© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/16 / 18. März 2016

Revolution gegen Hollande
Frankreich: Wegen des umstrittenen Arbeitsmarktgesetzes steht das Land vor einem „heißen“ März
Jürgen Liminski

Vergangene Woche in Paris: Ein amerikanischer Investor, in Frankreich verliebt, will im Land seiner Sehnsucht ein Dienstleistungsunternehmen aufbauen und Arbeitsplätze schaffen. Er kommt in Charles de Gaulle, dem Flughafen ein Dutzend Kilometer vor der Stadtgrenze von Paris an, braucht dann mit dem Taxi etwa zwei bis drei Stunden bis ins Zentrum zum Hotel, weil die Straßen verstopft sind und in der Stadt mal wieder protestiert wird. Er wundert sich über die vielen Schüler und Studenten bei der Demonstration.

Die freundliche Dame an der Rezeption seines Hotels erklärt ihm, daß die jungen Leute gegen das neue Arbeitsmarktgesetz protestierten, weil sie nicht länger arbeiten wollten und nicht damit einverstanden seien, daß die Unternehmen ihre Belegschaft flexibler nach Konjunkturlage und Aufträgen organisieren könnten. Das hatte ihm der Taxifahrer, ein ausgebildeter Ingenieur, auch schon gesagt.

„Die Angst, Leute einzustellen, wäre weg“

Beide rechneten damit, daß die Regierung gegenüber Studenten und Gewerkschaften einknicken werde. Der Investor erinnert sich an seine ersten Versuche vor zehn Jahren, in Paris und Lyon ein Unternehmen aufzubauen, was damals auch an den starren Regelungen des Arbeitsmarktes und an Streiks gescheitert war, und storniert den Rest der Woche. Er wolle morgen abreisen und sein Glück in Italien versuchen, wo die Gesetze zur Reform des Arbeitsmarkts zwar auf viel Reden und Gestik gestoßen, aber dann doch umgesetzt worden seien. Chauffeur und Concierge dürften recht behalten. Es ist jedenfalls kaum anzunehmen, daß es mit dem sogenannten Gesetz El Khomri, benannt nach der neuen, 38jährigen Arbeitsministerin Myriam El Khomri, anders ausgehen wird. Gewerkschaften sowie Schüler-und Studentenverbände haben zu Protesten aufgerufen.

Es soll ein heißer März werden. In der vergangenen Woche brachten sie zum Auftakt in Paris mehr als hunderttausend Demonstranten auf die Straße, in Bordeaux, Lille, Lyon, Marseille, Rennes und anderen Städten waren es nochmal mehr als hunderttausend. Vorneweg marschierten Abgeordnete der Sozialistischen Partei und der Linksaußen-Formationen. Sie alle wollen das Gesetz El Khomri kippen. Dabei soll dieses Gesetz neue Stellen schaffen, indem es das Zwangskorsett der 35-Stunden-Woche lockert, Abfindungen begrenzt auf höchstens 15 Monatsgehälter, auch wenn der Arbeitnehmer klagt und vor Gericht recht bekommt. Ferner sollen betriebsbedingte Kündigungen erleichtert werden. 

Das Gesetz würde vermutlich in der Tat Arbeitsplätze schaffen, vor allem in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Es würde auch das Unwesen erschweren, möglicherweise sogar beenden, junge Leute mit ständig fortgesetzten Praktikumsverträgen hinzuhalten, statt ihnen für die gleiche Arbeit Verträge mit Mindestlohn und angemessener Kündigungsfrist anzubieten. Aber es würde auch die Macht der Gewerkschaften eingrenzen, die bei Vertragsabschlüssen in kleinen Unternehmen nichts mehr zu sagen hätten. 

Die Unternehmen ächzen jetzt schon unter der hohen Steuerlast und wollen sich die Ungewißheiten von kostspieligen Arbeitsverträgen angesichts einer unsicheren Konjunktur nicht zumuten. Die Arbeitgeberverbände haben den Gesetzentwurf begrüßt. „Die Angst, Leute einzustellen, wäre weg“, heißt es im Arbeitgeberlager. Endlich würde man „auf die hören, die Arbeitsplätze schaffen“, sagt François Asselin, Präsident der CGPME, vergleichbar der Mittelstandsvereinigung. Ähnliche Äußerungen hört man auch bei den anderen Arbeitgeberverbänden.

