© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/16 / 11. März 2016

Schmelzender Klang aus dem Graben
Vorgeschmack auf einen neuen Dresdner „Ring des Nibelungen“: Wiederaufnahme der „Walküre“ unter Chefdirigent Christian Thielemann
Sebastian Hennig

Überraschend löste vor zwei Jahren die sächsische Kunst- und Wissenschaftsministerin Sabine von Schorlemer den Vertrag mit dem designierten Intendanten der Semper-oper Serge Dorny wieder auf. Unter vielen Punkten, über die bald prinzipielle Uneinigkeit aufgekommen war, befand sich eine geplante Neuinszenierung des kompletten „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner. Diese für die Zusammenarbeit der Staatskapelle mit ihrem Chefdirigenten Christian Thielemann wesentliche Unternehmung hatte der Belgier absagen wollen. Spätestens danach galt er selbst als nicht mehr sonderlich angesagt in Dresden.

Die Umstände seiner Kündigung wurden zwar inzwischen vom Landgericht Dresden als juristisches Unrecht erkannt, was dem Kläger anderthalb Millionen Schadenersatz einbrachte. Als künstlerische Notwehr blieb die Maßnahme gleichwohl gerechtfertigt. Beinahe exakt zwei Jahre nach dem Kündigungstermin erhalten die Opernfreunde als Beweis dafür eine von Thielemann dirigierte „Walküre“ vorgelegt.

Selbstredend ist ein „Ring“ in Dresden an besondere Erwartungen geknüpft. Dessen Schöpfer erlebte hier als Kapellmeister mit seinem „Rienzi“ den größten Erfolg seines Lebens. Der Klang des Orchesters veranlaßte ihn gar, von einer „Wunderharfe“ zu reden, und seinen späteren Nachfolger im Amt, Ernst Edler von Schuch, nannte er wortspielerisch, den einzigen Schuch, der ihn nicht drückt. Schon in den 1880er Jahren und dann noch einmal 1913 kurz vor seinem Tod hat dieser einen kompletten „Ring“ in Dresden aufgeführt. In den Dreißigern fanden unter Fritz Busch und Karl Böhm zwei weitere Gesamtinszenierungen statt. In den fünfziger Jahren gelangten derartige Bemühungen nicht über die „Walküre“ hinaus. Als dann 2001 bis 2003 nach sehr langer Pause wieder ein „Ring“ in Dresden auf die Bühne gelangte, blieben Inszenierung und musikalische Durchführung weit hinter den gespannten Erwartungen zurück. Oper und Orchester befanden sich damals nicht in der besten Verfassung. Der letzte Dresdner „Ring“ hinterließ einen blassen, notdürftigen Eindruck.

Das Orchester erzielt zauberische Wirkungen

„Die Walküre“ ist von den einzelnen Teilen der Tetralogie das Stück mit den besten Aussichten auf eine erfolgreiche einzelne Aufführung. Sie gab jetzt den Vorgeschmack für den künftig erwarteten Dresdner „Ring“. Mit der Wiederaufnahme müssen die schleppenden Regieeinfälle von Willy Decker weiter mitgeschleppt werden. Zugleich konnte aber die musikalische Durchführung kräftig revidiert werden.

Die Staatskapelle läßt in der ersten Szene wunderbar leise durchdringende solistische Streicher erklingen, die nahezu ersterben und dann wieder sachte anschwellen aus einer souveränen Kraft, die sich nicht verausgaben muß. Die Klarheit, mit der die einzelnen Instrumente auch sonst herauszuhören sind, ist keine kammermusikalische Dekonstruktion. Schwebend und dicht erfüllen sie in unablässiger Präsenz das ganze Haus.

Das Orchester beweist zuverlässig, wie sich zauberische Wirkungen erzielen lassen. Makellosigkeit ist weniger das Ziel als die Voraussetzung. Das sichere Gefühl des Könnens steigert sich im gelösten Spiel zu überirdischer Freude.

Die Freude am stimmkräftigen Siegmund wird allerdings ein wenig durch den deutlich vernehmbaren Akzent des Briten Christopher Ventris getrübt. Die meisten großen Rollen müssen eben heute aus einem polyglotten Wanderzirkus berufen werden. Wie schön wäre es, für das deutsche Repertoire hierzulande wenigstens an einer Handvoll großen Häusern erstklassige Ensembles zur Verfügung zu haben.

Augenblicke der Erfüllung, in denen die Einheit mit ihrer Rolle restlos verwirklicht ist, sind vor allem Petra Lang als Sieglinde und Nina Stemme als Brünnhilde zu danken. Christa Mayer war schon vor fünfzehn Jahren unter der Walkürenschar. Nun ist sie Wotans Gemahlin. Ihre Fricka ist weit weniger schrill und keifend, als es sonst bei dieser Rolle der Fall zu sein pflegt. Die eindringliche Bekümmernis und verzweifelte Würde, in der sie auf Wotan eindringt, verbinden sich harmonisch mit dem schmelzenden Klang, der aus dem Orchestergraben dringt. Auch Georg Zeppenfeld verengt seinen Hunding nicht zum dumpfen Finsterling. Eine gebundene Schönheit ist das oberste Gebot der musikalischen Seite dieser Aufführung.

Die Pantomime von Wotan wirkt albern

Das Beste, was sich von der Inszenierung sagen läßt, besteht im aufgeräumten Blickfeld eines den Sängern freundlichen Bühnenbildes. Die Fortsetzung der Sitzreihen des Zuschauerraums auf die Bühne hinauf ist als Idee mutwillig und wirkt inzwischen wieder antiquiert. Sicher ungewollt, entsteht dadurch ein erweitertes Raumgefühl im Publikum. Die Kargheit vorn unterstreicht die Feierlichkeit des Theaterbaus, von dem die Zuschauer umgeben sind. Blickfang in Sichtrichtung werden damit die bauchigen Proszeniumslogen mit den Vorhängen. Ihr Prunk läßt die Bauten vorn wie bei einer Stellprobe auf neutraler Probebühne wirken.

Albern wirkt die Pantomime, die Wotan plötzlich teilnehmend hervorspringen läßt, ohne daß er eigentlich in der Handlung gefragt wäre. Er soll damit wohl als, ironischerweise scheiternder, Regisseur wahrgenommen werden. Das Finale verlangt ihm sängerisch einiges ab. Leider muß Markus Marquardt sich über die dortigen Hürden ziemlich dehnen, wo eigentlich der Stimme ruhiges Fließen erforderlich wäre. Brünnhilde legt sich auf einer riesigen Eierschale nieder. Während Dampf aufsteigt, erstrahlen unter ihr die Reihen der Theatersessel im Scheinwerferlicht gleich glühenden Holzkloben.

Vor allem die Staatskapelle und ihr Chefdirigent lassen Dresden wieder zu einem verläßlichen Ort auf der Achse des Guten werden. In der deutschsprachigen Opernwelt umfaßt diese Wien, Berlin und München, und in diesem Falle auch wieder Dresden, wo die vier Aufführungen des „Lohengrin“ im Mai mit Anna Netrebko als Elsa seit langem ausverkauft sind.