© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/16 / 04. März 2016

Juristen unter sich
Beifallsgeheul: Ein Berliner Rechtswissenschaftler widmet sich der Funktionsweise und Verwirklichung von Normen
Richard Stoltz

Geradezu „in die Luft gehen vor Freude“ möchte Juraprofessor Michael Pawlik in der FAZ angesichts des Erscheinens eines Buches seines Kollegen Christoph Möller mit dem Titel „Die Möglichkeit der Normen. Über eine Praxis jenseits von Moralität und Kausalität“ (Suhrkamp). Auch andere Rezensenten, etwa Martin Bauer in der Süddeutschen Zeitung,  gebärden sich hocherfreut und wie aus dem Häuschen. Der hochgejubelte Möller hat denn auch gleich den diesjährigen Leibnizpreis für besondere wissenschaftliche Verdienste erhalten.

Der Mann will also in letzter Konsequenz Gesetze, Moralgesetze, Kausalitätsgesetze, genetische Gesetze, Naturgesetze, durch „Normen“ ersetzen. Normen sind nach allgemeinem Verständnis rein technische Regeln, Ausführungsbestimmungen wie beispielsweise die Deutsche Industrienorm DIN. Schon zur Zeit Dürers in der Renaissance sprach man von „Körpernormen“, die man als bildender Künstler bei der Anfertigung von menschlichen Porträts oder Statuen zu beachten habe. 

Wäre Möller nicht Jurist, sondern – wie sein Namensvetter Professor Christoph Möller in Hannover –  Humanmediziner, könnte man ihm manches nachsehen. Der verfügt über eine Vielzahl bewährter Behandlungsanweisungen, also Normen, die ihm Erfolg und Anerkennung eingetragen haben. Er könnte leicht der Idee verfallen, sich zum Großnormierer aufzuschwingen und Kausalität und Moral nur noch als schlichte Norm zu betrachten.

Aber der Rechtsprofessor Möller in Berlin mit seinem Buch und das überlaute Beifallsgeheul, das ihm von anderen Juristen zuteil wird, geben zur Sorge Anlaß. Wer nicht mehr nach Gesetzen urteilen mag, sondern alles über einen einzigen „normativen“ Leisten schlagen will, kann viel Unheil anrichten. Die Welt besteht nicht aus normierten Bauklötzchen, sondern aus konkreten Menschen, und auch Juristen können irren. Manche sogar gewaltig.