© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/16 / 04. März 2016

Ein ostfriesischer Krimi
Archäologie: Die Sonnenscheibe von Moordorf soll eine Fälschung sein
Heiko Urbanzyk

Die letzte Woche verlief wie in einem Krimi“, schreibt die erste Vorsitzende Christine Günnel Ende Februar in einem Rundbrief an die Vereinsmitglieder des Moormuseums im ostfriesischen Moordorf. Es geht um die sogenannte Sonnenscheibe von Moordorf, deren Echtheit aktuell von einigen Wissenschaftlern angezweifelt wird. Deshalb fand am 20. Februar im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover ein internes Seminar „Neue Forschungen zur Goldscheibe von Moordorf“ statt. Die Beteiligten waren zunächst zum Stillschweigen über die Ergebnisse  verpflichtet. Ein Vertreter des Landesmuseums reiste „Hals über Kopf zu uns, um unsere Scheibe für Untersuchungen mitzunehmen. Als er erfuhr, daß es etwa 80 Nachbildungen gibt, fiel der Mann beinahe vom Hocker“, erklärte Günnel. „Davon hatten die in Hannover keine Ahnung.“ 

Die Sonnenscheibe von Moordorf: Sie hat einen Durchmesser von 14,5 Zentimeter und ein Gewicht von 36,17 Gramm. Straßen sind nach ihr in der kleinen Gemeinde Moordorf/Südbrookmerland benannt. Der Museumsverein vertreibt als Souvenir einen vergoldeten Schmuckanhänger der Scheibe.

Spuren von Werkzeugen aus der Bronzezeit fehlen

Der Status als einer der bedeutendsten Bronzezeitfunde Niedersachsens ist ihr gewiß. Im März 1910 fand der Bauer Vitus Dirks beim Graben auf dem Feld eine runde Scheibe, die er achtlos seinen Kindern zum Spielen gab. Dann stand sie jahrelang in seinem Stubenschrank, bevor er sie einem Hausierer für drei Mark verkaufte. 1926 erwarb das Landesmuseum in Hannover die Scheibe. Dort steht das Original bis heute. In der nordischen Bronzezeit (1500 bis 1300 v. Chr.) wurde die Sonnenscheibe, so vermuten Archäologen, die Grabbeigabe eines Priesters, der in Moordorf bestattet wurde. 

Robert Lehmann vom Institut für anorganische Chemie der Universität Hannover hält die Sonnenscheibe für ein modernes Imitat. Eine unerwartete Erkenntnis: Ursprünglich untersuchte der Metallurge die Goldscheibe von Moordorf, um zu beweisen, daß Goldfunde im oberbayerischen Bernstorf nicht aus der Bronzezeit stammen können. Mit dem AK Analytik-Verfahren, sollte anhand der Moordorfer Scheibe gezeigt werden, daß Gold aus der Bronzezeit einen höheren Kupfer- und Silbergehalt enthält, als die Bernstorfer Funde. „Er war sehr erstaunt, daß auch die Moordorfer Scheibe einen Reinheitsgrad von 99,4 bis 99,8 Prozent enthält“, heißt es in einem Protokoll, das der JF vorliegt. Gegen die Echtheit sprächen laut Lehmann zudem starke parallele Rillen oder Schleifspuren, die auf eine Bearbeitung mit einem elektrischen Gerät hinweisen. Hingegen fehlten typische Hammerspuren und Spuren von anderen Werkzeugen aus der Bronzezeit. 

Die Goldschmiedin und Bronzezeitexpertin Barbara Armbruster (Universität Toulouse) hält die Scheibe zweifelsfrei für echt. In Sargteilen von Echnaton sei ein ähnlich hoher Goldgehalt festgestellt worden. Die Scheibe aus Moordorf passe für sie ins Bild. Die Bearbeitung sei typisch für nordeuropäisches Goldblech in der Bronzezeit.

Thomas Terberger vom Landesmuseum in Hannover zweifelt nun sogar die offizielle Fundgeschichte an. Zu viele Widersprüche fänden sich in den schriftlichen Unterlagen. Für die damals Beteiligten könnte es ein einträgliches Geschäft in einer sonst ärmlichen Region gewesen sein.

Offiziell gilt die Sonnenscheibe weiterhin als echt. Die Fundgeschichte soll in Zusammenarbeit mit dem Moordorfer Museum neu beleuchtet, Rückstände auf der Rückseite der Scheibe sollen untersucht und datiert werden. Zudem wird die Fundstelle noch einmal neu untersucht.