© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/16 / 11. März 2016

Im Reich des ewigen Präsidenten
Dokumentation: Für „Im Strahl der Sonne“ filmte Vitaly Mansky in Nordkorea
Sebastian Hennig

Unsere freiheitliche demokratische Grundordnung erstrahlt in besonders festlichem Glanz, sobald wir ihr die dunkle Folie fremder Schurkerei hinterlegen. Der Kontrast kann wahlweise mit islamistischen Terrorbanditen, neunzigjährigen NS-Verbrechern oder dem bizarren Regime von Nordkorea erzeugt werden. Dort hat Vitaly Mansky ein Jahr lang gefilmt. Die Unterstützung der Behörden der Volksrepublik wurde ihm zu umfassend, so daß er sich noch vor der Endproduktion mit den Koreanern entzweite. Gleichwohl wird neben Rußland, Deutschland, Tschechien und Lettland Nordkorea als Produktionsland von „Im Strahl der Sonne“ angeführt.

Der Film begleitet das achtjährige Mädchen Zin-mi aus Pjöngjang. Mansky durfte sie aus einer Gruppe von fünf Schülerinnen aussuchen. Ihre Aussagen ließen ihn hoffen, ein glaubhaftes Bild einheimischer Familienverhältnisse zu erhalten. Doch zu Drehbeginn war davon keine Spur mehr zu finden. Setdesigner und Location-Scouts hatten das Leben des Mädchens präsentabel überbaut. Deren Inszenierung sollte er nun abfilmen.

Mansky zeigte sich listig. Daß er die Kamera auch vor und nach den gestellten Szenen laufen läßt, informiert uns aber letztlich weniger über die Tatsachen in Nordkorea, als über die allgemeinen Umstände eines Filmdrehs. Die Enthüllung der endlosen Wiederholung, der Anweisungen, mit denen die Aufpasser die Spontaneität inszenieren, und von Darstellern, die immer stärker übertreiben, wirken mit der Zeit weniger erhellend als ermüdend. Zwar ist beinahe jeder Film, Dokumentationen eingeschlossen, vergleichbar unaufrichtig. Nur wird uns das in der Schnittfassung meist sorgfältig verborgen. Die Fähigkeit eines Regisseur liegt darin, einen Ausgleich zu bewirken und damit der Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen.

Vitaly Mansky bleibt dagegen holzschnittartig. Er bestätigt, was alle Vorgänger schon berichteten, zum Beispiel die Bewachung und Verhinderung jedes privaten Kontaktes. Unkontrollierte Aufnahmen können nur mit List an den Kontrollen vorbeigeschmuggelt werden. Er inszeniert sich damit selber im Mythos vom unbestechlichen Filmer, der mit skrupellosen Regisseuren der Macht ringt. Der Hollywood Reporter nennt das dann „eine faszinierende Studie über staatliche Propaganda und die dunkle Wahrheit, die hinter ihr lauert“.

Mansky sagt selbst: „Ich wollte einen Film über das echte Leben in Nordkorea drehen. Aber es gibt dort kein echtes Leben, wie wir es kennen. Es gibt lediglich eine bestimmte Vorstellung vom ‘richtigen’ Leben. Unser Film zeigt in Wirklichkeit eine große Täuschung.“

Was aber kann sich der Regisseur von der Zusammenarbeit anderes versprochen haben? Sein Film bleibt eine vertane Chance. Im Kontrast zwischen dem großen Gepränge der staatstragenden Feste und den schlichten Außenaufnahmen hätte viel mehr von den echten Spannungen des koreanischen Lebens durchdringen können.

Einzelne Bilder lassen dieses Potential erahnen, zum Beispiel wie die Nachbarschaft bei eisigem Winterwetter zu Zählkommandos ihre Morgengymnastik verrichtet, wie im Klassenzimmer nur ein einziges mobiles Heizgerät steht, wie die alten Wagen der Berliner Untergrundbahn, in den Scheiben noch die Ritzzeichen des großstädtischen Vandalismus, von den kleinen Menschen mit aller Kraft aufgestemmt werden. Als die Veteranen sich beim Festakt erheben, um den Kindern die roten Halstücher umzubinden, klingen die schweren Orden an ihren Röcken wie ein Glockenspiel. Ein Mädchen wehrt sich tapfer gegen die Schläfrigkeit, als ein alter Kämpfer vor Schülern berichtet, warum sie die Amerikaner besiegt haben: „Weil sie anders sind als wir. Weil sie Feiglinge sind.“ Auf den Straßen beschwört ein Lautsprecherwagen den Geist der Einheit. Korea wird als das schönste Land der Erde gepriesen, in dem die Sonne zuerst aufgeht.

Wer wirklich verstehen will, was hier passiert, dem vermitteln die Aufsätze und Reportagen von Peter Scholl-Latour eine Ahnung davon, welche Rolle das Militär spielt und wie die zweifellos allgegenwärtige Indoktrination verbunden ist mit einem äußerst zähen Patriotismus, der sich aus dem Befreiungskrieg gegen Japan und die USA nährt.

Als sich die Familien in der Blumenausstellung zum Fotografieren aufstellen, wird die erstaunliche Eigenwilligkeit in den Gesichtszügen der einzelnen in der kollektivierten Menge sichtbar.

Der Film endet reißerisch damit, daß Zin-mi in Tränen ausbricht. Ein achtjähriges koreanisches Mädchen hat genügend Grund dazu, wenn hinter der Kamera europäische Langnasen auf Merkmale des echten Lebens im falschen lauern. Zin-mi beantwortet die Frage, was der Beitritt zu den Jungpionieren für sie bedeutet. Sie sei nun erwachsen, habe Verantwortung für ihr Handeln und müsse sich überlegen, wie sie sich dem großen Führer noch wohlgefälliger erweisen könne.

Die Auswüchse des Regimes in Nordkorea wirken zweifellos empörend auf uns. Davon wird Manskys Film allerdings auch nicht redlicher.