Realitäten sie eines Tages außer Dienst stellen – und bis dahin sich von ihrem Ungeist freihalten.