© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/16 / 04. März 2016

Unbekanntes Wunderwerk Giraffenkörper
Genetische Grundlagenforschung im Dienst des Artenschutzes
Karsten Warnke

Obwohl sie mit durchschnittlich fünf Metern Körperhöhe eigentlich nicht zu übersehen sind, nimmt die zoologische Forschung Giraffen (Giraffa camelopardalis) nicht hinreichend wahr. „Nur wenige hundert wissenschaftliche Veröffentlichungen“, so resümiert der seit 2011 mit der Genetik des Wiederkäuers beschäftigte Biologe Axel Janke (Uni Frankfurt und Senckenberg-Institut), widmeten sich bislang der Giraffe. Daher wisse man nicht einmal, welche Laubbäume die Tiere als Nahrung bevorzugen, wieviel sie fressen, wie sie leben, in Herden, Familien oder losen Verbänden. Existieren weniger oder mehr als die geschätzten 80.000 Exemplare? Welchen Einfluß haben sie auf das Ökosystem und worin unterscheiden sie sich? Zu den größten Rätseln zählt das „Wunderwerk“ ihres Herz-Kreislauf-Systems. Wie schafft es das Giraffenherz, 400 Liter Blut pro Minute durch die Adern des Tieres bis in den mitunter sieben Meter hohen Kopf zu pumpen?

Gesamtbestand seit 2000 um 40 Prozent eingebrochen

Fest steht immerhin, daß die Giraffenpopulationen in ganz Afrika, mit Ausnahme Namibias und Nigerias, stark rückläufig sind. Um 40 Prozent ist der Gesamtbestand seit 2000 eingebrochen. In sieben Ländern ist die Giraffe bereits ausgestorben, Unterarten wie die Thornicroft-Giraffe (1.000 Exemplare) stehen kurz davor, und trotzdem gilt sie als Art weiterhin als „nicht gefährdet“.

Was für Janke nicht heißt, auf Schutzmaßnahmen zu verzichten. Um die effizienter ins Werk zu setzen, will Janke am Senckenberger Forschungszentrum genetisch gestützte neue Aufschlüsse über die Evolution und Biodiversität der Tiere gewinnen. Bisher sei nämlich unklar, ob es sich bei den einzelnen Populationen nur um Varianten der Art Giraffe handelt oder ob sie genetisch isolierte Einheiten darstellen, die sich untereinander nicht durchmischen.

Sollte sich herausstellen, daß sie genetisch isoliert sind, könne man einige Populationen nach dem biologischen Artkonzept als eigene Arten und nicht mehr als Unterarten oder Rassen einstufen. Ist ihr genetischer Status bestimmt, wisse man endlich, welche Populationen zu schützen seien. Derzeit untersucht Jankes Forschergruppe kerncodierte Gene von 102 Giraffenindividuen, die gewonnen wurden in Kooperation mit der Giraffe Conservation Foundation (GCF), deren Mitarbeiter in kriegs- und krisengeschüttelten Beobachtungsgebieten Afrikas teilweise unter Lebensgefahr nach Hautproben jagen. Erste Ergebnisse scheinen zu bestätigen, daß drei bis vier getrennte Unterarten in Nordwest-, Ost- und Südafrika leben. Mit diesen Erkenntnissen könne die GCF nun gezielter für die Erhaltung der Diversität der Giraffen in deren Lebensraum hinwirken (Senckenberg. Natur – Forschung – Museum, 9-10/15).