© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/16 / 11. März 2016

Hat die Kernenergie eine Zukunft in Deutschland?
Das Restrisiko ist und bleibt zu groß
Volker Kempf

Der Ausstieg aus der Atomkraftnutzung ist eine Frage der Versorgung mit Elektrizität. Es gibt andere Methoden der Erzeugung von Elektrizität als durch Atomkraft. Insofern ist Atomstrom nicht alternativlos, sondern eine Entscheidungsfrage. Jede Art der Stromerzeugung hat spezifische Vor- und Nachteile. Der Nachteil der Atomstromproduktion liegt darin, daß diese mit einem Restrisiko eines atomaren Unfalls behaftet ist und die Endlagerungsfrage ungelöst bleibt.

Zweimal gab es bereits einen Größten Anzunehmenden Unfall (GAU), in Tschernobyl und in Fukushima. Der Mensch, ein „krummes Holz“, wie Immanuel Kant einmal befand, neigt zu Terror und Krieg. Derzeit wieder vermehrt. Atomkraftwerke in einem dichtbesiedelten Land wie Deutschland gleichen vor diesem Hintergrund atomaren Minen. Der Kreativität zu zerstören sind keine Grenzen gesetzt und machen vor Atomanlagen nicht halt. Mit dem Schlimmsten sollte immer gerechnet werden.

Wer so mit hochbrisanten Sicherheitsfragen umgeht und Profit über alles stellt, verdient kein Vertrauen mehr. So mag es noch genug Uran für den Betrieb vieler weiterer Atomkraftwerke geben, aber die wichtigste Ressource, Vertrauen, ist aufgebraucht.

Auskünfte über die militärische Sicherheit von Atomanlagen fließen aber spärlich. Bei einer öffentlichen Diskussion von Gutachten bleiben entscheidende Fragen gerne mit Verweis auf Militärgeheimnisse unbeantwortet. Damit bliebe in letzter Konsequenz blindes Vertrauen in besser informierte Experten eine Voraussetzung der AKW-Nutzung.

Wenig vertrauenswürdig ist auch der ganze Komplex um die Endlagerung. Die Grube Asse wurde zwischen 1967 und 1978 als billiges Atomlager verwendet. Die Politik spielte mit. Nach dem technisch Bestmöglichen wurde hier nicht gefragt, sondern nach einer billigen Zwischenlösung, die uns heute teuer zu stehen kommt.

Wer so mit hochbrisanten atomaren Sicherheitsfragen umgeht, Profit über alles stellt, verdient kein Vertrauen mehr. So mag es noch genug Uran für den Betrieb vieler weiterer Atomkraftwerke geben, aber die wichtigste Ressource, Vertrauen, ist aufgebraucht. Das ist in erster Linie eine politische Frage, keine technische, die sich die Atomstromwirtschaft selbst zuzuschreiben hat.

Der Umgang mit Informationen nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl war seitens der UdSSR selbst eine Katastrophe. Aber auch der Westen wurde unvorbereitet getroffen. Die Bundesrepublik begann erst während der erforderlichen Schutzmaßnahmen, einen Grenzwert für eine noch tolerierbare Belastung mit radioaktivem Jod in der Milch festzulegen. Nach Eintritt der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wurde erst klar, was alles noch mit Unwissen behaftet ist und im Umgang mit Radioaktivität nicht bedacht wurde. Fukushima ist weit weg – ein Glück, auf das sich niemand verlassen kann. Auf der ganzen Welt ist der Mensch nicht allwissend, denn das hieße, ihn gottgleich zu machen.

Weil Atomreaktoren und deren Betrieb radioaktive Risiken über Jahrhunderttausende schaffen und damit einen kaum zu kalkulierenden Zeitraum in Anspruch nehmen, aber auch wegen der konkreten Gefahren im Hier und Heute, sind andere Ener-gieerzeugungsmöglichkeiten zu nennen und deren spezifischen Nachteile in Rechnung zu stellen. Die Nutzung der Windkraft etwa wäre ein schwacher Ersatz. Sie ist großen Schwankungen durch die Launen des Windes ausgesetzt und produziert Strom nur unzuverlässig. Die Belastungen von Natur und Landschaft sind beachtlich. Im Zusammenhang mit den atomaren Risiken betrachtet, ist bemerkenswert, daß für Windkraftanlagen Stoffe in China abgebaut werden, deren Abbau selbst radioaktiven Abraum mit sich bringt. In China verseuchen Thorium und Uran inzwischen weite Landstriche.

Auch die Solarstromgewinnung ist, ähnlich wie Windstrom, den Kapriolen des Wetters ausgesetzt und hilft von daher schon nicht wirklich weit. Wasserkraft ist da zuverlässiger und naturverträglicher, aber nicht in ausreichender Menge vorhanden. Die unbequeme Wahrheit lautet, daß die Alternative zu Atomstrom eine ist, die Klimaschützer schaudern läßt: Ohne Gas und Kohle geht es nicht. Zu dieser unbequemen Tatsache gehört es, daß es keine saubere Angelegenheit sein kann, den Energiehunger von über sieben Milliarden Menschen zu stillen, sondern eine, bei der Prioritäten gesetzt werden müssen. Gegen die Nutzung von Atomkraft spricht vieles, aber ohne eine Beschränkung des Weltbevölkerungswachstums werden Natur und Umwelt stets in irgendeiner Form das Nachsehen haben.






Volker Kempf, Jahrgang 1968, ist Vorsitzender der Herbert-Gruhl-Gesellschaft e. V. Der diplomierte Sozialwissenschaftler ist im Kreistag Breisgau-Hochschwarzwald Mitglied in den Ausschüssen für Wirtschaft, Verkehr und Umwelt sowie für Verwaltung und Finanzen.