© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/16 / 18. März 2016

Bundeswehr
Die neuen Veteranen
Marcel Bohnert und Björn Schreiber

Der Begriff „Veteran“ scheint antiquiert: Wer von ihm hört, verbindet damit in aller Regel ältere Herren, die sich bei Gedenkzeremonien mit ihren ordenbehangenen Uniformen präsentieren und aus längst vergangenen Zeiten berichten. Vielleicht tauchen auch unwillkürlich Bilder von schwer gezeichneten Obdachlosen auf. Oder Gedanken an Traumatisierte? Apathische Patienten? Verstümmelte?

Umfrageergebnisse zeigen, daß lediglich sechs Prozent unserer Bevölkerung bei Veteranen intuitiv an junge Menschen denken. Die Deutschen bringen den Begriff weder mit der Bundeswehr noch mit ihren Auslandseinsätzen in Verbindung. Lediglich drei Prozent haben positive Assoziationen zum Veteranenbegriff.

Die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag ein nachdrückliches Bekenntnis abgeliefert: „Die Verantwortung für unsere Veteranen wollen wir gemeinsam tragen. Dies gilt auch für die Fürsorge für Verwundete und Versehrte und die würdige Gestaltung der Erinnerung an unsere Gefallenen und Toten.“ Wie weit Anspruch und Wirklichkeit dabei noch auseinanderliegen, ist umstritten.

Zweifelsohne gab es nach jahrelanger Überzeugungsarbeit wichtige Fortschritte. Viele Probleme, denen Heimkehrer aus den ersten Auslandsmissionen der Bundeswehr noch gegenüberstanden, sind inzwischen gelöst oder zumindest abgemildert: Nicht nur befinden sich die Schutzklassen deutscher Gefechtsfahrzeuge und die Ausrüstung im Ausland inzwischen auf einem hohen Niveau, auch das Einsatzversorgungs- und Einsatzweiterverwendungsgesetz sowie ihre Anpassungen bieten exzellente Rechtsgrundlagen für die Versorgung von Verwundeten. Der Stichtag für die Gewährleistung der Einsatzversorgung wurde auf den Novemberanfang 1991 zurückdatiert. Damals betraten deutsche Vorauskommandos kambodschanischen Boden, um die erstmalige Teilnahme von Bundeswehrangehörigen an einer Mission der Vereinten Nationen vorzubereiten.

Zum Themenkomplex psychischer Einsatzbelastungen hat es in den letzten Jahren umfangreiche Aufklärungsarbeit gegeben, und die steigende Zahl hilfesuchender Soldatinnen und Soldaten kann als Beleg dafür angesehen werden, daß das Thema allmählich die Tabuzone verläßt – auch außerhalb der Bundeswehr: Inzwischen sprechen sich neun von zehn Deutschen für eine bessere medizinische Betreuung und soziale Absicherung von hilfsbedürftigen Veteranen aus. Insgesamt haben unsere Streitkräfte in wenigen Jahren eine vorbildliche Entwicklung durchlaufen und können heute auch im internationalen Vergleich bestehen. Viele dieser Verbesserungen sind zu einem erheblichen Teil dem Engagement des Bundes Deutscher Einsatzveteranen (BDV) und anderer soldatischer Interessenverbände zu verdanken.

Unserer Ansicht nach gilt es trotzdem unverändert, die Willenserklärung unserer Bundesregierung zur Unterstützung von Veteranen noch weiter mit Leben zu füllen. Wichtiger als alle begrifflichen Debatten sind die tatsächliche Versorgung und gelebte Wertschätzung für diejenigen, die in den Einsätzen der Bundeswehr alles riskiert haben. Noch immer muß die menschennahe Betreuung in Notsituationen verbessert werden. Therapiemethoden unter Einbeziehung des familiären Umfeldes scheitern häufig noch an gesetzlichen Regelungen zur unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung. Dabei sind Eltern, Partner und Kinder oft mit betroffen, und es ist medizinisch unumstritten, wie sehr Einsatzgeschädigte von einem stabilen sozialen Umfeld profitieren.

Verfahren zu Wehrdienstbeschädigungen sind wenig transparent und dauern häufig viel zu lange. Begutachtende und behandelnde Ärzte sind mitunter unterschiedlicher Auffassung und verzögern damit die Prozeßabläufe weiter. Viele Veteranen spüren die Angst offizieller Stellen vor Trittbrettfahrern oder sind mit verwaltungsbürokratischen Mechanismen konfrontiert, die sie schlichtweg überfordern. Beweiserleichterungen, die Festlegung einer maximalen Bearbeitungsdauer oder sogenannte vorläufige Schutzzeiten könnten hier Abhilfe schaffen.

