© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/16 / 18. März 2016

Grüße aus Bern
Mein erstes Mal
Frank Liebermann

Es ist ein Sonntagmorgen wie viele andere auch und ziemlich kalt, als ich aufstehe. Nach der Dusche schenke ich mir einen Kaffee ein, den ich gelangweilt trinke. Gemütlich putze ich mir die Zähne, ziehe mich an, gehe aus dem Haus und spaziere in Richtung Zentrum von meinem Stadtteil los.

Heute ist mein erstes Mal. Seit letztem Oktober bin ich Schweizer. Nachdem ich nun seit über 16 Jahren in der Schweiz lebe, eine dauerhafte Rückkehr nach Deutschland eher unwahrscheinlich geworden ist, habe ich nach einigen Mühen und administrativen Hindernissen mein Ziel erreicht. Ich habe den Schweizer Paß. Spötter aus meinem Freundeskreis machen Witze darüber, daß sie nie gedacht hätten, daß ich einmal zum Befürworter der doppelten Staatsbürgerschaft werde. Aber so ändern sich halt die Zeiten, auch bei mir.

„Die Initiative zur Abschiebung krimineller Ausländer sorgt für den meisten Zoff.“

Mein Schweizersein führt zu neuen Rechten. Eines davon ist, daß ich nun auch abstimmen darf. Schon einige Wochen vor der Wahl habe ich die Abstimmungsunterlagen zugesandt bekommen. Mit dabei sind der Stimmausweis, ein Stimmzettel und verschiedene Unterlagen, die in Form von Gesetzestexten und Erläuterungen beschreiben, was die Ziele der einzelnen Vorlagen sind.

Nach fünf Minuten Fußmarsch bin ich im Abstimmungslokal angekommen. An einem Tisch der umgebauten Scheune sitzen zwei Frauen mittleren Alters und ein junger Mann. Im Moment bin ich der einzige Wähler. Freundlich werde ich begrüßt. Die meisten anderen Wähler, die ich kenne, stimmen per Briefwahl ab, da dies sehr einfach ist und der Gang zum Wahllokal entfällt. Da es mein erstes Mal ist, habe ich beschlossen, mir das Ganze persönlich anzuschauen. Dann ist alles schneller vorbei als gedacht. Ich zeige meinen Ausweis, gehe an die Urne und werfe meinen ausgefüllten Stimmzettel ein. Freundlich verabschieden mich die Anwesenden.

Anschließend geht es in meine Stammkneipe, die in der Nähe ist. Dort sitzen einige andere seelenruhig an den Tischen, trinken Kaffee, lesen Zeitung oder diskutieren über die Abstimmung. Vor allem die Initiative zur Abschiebung krimineller Ausländer hat es den meisten angetan. Bei diesem Thema gibt es am meisten Zoff. Die anderen Fragen werden zwar diskutiert, führen aber eher selten zu Konflikten.

Nun heißt es warten. Um 13 Uhr kommen die ersten Hochrechnungen im Fernsehen. Wie ich abgestimmt habe? Mit einem Kreuz!