© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/16 / 11. März 2016

Bürger laufen Sturm
Hamburg: Unterschriften gegen Asyl-Großunterkünfte in Rekordzeit gesammelt
Michael Johnschwager

Als die Initiatoren der Volksinitiative „Hamburg für gute Integration“ am Mittwoch vergangener Woche 26.000 Unterschriften im Rathaus der Hansestadt präsentierten, war klar: Der Streit um die Unterbringung Zehntausender Flüchtlinge hat der Elbmetropole die erfolgreichste Volksinitiative aller Zeiten beschert. Laut Gesetz hatte die Initiative eigentlich sechs Monate Zeit, um die erforderlichen 10.000 Stimmen zu sammeln – sie schaffte es in viereinhalb Tagen. „Das ist eine unglaubliche Zahl. Die Hamburger haben teilweise Schlange gestanden, um unterschreiben zu können“, berichtete der Sprecher des Dachverbands der „Initiativen für erfolgreiche Integration Hamburg“, Klaus Schomacker. 

Wie vielerorts in Deutschland wird es auch in Hamburg für die Behörden immer schwieriger, die wachsende Zahl von Flüchtlingen unterzubringen. Der rot-grüne Senat des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD) setzt dabei auf acht Großsiedlungen, von den Anwohnern mit bitterem Unterton „Olaf-Scholz-Siedlungen“ genannt. Die Angst der Betroffenen: je mehr Ausländer auf einem Haufen wohnen, desto schwieriger lassen sie sich integrieren.

Doch der Senat beharrte auf seinem Konzept und traf Entscheidungen, ohne die Betroffenen dabei einzubeziehen. Lange und geduldig hatten diese immer wieder das Gespräch gesucht. Doch der Senat ließ keinerlei Bereitschaft erkennen, sein Konzept zu überdenken. Derart bevormundet, setzen sich Bürger zur Wehr. Im Januar schlossen sich sieben Bürgerinitiativen, die sich im Umfeld der geplanten Großsiedlungen gegründet haben, zum „Dachverband für erfolgreiche Integration Hamburg“ zusammen. Das Ziel der Initiative: Statt in acht Großsiedlungen sollen die Flüchtlinge an mehreren Standorten möglichst dezentral angesiedelt werden. Und das gerecht verteilt über den gesamten städtischen Raum. Denn in 45 von 104 Hamburger Stadtvierteln lebt bislang kein einziger Flüchtling, rechneten die Bürgerinitiativen vor. „Wir fordern nicht ‘Keine Flüchtlinge’, wie uns oft von der Politik unterstellt wird, sondern erwarten und stehen für einen transparenten und nachhaltigen Umgang mit dem Thema – im Interesse der Flüchtlinge und der Bürger“, sagte der Vorsitzende der Initiative Lebenswertes Klein-Borstel, Olaf Peter, bei der Gründung des Dachverbandes. Die Initiatoren werfen Scholz vor, mit seinen Plänen die Gesellschaft zu polarisieren, statt die betroffenen Anwohner in die Entscheidungen einzubeziehen. Der Senat versuche stattdessen Baumaßnahmen mit Hilfe des Polizeirechts „unter Umgehung eines rechtsstaatlichen und demokratischen Prozesses“ durchzusetzen.

Der rot-grüne Senat will Volksentscheid verhindern

Der Dachverband warnt vor Ghettos und Parallelgesellschaften. Dazu verweist er auf wissenschaftliche Studien, die belegten, daß eine erfolgreiche Integration wahrscheinlicher sei, wenn maximal 300 Menschen in einer Einrichtung untergebracht werden. Eine Kernforderung sieht vor, über einen Mindestabstand zwischen den Einrichtungen ab 100 Einwohnern (etwa 1.000 Meter Luftlinie) zu gewährleisten, daß Flüchtlinge verschiedene soziale Einrichtungen nutzen. Statt gesonderter Flüchtlingsquartiere sollten das Wohnungsbauprogramm aufgestockt und private Unterkünfte genutzt werden. Zudem könnten 20.000 Dachgeschosse ausgebaut und Abrißhäuser instand gesetzt werden, fordert der Dachverband.

 Schützenhilfe für die Bürgerinitiativen kommt von der CDU-Opposition in der Bürgerschaft. „Faktisch sind die Pläne von SPD und Grünen zum Bau von Massenunterkünften damit gescheitert“, kommentierte deren innenpolitischer Sprecher, Dennis Gladiator, die Unterschriftenaktion. Den Senat forderte die Union auf, einen Baustopp für die geplanten Siedlungen zu verhängen. Zur AfD versuchen die Initiatoren dagegen Distanz zu halten. Diese reagierte mit Verständnis angesichts der Gefahr, „in die rechte Ecke gestellt zu werden“ und versicherte, die Initiative nicht parteipolitisch mißbrauchen zu wollen. Einen Seitenhieb auf die Union konnte sich AfD-Fraktionsvize Bernd Baumann allerdings nicht verkneifen: „In Hamburg ist die CDU gegen Großsiedlungen, in Berlin läßt die CDU hingegen täglich neue Flüchtlinge gegen geltendes Recht ins Land. Das ist schizophren.“

Mit der Volksinitiative muß sich jetzt die Bürgerschaft befassen. Wenn die Parlamentarier dem Anliegen nicht innerhalb von vier Monaten zustimmen, können die Initiatoren ein Volksbegehren einleiten. Innerhalb von drei Wochen müßten dann Unterschriften von fünf Prozent der Wahlberechtigten gesammelt werden (60.000 Bürger). Es wäre zugleich der erste Schritt für einen Volksentscheid, der dann nach vier weiteren Monaten stattfinden würde, vermutlich zeitgleich mit der Bundestagswahl 2017.

Doch dazu wird es kaum kommen. Die abgeschmetterte Olympia-Bewerbung ist dem Senat noch frisch im Gedächtnis. So beeilte sich denn auch SPD-Fraktionschef  Andreas Dressel, den Forderungen des Dachverbandes entgegenzukommen. Sein sonst naßforscher Umgangston ist einer auffallend moderaten Diktion gewichen: „Wir müssen einen machbaren Weg austarieren.“ Beobachter erwarten, daß der Senat auf die Bürgerinitiativen zugehen wird – und diese wiederum ebenfalls Abstriche bei ihren Forderungen machen. Die Großsiedlungen in dieser Form dürften jedenfalls nach der Rekord-Volksinitiative nicht eins zu eins umgesetzt werden.