© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/16 / 04. März 2016

Angelesene Bosheiten
Der Historiker Roman Töppel forscht nach den literarischen Ursprüngen von Hitlers „Volk und Rasse“-Kapitel in „Mein Kampf“
Stefan Scheil

Karl May ist es nicht gewesen. Auch Lanz von Liebenfels, Karl Haushofer oder Madison Grant können nicht zu den Vordenkern gezählt werden, die Adolf Hitlers 1924 veröffentlichte Anschauungen über „Volk und Rasse“ wesentlich geprägt hätten. Dieses Fazit zieht Roman Töppel, Mitherausgeber der Neuedition von „Mein Kampf“, in der Januar-Ausgabe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte.

Töppel ist bisher eher als Militärhistoriker bekannt geworden, etwa als Spezialist für die Schlacht bei Kursk im Juli 1943 oder zuvor als Analytiker der Stimmung zwischen den Sachsen und Napoleon im Jahr 1813. Für die vieldiskutierte Neuedition der von den Nationalsozialisten als „Buch der Deutschen“ inszenierten Kampfschrift hat man auch ihm im Institut für Zeitgeschichte die Aufarbeitung von Hitlers rasseideologischen Vorstellungen mit anvertraut. Das hat sich jetzt in einem eigenen Aufsatz in den VfZ niedergeschlagen. Dieser Seiteneinstieg ist durchaus interessant geworden, stößt aber zugleich an allzu bekannte Einschränkungen.

Hitlers Wunsch nach intellektuellem Respekt

In den vergangenen Jahren ist „Mein Kampf“ des öfteren als Grenzfall des deutschen Bildungsromans bezeichnet worden. Sein Autor hat darin bekanntlich behauptet, „unendlich viel gelesen“ zu haben, sich also dem Bildungsgut der Zeit auch ohne entsprechende Ausbildung aus eigener Kraft angenähert und es sich auf besondere Weise zu eigen gemacht zu haben. Mit dieser Bemerkung und vielen nachfolgenden der gleichen Art wollte er Eindruck machen und hat dies bei seinem Publikum offenbar immer wieder erreicht, gedruckt wie gesprächsweise. „Mein Kampf“ ist damit unter anderem als Versuch des Autodidakten zu bewerten, sich intellektuellen Respekt zu erwerben. Es könnte kaum deutlicher sein, daß sein Autor bemüht war, sich als Teil einer im Kern bereits vor ihm bestehenden Bildungswelt darzustellen. Von daher wirkt es befremdend, wenn sich Kritiker bevorzugt daran abarbeiten, ihm mangelnde Originalität nachzuweisen.

Davon ist Roman Töppels Aufsatz ebenfalls nicht frei, wenn auch zurückhaltend formuliert. Ein probates und naheliegendes Mittel für den Nachweis intellektueller Beeinflussung sieht er in der Ähnlichkeit bestimmter Formulierungen. Als Hitlers inspirierende Lektüre kommen für ihn nur Autoren und Bücher in Frage, die bereits zur Zeit der Abfassung von „Mein Kampf“ in deutscher Ausgabe vorgelegen haben. Eine direkte oder indirekte Beeinflussung des kommenden Diktators durch fremdsprachige Bücher schließt er aus. Diesem Grundsatz fällt etwa Madison Grant zum Opfer, der US-amerikanische Rassehygieniker, dem Hitler allerdings sogar Dankesbriefe für seine Veröffentlichungen geschickt haben soll.

So bleibt denn immer noch die Mammutaufgabe, einer Person mit umfassendem Lektüreanspruch und dem nachweislichen Privatbesitz Tausender Bücher sowie der nicht mehr direkt nachweislichen Kenntnisnahme dessen, was in Wien und München zwischen 1910 und 1920 so alles gedruckt, geredet oder aufgeführt wurde, ihre intellektuelle Biographie zu erstellen. Das geht allenfalls ansatzweise und ist im übrigen eine Zeitreise in ein vergangenes deutsches Land, in dem Lektürekenntnis überhaupt als Qualitätsmerkmal gegolten hat.  

Die von Töppel auf seine Weise letztlich ermittelte Liste derjenigen, die Hitler die Ideen für das mit der berüchtigten „Feldmaus geht nur zu Feldmaus“-Formulierung eingeleitete Kapitel von „Mein Kampf“ gaben, enthält neben den eingangs erwähnten gestrichenen weiterhin viele bekannte Namen. Dazu zählen Dietrich Eckart, Alfred Rosenberg, Richard Wagner, Theodor Fritsch und Houston Stewart Chamberlain. Weniger prominente Mitglieder und Neuentdeckungen in dieser Gruppe sind Nationalsozialisten der zweiten Reihe wie Paul Bang, der sich 1919 besonders scharf mit der Argumentation hervorgetan hatte, die Jahre 1912 bis 1918 seien eine einzige jüdische Verschwörung gewesen.

Töppel betont selbst, daß Hitler „weitaus einseitiger und radikaler“ argumentiert habe, als „die Autoren, die ihn nachweislich oder wahrscheinlich beeinflußten“. Da stellt sich dann die Frage, wie weit dieser Einfluß tatsächlich reichte und ob man nicht besser damit fahren würde, Hitler als eigenständigen und zugleich keineswegs systematischen Denker anzusehen. Er polemisierte und spitzte möglicherweise zu, wie er es für das damalige Publikum angemessen fand, bei dem in Europa und Nord-amerika vielfach Ansichten zu finden waren, die heute landläufig als rassistisch oder völkisch gelten würden. 

Zufällige und zeittypische Allgemeinbildung

Es gibt etliche Anzeichen dafür, daß ihm die Unstimmigkeiten mancher Äußerungen ebenso bekannt wie unwichtig waren. Noch in den letzten Bunkertagen des Jahres 1945 sinnierte er darüber, was es mit der jüdischen Rasse auf sich habe, spielte mögliche biologische Gemeinsamkeiten herunter und kam zur Auffassung, es handle sich wohl im wesentlichen um „geistige Rasse“. Was immer das nun genau sein sollte: Letztlich deutet wohl viel darauf hin, daß es sich bei diesen ganzen Äußerungen um politische Willens- und Rechtfertigungsbekundungen gehandelt hat, geäußert auf der Basis einer zufälligen und zugleich zeittypischen Allgemeinbildung, die viele Fragen offengelassen hatte oder als Scheinfragen sowieso offenlassen mußte.

„Antisemitismus im Frühwerk von Karl May“ mag deshalb auch weiterhin seine Berechtigung als Thema für Oberstufenfacharbeiten an deutschen Gymnasien haben, wenn die Schüler auf judenfeindliche Tendenzen in der deutschen Literatur hingewiesen werden sollen. Dieser Teil der heutigen Allgemeinbildung pflegt sein spezifisches Eigenleben, ob er nun mit dem speziellen Fall „Mein Kampf“ etwas zu tun hatte  oder nicht.