Nicht ein sportliches Großereignis in den USA kommt ohne eine Würdigung der Veteranen aus: sei es durch rührende Wiedervereinigungen von heimkehrenden Soldaten und ihren Familien oder durch besondere Werbung, etwa während des Super Bowls.

Auch die gesellschaftliche Anerkennung von Veteranen ist verbesserungswürdig. Bei vielen unserer Verbündeten kommt ihr ein ganz anderer Stellenwert zu: In den USA, Großbritannien oder Frankreich ist es üblich, daß Kriegsheimkehrer an eigens geschaffenen Veteranentagen geehrt werden und sie an offiziellen Feiertagen wie selbstverständlich in der Öffentlichkeit auftreten. In den Niederlanden gibt es ein Fürsorgesystem für Veteranen mit einem gut organisierten Veteraneninstitut und öffentlichen Begegnungsstätten wie Veteranencafés. Zudem genießen Veteranen Privilegien wie Nachlässe bei Freizeitangeboten oder Bahnfahrten. Amerikanischen Veteranen stehen umfangreiche Reintegrationsprogramme offen, die beispielsweise Stipendien, günstige Kredite oder finanzielle Unterstützungsleistungen für Weiterbildungen umfassen.

Auch wenn die Versorgungssysteme unserer Bündnispartner an einigen Stellen kranken und weit davon entfernt sind, perfekt zu sein, zeugen sie doch von einer grundlegend positiven Wahrnehmung von Veteranen durch die Bevölkerung. Nicht ein sportliches Großereignis in den USA kommt ohne eine Würdigung der Veteranen aus: sei es durch rührende Wiedervereinigungen von heimkehrenden Soldaten und ihren Familien oder durch besondere Werbung, etwa während des Super Bowls. Demgegenüber steht das distanzierte und oft unbehagliche Verhältnis der Deutschen zu ihrem Militär.

(...)

Uns geht es (...) nicht darum, die Einsatzveteranen der Bundeswehr als Opfer darzustellen. Bewährung und Versagen, Stolz und Resignation sowie Prägung und Traumatisierung liegen nah beieinander. Während die einen selbstbewußt und zufrieden auf ihre Einsatzerfahrungen zurückblicken können, haben andere einen Fall ins Bodenlose erlebt und leiden körperlich und seelisch. Manche Aufsätze klingen deshalb enttäuscht und verbittert – sie zeugen von einer Wut auf das bequeme Leben derer, von denen sich unsere Rückkehrer hängengelassen fühlen. Wir sollten diese Beiträge als Mahnungen und Verpflichtung für unser zukünftiges Handeln verstehen. Denn Kriege hinterlassen immer ihre Spuren.

Trotz aller Strapazen und Lasten vermissen viele Veteranen die Zeit ihrer Einsätze, in denen sie sich lebendig, in einer engen Gemeinschaft aufgehoben und einem sinnvollen Auftrag verpflichtet fühlten. Mehr noch: Viele wünschen sich in die Situationen zurück, wären sogar bereit, ihr Leben erneut zu riskieren. Für die Bundeswehr handelt es sich noch um ein junges Phänomen, das sich sicher nicht von selbst erledigen wird. Aktuelle und künftige Einsätze werden auch immer neue Veteranen und Versehrte hervorbringen.

Als es den Taliban im Spätsommer des letzten Jahres binnen weniger Stunden gelang, die Provinzhauptstadt Kundus einzunehmen und kurz darauf die symbolträchtige Mischa-Meier-Brücke zu sprengen, war das für viele Einsatzveteranen ein Schock. Die Bundeswehr hatte in der nordafghanischen Region die schwersten Gefechte ihrer Geschichte geführt und ihre höchsten Verluste erlitten.

Nicht, daß jeder aus tiefster Überzeugung an einen nachhaltigen Erfolg des Engagements am Hindukusch geglaubt hätte. Aber die Geschwindigkeit und die Entschlossenheit der Aufständischen waren doch ernüchternd und alarmierend zugleich. Als Konsequenz aus dem Angriff wurde die Mandatsobergrenze der deutschen Kräfte im Land wieder erhöht und eine erneute Diskussion um die Abzugsperspektive geführt.