Droht eine Spaltung der Sozialistischen Partei?

Sie könnten wieder bitter enttäuscht werden. Zwar hat Präsident Hollande sein politisches Schicksal an eine Verringerung der Arbeitslosenzahlen geknüpft und auch an eine Verbesserung des Zugangs zum Arbeitsmarkt für Jugendliche. Die staatlichen Mittel dafür sind aber erschöpft. Anfang 2012 wurden 23,5  Prozent der jungen Beschäftigten vom Staat unterstützt, heute sind es 27 Prozent. Es sind vor allem diese jungen Leute, die jetzt auf die Straße gehen, um gegen das geplante Arbeitsmarktgesetz zu protestieren.

Die Frondeure in der Partei, angeführt von der ehemaligen Parteichefin Martine Aubry, Bürgermeisterin in Lille, drohen unverhüllt mit einer Niederlage im Parlament, mit Massenprotesten und mit Primärwahlen für die Kandidatur zu den Präsidentschaftswahlen. In der Regel ist der amtierende Präsident der natürliche Kandidat seines politischen Lagers. Sollte Hollande Primärwahlen verhindern, würden sie regional Abstimmungen in der Partei durchführen. Ganz offen stellen sie die rhetorische Frage: „Was ist ein Kandidat, der von den Funktionären der Parteizentrale bestimmt wurde, noch wert, wenn es einen anderen gibt, der von Millionen Stimmen aus dem Parteivolk gekürt wurde?“

Wenn Hollande das Gesetz El Khomri gegen die Widerstände in der eigenen Partei und auf der Straße durchboxt, riskiert er eine Spaltung der Sozialistischen Partei. Die Drohungen aus der eigenen Partei haben einen realen Hintergrund. Man fürchtet den Machtverlust. 

Mit Hollande wird es immer unwahrscheinlicher, daß die Linke in Frankreich weiter an der Macht bleibt. Seine Popularität ist mittlerweile auf einen historischen Tiefstwert von 17 Prozent gesunken. Nur zwei Prozent der Franzosen sind mit seiner Leistung sehr zufrieden, 15 Prozent einigermaßen zufrieden. 48 Prozent dagegen sind sehr unzufrieden, 33 Prozent ziemlich unzufrieden. Bei seinem Premier Manuel Valls sieht es nicht viel besser aus. Er ist auf 24 Prozent Zustimmung gesunken. Drei von vier Franzosen lehnen seine Regierungsführung ab. Die Säulen der Linken bleiben Wirtschaftsminister Emmanuel Macron mit 42 Prozent Zustimmung, Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian mit 47 und Innenminister Bernard Cazeneuve ebenfalls mit 47 Prozent, alle aber mit Tendenz nach unten. 

Damit schmiert das linke Lager gegenüber dem bürgerlichen und auch dem rechten Front National ab. Sollte der März tatsächlich heiß werden, ist nicht auszuschließen, daß Hollande den linken Frondeuren seinen Premier opfert und erneut die Regierung umbildet, um als einziger Kandidat der Linken in die Präsidentschaftswahlen in 13 Monaten zu gehen. Auch vorgezogene Parlamentswahlen sind denkbar und Spekulationsobjekt. Was in dieser aufgeheizten Stimmung allerdings undenkbar erscheint, ist eine Unterstützung Frankreichs für den Flüchtlingskurs der deutschen Regierung. In Paris heißt es eher: Rette sich wer kann, und nicht rettet die Flüchtlinge. Und die Türkei Erdogans als Verbündeter, das ist, wie selbst ein wohlmeinender Bekannter der Kanzlerin, der germanophile Ex-Minister und liberale Aspirant auf die Präsidentschaftskandidatur, Bruno Le Maire, sagt, „ein betrügerisches Spiel für Europa“.

Foto: Studentenprotest in Paris: Nicht nur in der Hauptstadt, auch in anderen Städten Frankreichs formiert sich breiter Protest gegen die Regierung