© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/16 / 11. März 2016

Eine Strafexpedition mit Folgen
Pershing-Raid: Das Eingreifen der USA in den mexikanischen Bürgerkrieg im Frühjahr 1916 eskalierte beinahe zum staatlichen Konflikt
Wolfgang Kaufmann

Nach dem Sturz des mexikanischen Diktators Victoriano Huerta durch einander konkurrierende Gruppen von Revolutionären entspann sich 1915 ein Machtkampf zwischen Venustiano Carranza, der als neue „Exekutivgewalt“ auftrat, und dem Führer der Rebellenarmee División del Norte, Francisco „Pancho“ Villa. 

In dessen Verlauf wurde die anfangs 50.000 Mann starke Bürgerkriegstruppe des letzteren systematisch dezimiert, bis schließlich nur noch an die 1.000 Guerilleros übrigblieben. Parallel hierzu signalisierten die USA ihre Bereitschaft, Villas Intimfeind Carranza als legitimes Staatsoberhaupt von Mexiko anzuerkennen. In dieser Situation beschloß der ebenso cholerische wie gewiefte „General“, terroristische Attacken gegen US-Bürger und -Einrichtungen zu starten, um Amerika für seine Parteinahme zu bestrafen und zugleich einen Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko heraufzubeschwören, der Carranzas Position schwächen sollte.

Dabei wagte sich Villa auch mehrmals auf das Territorium des nördlichen Nachbarlandes vor. Sein größter derartiger Coup war der Überfall auf die Garnisonsstadt Columbus in New Mexico. In den frühen Morgenstunden des 9. März 1916 drangen etwa 380 „Villistas“  unter dem Kommando von Francisco Beltrán, Candelario Cervantes, Nicolás Fernández und Pablo López in die Ortschaft ein, während Villa mit weiteren 100 Mann als Reserve bereitstand. Daraufhin kam es zu einem Feuergefecht mit Soldaten des 13. Kavallerieregiments der US Army, die den Angreifern eine vernichtende Niederlage bereiteten: 105 von ihnen wurden getötet, verwundet oder gefangengenommen. 

Allerdings verloren bei der Aktion auch zehn amerikanische Zivilisten und einige Soldaten ihr Leben. Deshalb war für Präsident Woodrow Wilson nun das Maß voll: Noch am selben Tag beauftragte er Brigadegeneral John „Black Jack“ Pershing, in den mexikanischen Bundesstaat Chihuahua einzumarschieren und Villa sowie die sonstigen Verantwortlichen für die Aktion in Columbus zu fassen oder „unschädlich“ zu machen. Pershing schien hierfür besonders geeignet, denn er hatte bereits den Aufstand der muslimischen Moro-Rebellen auf den Philippinen niedergeschlagen und galt als Meister der Guerillabekämpfung.

Kämpfe auch mit regulärer mexikanischer Armee

Seine hastig zusammengestellte Provisional Division, die aus drei Kavallerie- und Infanteriebrigaden sowie der 6th Field Artillery, Sanitäts- und Signaleinheiten und einer Fliegerstaffel bestand, überquerte die mexikanische Grenze bereits am 14. März 1916. Anschließend drangen die rund 10.000 Teilnehmer der Strafexpedition bis zu 400 Meilen nach Süden vor, wobei es ihnen tatsächlich gelang, mehrere kleinere Verbände der „Villistas“ aufzureiben – allerdings blieb deren oberster Anführer unbehelligt. 

Mehr noch: Francisco Villa profitierte sogar von der US-Intervention, weil er nun wieder stärkeren Zulauf erhielt und eine neue Streitmacht aufstellen konnte, die es ihm erlaubte, den Privatkrieg gegen Carranza fortzusetzen. Und sein Kalkül, mit dem Überfall auf Columbus einen Keil zwischen Washington und die Regierung in Ciudad de México zu treiben, ging ebenfalls auf. Im Zuge der US-Operation ereigneten sich zahlreiche Zusammenstöße zwischen der regulären mexikanischen Armee und den Truppen Pershings, so zum Beispiel in Carrizal, wo am 21. Juni 1916 zwölf Angehörige der 10th US Cavalry fielen und 24 gefangengenommen wurden. 

Hierdurch standen die Vereinigten Staaten und Mexiko bald am Rande eines Krieges, was Wilson dazu bewog, auf Deeskalation zu setzen und die Expeditionsarmee drastisch zu verkleinern. Immerhin war inzwischen klar, daß es den USA nicht mehr lange möglich sein würde, sich aus dem Konflikt zwischen der Entente und den Mittelmächten in Europa herauszuhalten. Darüber hinaus stießen auch die Kosten des Mexiko-Feldzuges von mehreren hunderttausend Dollar pro Tag auf wachsende Kritik.

Allerdings mußte es erst noch zum Scheitern von Wilsons Versuch kommen, zwischen den Kriegsparteien in Europa zu vermitteln. Dann erteilte er am 27. Januar 1917 den Befehl, die Strafexpedition gegen „Pancho“ Villa komplett abzubrechen. Dem folgte der umgehende Rückzug des Restes der Provisional Division bis zum 7. Februar. 

Genau drei Monate später wurde der nunmehrige Generalmajor Pershing zum Oberkommandierenden der US-Streitkräfte in Europa ernannt, denn nun befand sich Amerika tatsächlich im Krieg mit Deutschland, wofür nicht zuletzt auch das vom britischen Marinegeheimdienst publik gemachte Planspiel des deutschen Gesandten Arthur Zimmermann (Zimmermann-Depesche, JF 44/13) mitverantwortlich war, nach dem das Deutsche Reich ein gegen die Vereinigten Staaten gerichtetes Militärbündnis mit Mexiko schmieden wollte.