© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/16 / 04. März 2016

Keine Lizenz, keine Zeitung
Pressefreiheit: Auch zwei Jahre nach der Krim-Annexion ist die Lage unabhängiger Medien dort schwierig
Ronald Gläser

Die Ukraine geht gegen Rußland in die Offensive. Zumindest auf musikalischer Ebene. Sie tritt mit einer Krimtatarin beim Eurovision Song Contest (ESC) an. 

Das alleine ist schon eine Provokation, denn seit zwei Jahren gehört die Krim zu Rußland. Präsident Putin hatte die überwiegend von Russen besiedelte Halbinsel kurzerhand annektiert, als die Kiewer Regierung wegen der Maidan-Revolution gegen Viktor Janukowitsch handlungsunfähig war. Die Krimtataren gehören neben der ukrainischen Minderheit zu den Gegnern der Angliederung an Rußland. 

Die Russen hingegen versuchen die Erinnerung an die Zugehörigkeit der Krim zu Kiew zu tilgen und haben erst kürzlich 150.000 Geschichtsbücher für den Schulunterricht drucken lassen, in denen laut Vertretern der Krimtataren weder Ukrainer noch Krimtataren erwähnt werden.

Und nun der Hammer: Jazzsängerin Jamala will nicht nur eine x-beliebige Schnulze trällern, sondern ihr selbstkomponiertes Werk „1944“. In diesem Jahr begann Stalin mit der Deportation der Krimtataren, weil sie mit der Wehrmacht gemeinsame Sache gemacht hatten. Tausende kamen dabei um. Erst während der Perestroika durften sie zurück in die alte Heimat. Jamala sagt über ihr trauriges Lied, das daran erinnert: „Ich habe es geschrieben, damit die Leute nicht vergessen, was damals passiert ist.“ 

Politische Lieder sind beim ESC verboten

Die Russen versuchen, den Auftritt der 32jährigen mit der Begründung zu stoppen, es handele sich um ein politisches Lied. Inhalte „politischer Natur“ sind nach den ESC-Regeln ausgeschlossen. Ob die Russen mit ihrem Appell durchdringen, ist unklar. Das ESC-Finale ist am 14. Mai in Stockholm.

Auf der Krim halten sich die Russen nicht mit Nachfragen auf. Bereits 2014 wurden die meisten Medien der neuen nationalen Minderheiten – also Ukrainer und Krimtataren – zugemacht (JF 42/14). Sie mußten ihre Lizenz neu beantragen, und die wurde in den seltensten Fällen erteilt. Diese Lizenzierungspflicht gilt nicht nur für elektronische Medien, sondern auch Verlage. 

„Die meisten oppositionellen Journalisten haben deswegen die Krim längst verlassen“, sagt Sarah Reinke von der Gesellschaft für bedrohte Völker. Der Druck und die Drohkulisse seien stark.

Der wichtigste Sender der Krimtataren ATR wurde im April 2015 geschlossen und operiert jetzt von der Ukraine aus. Er produziert sein Programm mit Journalisten, die im Untergrund arbeiten. Ihr Programm wird über Satellit auf die Krim ausgestrahlt. ATR wird als einziges Medium namentlich in der Resolution des EU-Parlaments vom 4. Februar erwähnt, die zahlreiche Menschenrechtsverstöße der Russen anprangert. ATR solle mehr Geld von der EU-Kommission bekommen, heißt es in dem Antrag. 

Eine Woche danach kam es auf der Krim zu einer Welle von Hausdurchsuchungen und Festnahmen. Vorwurf: extremistische Umtriebe. Vier Personen wurden festgenommen. Ende Februar wurde zudem der ukrainischen Journalistin Anastasia Ringis, deren Familie auf der Krim lebt, die Einreise verwehrt.

„Nur wenige Medien der Krimtataren haben die Annexion überstanden“, sagt Tamila Taschewa, die Koordinatorin der Untergrundorganisation SOS Krim. Internetprovider sperren im Auftrag der Regierung bestimmte Seiten. 

Überhaupt sei die Überwachung des Internets hart. „Ein falsches Like oder eine bestätigte Freundschaftsanfrage kann schon gefährlich sein“, resümiert Taschewa. Häuser würden durchsucht, Fensterscheiben eingeschlagen, Menschen verschwinden einfach. Die Webseite ihrer Organisation listet im Jahr 2015 neun Übergriffe gegen Journalisten auf, meistens Verhöre und Durchsuchungen.

Besonders problematisch sei der Mangel an Wissen über die Möglichkeiten der Behörden. „Digitale Selbstverteidigung ist nicht weit verbreitet auf der Krim“, so Taschewa. Viele Nutzer seien bei VK angemeldet, dem russischen Facebook. Oder sie nutzten E-Mailadressen mit der Länderkennung „.ru“. So sei ein Verdächtiger aus allen Wolken gefallen, als ihm seitenweise Chatprotokolle als Beweismaterial präsentiert wurden. „Kaum jemand weiß, wie anonyme Kommunikation funktioniert“, so die krimtatarische Bürgerrechtsakvistin.