Besonders die Ausweitung des Einsatzes in den gefährlichen Norden Malis erhöht die Wahrscheinlichkeit, daß deutsche Soldaten wieder in Kampfhandlungen verwickelt werden. Darauf müssen Politik, Bundeswehr und Gesellschaft vorbereitet sein.

Zudem ist die Frage der Sinnhaftigkeit des Einsatzes angesichts der vielen Gefallenen und Verwundeten erneut in den Fokus interner Debatten gerückt. Eine ins Gespräch gebrachte Absicherung von Schutzzonen für abgeschobene afghanische Flüchtlinge und ein damit einhergehender neuer Kampfauftrag wurden schnell wieder verworfen. Es bleibt also dabei: Der Übergang von Isaf in die Resolute-Support-Mission zum Jahresbeginn 2015 hat das Kapitel des Kampfeinsatzes in Afghanistan für die Bundeswehr offiziell beendet.

Ein Blick auf die weltweiten Krisen, Konflikte und humanitären Katastrophen der jüngsten Zeit kann allerdings den Eindruck entstehen lassen, daß die Welt aus den Fugen geraten ist. Derzeit werden etwa 40 Kriege und bewaffnete Konflikte ausgetragen. Mehr als 60 Millionen Menschen – so viele wie niemals zuvor – sind auf der Flucht, die meisten davon vor Krieg und Gewalt. Auch in Deutschland spüren wir die Auswirkungen dieser Entwicklungen mehr und mehr. Insbesondere die Migrationsströme der letzten Monate haben unserer Gesellschaft ihre Verwundbarkeit anscheinend erst bewußt werden lassen.

Zudem hat die seit Februar 2014 andauernde Krise zwischen der Ukraine und Rußland eine Bedrohung im Osten Europas entstehen lassen, die offenbar einen verteidigungspolitischen Paradigmenwechsel eingeleitet hat. Durch den Vormarsch des selbsternannten Islamischen Staates im Nahen und Mittleren Osten ist eine weitere Gefährdung der internationalen Sicherheit entstanden: Eine Serie von Terroranschlägen hat Frankreich im vergangenen Jahr erschüttert und Europa tief ins Mark getroffen.

Unsere Bündnispartner fordern von unserem politisch und wirtschaftlich erstarkten Land schon länger die Übernahme einer substantiellen internationalen Verantwortung. Der Bundespräsident, der Außenminister und die Verteidigungsministerin haben ihre Bereitschaft zu einem aktiveren Engagement wiederholt bekundet und betont, daß sie den Einsatz des Militärs als äußerstes Mittel dabei nicht ausschließen.

Schon drei Wochen nach den Attentaten in Paris im November 2015 beschloß der Deutsche Bundestag ein Mandat für die Unterstützung des Kampfes gegen die IS-Terrormiliz in Syrien. Die Bundeswehr verstärkt darüber hinaus ihre Truppen im Nordirak sowie im westafrikanischen Mali. Besonders die Ausweitung des Einsatzes in den gefährlichen Norden Malis erhöht die Wahrscheinlichkeit, daß deutsche Soldatinnen und Soldaten wieder in Kampfhandlungen verwickelt werden. Darauf müssen Politik, Bundeswehr und Gesellschaft vorbereitet sein. Die Lehren der jüngeren Einsätze dabei zu vergessen wäre ein verhängnisvoller Fehler. 






Marcel Bohnert, Jahrgang 1979, ist Major der Panzergrenadiertruppe und Teilnehmer der Generalstabsausbildung an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Er studiert dort im postgraduierten Masterstudiengang „Militärische Führung und Internationale Sicherheit“.

Björn Schreiber, Jahrgang 1982, ist Kapitänleutnant d. R. Nach seiner Bundeswehrzeit studierte er Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Gegenwärtig absolviert er die Führungskräfteausbildung bei der Bundesagentur für Arbeit.

Marcel Bohnert, Björn Schreiber (Hrsg.): Die unsichtbaren Veteranen. Kriegsheimkehrer in der deutschen Gesellschaft. Carola Hartmann Miles-Verlag, Berlin 2016, kartoniert, 324 Seiten, 24,80 Euro. Der Beitrag auf dieser Seite ist – mit freundlicher Genehmigung des Verlages – ein adaptierter Auszug aus dem Vorwort des Buches.

Foto: Dem Einsatz den Rücken gekehrt:Aus Einsätzen in Afghanistan und dem Kosovo heimgekehrte Bundeswehrsoldaten stehen bei einer militärischen Empfangszeremonie in Reih und Glied