© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/16 / 04. März 2016

„Ein kleines Rasenstück, wie es unser Dürer malte“
Kino: In „Landstück“ besucht Volker Koepp zum dritten Mal die Uckermark
Sebastian Hennig

Volker Koepp ist so etwas wie der Theodor Fontane des deutschen Dokumentarfilms. Seine Wanderungen greifen zwar weiträumig über die Mark Brandenburg hinaus, sind aber doch von einer verwandten Stimmung geprägt. Sie stellen auf ähnliche Weise eine Verbindung der Menschen zu ihren Orten her. Von der Bukowina über Ostpreußen, Pommern, bis in die Ostprignitz hat Koepp seit den siebziger Jahren das flache Land zwischen den Strömen und der Küste auf die Leinwand gebracht.

Seine Filmbilder verzichten auf visuelle Effekte und Sensationen. Dafür sind sie verzaubert vom natürlichen Geräusch der Gefilde. Der Wind trifft auf Widerstand in Gras und Busch. Unsichtbare Vögel werden vernehmlich. Aus fernen Weilern bellen die Hunde. Mehr noch als in ihren ausgesprochenen Worten erzählen die Menschen, wenn sie dazu schweigend und etwas verlegen in die Kamera lächeln. Wie in den Gedichten von Peter Huchel und Johannes Bobrowski ist das Ganze von einer spröden Poesie umfangen.

Koepp wurde 1944 in Stettin geboren, und er ist in jeder Hinsicht ein Rückkehrer geblieben. Er grast seine Orte nicht ab. Er kultiviert die in ihnen wirkenden Stimmungen über Jahre, sogar über Jahrzehnte, wie in Wittstock, wo er sieben Filme gedreht hat. Aber auch keines seiner anderen Themen scheint irgendwann endgültig abgearbeitet. Jetzt hat er ein weiteres Mal in der Uckermark gefilmt, wo er gegenwärtig auch seßhaft ist.

Was er in der Gegend schon gefilmt hat, zitiert er mit Ausschnitten. Wenn die Frauengesellschaft von der schweren und doch frohen Sinnes verrichteten Landarbeit erzählt, kann er auf entsprechende Bilder aus „Das weite Feld“ (1976) zurückgreifen. Damals war das ganze Dorf auf den Beinen, um Steine aus dem Acker zu lesen. Heute laufen zwei Männer vor einer Baggerschaufel her. Die sechs Frauen aus Herrenstein haben ihre Männer lange überlebt. Der Film zeigt das Abwarten, Durchhalten und Wiederanknüpfen. Ein junges Paar hat sich entschieden, mit ihrem Kind das dörfliche Haus der Familie zu übernehmen. Er hat als Koch in Süddeutschland gut verdient. Wie sein Onkel sich in ungefähren Andeutungen über die Kollektivierung und die spätere Auflösung der Kooperativen ergeht, zeigt der rückblickende Ausschnitt aus „Uckermark“ (2002). Heute wartet die junge Mutter auf eine Entscheidung der Firmenzentrale im fernen München, ob sie auf heimatlichem Grund arbeiten kann.

Die Natur entfaltete ihren kargen Liebreiz

Die Uckermark war immer ein abgelegenes Gebiet. Die Auflösung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften im Zuge der Wiedervereinigung brachte dem Land eine Erholungspause. Die Natur entfaltete ihren kargen Liebreiz. Bäuerliche Familienbetriebe, wie sie die Kulturlandschaft ursprünglich geformt hatten, nahmen die Arbeit auf.

Inzwischen haben sich die Verhältnisse ein weiteres Mal geändert. Fruchtbare Böden sind zu einem Spekulationsgut geworden. Land- und betriebsfremde Unternehmen bieten Summen dafür, mit denen die einheimische Bevölkerung und kleine bis mittlere Wirtschaften nicht mehr mithalten können. Der Titel „Landstück“ verweist auf jene problematische Verdinglichung des Grundes. Einst hieß die Parole: „Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein.“ Später antwortete darauf bitterer Spott: „Ohne Sonnenschein und Gott geht die ganze LPG bankrott.“

Der Unternehmer Rolf Henke hat bis zu diesem Jahreswechsel in Berlin Zeitungen gedruckt, vor allem die Berliner Ausgaben des Kicker und das Stadtmagazin Zitty. Das Gut Temmen hat er 1997 von der Treuhand gekauft. Seit dem 13. Jahrhundert wird hier gewirtschaftet. Uta Kietsch betreibt in Temmen Saatgutgewinnung für lokale Sorten. Bioland-Gut Wilmersdorf wird von Stefan Palme bewirtschaftet. Caroline Riesing kommt auf einer großen Maschine angefahren, die sich per Globalen Positionsbestimmungssystemen ihren Weg über das Land sucht. Eine junge Frau, die vom Fenster des Plattenbaus in die Landschaft blickt, ist vermutlich Kunstmalerin. Wir erfahren es nicht mit Gewißheit. In Voßberg kommt Koepp mit seinem Filmkollegen Thomas Rosié ins Gespräch.

Der Charme seines filmischen Erzählens besteht in der Kunstlosigkeit. Hinter der Kamera richtet der Autor immer wieder unvermittelt kaum verständliche Fragen an sein Gegenüber, nur um das Plaudern wieder in Schwung zu bringen. Seine Gesprächspartner stellt er nicht vor, spricht manche von ihnen höchstens einmal mit dem Vornamen an. Sie führen sich selbst ein. Ihre vollen Namen erfährt man nur aus dem Nachspann.

Michael Succow spricht sich etwas deutlicher aus. Der Biologe und Landschaftsschützer hat hier seine Wurzeln. Als Schafmichel ist er nach der Schule auf die Weide gegangen. Nachdem sein ungarischer Hütehund verendete, gewöhnte er sich notgedrungen selbst zu bellen an. Im Roman las er vom Hirtenjungen Pelle, der die Hände nie aus den Hosentaschen nahm. Wie dieser lernte er mit den Ohren zu zucken, um lästige Fliegen zu verscheuchen. Beide Kunststücke führt er mit ungebrochener Virtuosität vor.

Darüber hinaus ist er eine Respektsperson, ein Held, der seine Stunde nicht verpaßt hat. Die nachhaltigen Naturschutzmaßnahmen der letzten DDR-Regierung in der Wendezeit sind seiner Achtsamkeit zu danken. Große Flächen in Mitteldeutschland wurden zu Rückzugsgebieten für Artenvielfalt und naturnahe Kultivierung. Er hat an Naturschutzunternehmungen bis nach Usbekistan, Kaukasus und Kamtschatka mitgewirkt. „Landstück“ zeigt ihn als Eingeborenen, der am Wegesrand nach den Gefährten seiner Kindheit sucht, dem Mohn, den Kornblumen, Wicken und Veilchen. In sachlicher Verliebtheit beschreibt er: „Ein kleines Rasenstück, wie es unser Dürer malte.“ Er lobt die tiefen Wurzeln der Luzerne, als der eigentlichen Ureinwohnerin der Äcker der Uckermark. Vor einer Hühnermastanlage stehend, redet er ruhig über den Irrsinn der Nahrungsmittelindustrie. Als die Kamera ihn aus dem Augen läßt, hört man seine Stimme neben der Szene, ruhig wie zuvor: „Das als Fortschritt zu bezeichnen, das geht nicht mehr in meinen Kopf.“