© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/16 / 25. März 2016

Die italienische Krankheit
Nach den Landtagswahlen: In Berlin wird über eine schwarz-grüne Koalition spekuliert – für die Union könnte das verhängnisvoll enden
Paul Rosen

Das Zeitalter der Volksparteien geht zu Ende. Die SPD hat ihren Stimmenanteil seit 1972 halbiert, die Mitgliederzahl ebenfalls. Auch die CDU befindet sich im Sinkflug. Gaben die Westdeutschen den beiden Volksparteien einst 90 Prozent der Stimmen, reduziert sich dieser Wert seit der Wiedervereinigung immer mehr. Inzwischen müssen die beiden Dinosaurier des Volksparteienzeitalters feststellen, daß sie sogar zusammen nicht immer Mehrheiten haben, und sich nach neuen Bündnispartnern umschauen. 

Verzwergung eines Dinosauriers

Für die SPD ist der Traum vom rot-rot-grünen Bündnis ausgeträumt. Rein rechnerisch hätte Rot-Rot-Grün im derzeitigen Bundestag sogar eine Mehrheit. Doch Tatsache ist auch, daß bei der vergangenen Bundestagswahl nur 42,7 Prozent für diese drei Parteien stimmten. Das waren schon ein paar Prozentpunkte weniger als 2009 (45,6 Prozent), und angesichts der Ergebnisse der jüngsten Landtags- und Kommunalwahlen dürfte das linke Lager nach jetzigem Stand bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr noch schlechter abschneiden.

Aus heutiger Sicht ist die rot-rot-grüne Koalition in Thüringen mit dem linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow kein Höhepunkt einer Entwicklung, sondern Endstation eines Fehlversuchs. „Tatsache ist, daß in Deutschland erstmals seit vielen Jahren die links-liberale Hegemonie über den politisch-gesellschaftlichen Diskurs zu schwinden droht“, warnte bereits die Frankfurter Rundschau. „Ich kenne derzeit keine Umfrage, die eine Mehrheit für Rot-Rot-Grün im Bund hergibt“, stellt etwa Jürgen Trittin ernüchtert fest.  

Von den alternden ehemaligen Volksparteien ist die CDU immer noch die stärkere Kraft. Dies könnte Bundeskanzlerin Angela Merkel 2017 tatsächlich erneut den Auftrag zur Regierungsbildung einbringen. Hält das Siechtum der SPD an und verliert auch die Union weiter Stimmen, würde eine Große Koalition nicht einmal mehr eine absolute Mehrheit der Mandate im Bundestag zusammenbekommen. Profitieren die Grünen von der Auszehrung der SPD, wären sie geborener Koalitionspartner von CDU/CSU. Reicht es weder für die Große Koalition noch für Schwarz-Grün, kommt eine Union-SPD-Grünen-Koalition in Betracht. Auch ein Bündnis der CDU mit Grünen und FDP wäre denkbar, wenn sich die FDP weiter erholen sollte. „Wir leben politisch längst in einer Art historischem Kompromiß. Im Bund sind die Grünen in der Opposition, aber über die Länder regieren sie mit. Politisch stehen sie der Kanzlerin längst näher als die Regierungspartei CSU“, freute sich die taz. 

Das ist richtig. Von der Energiewende bis zur Homoehe gibt es tatsächlich fast nichts mehr, was Union und Grüne inhaltlich trennt. Im Bundestag läuft es meist so, daß die Grünen eine Forderung erheben und die SPD sich sofort anschließt. Die CDU/CSU ziert sich daraufhin noch eine Weile und sagt wie weiland Rainer Barzel zu den Ostverträgen: so nicht und jetzt nicht – um dann die grüne Politik weitgehend oder komplett umzusetzen. 

Vorbild für ein schwarz-grünes Bündnis ist Hessen, wo die CDU angeblich besonders konservativ war. In Wirklichkeit entpuppte sich der hessische Konservativismus als tönerner Koloß, den Ministerpräsident Volker Bouffier mit einem Schlag zerschmetterte, als er eine Koalition mit den Grünen und ihrer Leitfigur Tarik Al-Wazir einging. Der einst in allen CDU-Wahlkampfreden übel beschimpfte Al-Wazir zeigt sich heute in der Öffentlichkeit in Kumpelpose mit Bouffier. Möglicherweise kommt es in Baden-Württemberg zur nächsten Verbindung zwischen Grünen und CDU. Daß die CDU in ihrem Stammland Juniorpartner der Grünen werden könnte, zeigt das Ausmaß der Verzwergung des einstigen Dinosauriers. 

Von den Grünen wird die Verbindung mit Merkel und der CDU bereits offen empfohlen: „Wir haben uns bei zwei Bundestagswahlen in Folge vergeblich um rot-grüne Mehrheiten bemüht. Da fällt uns jetzt kein Zacken aus der Krone, wenn wir uns nach anderen Mehrheiten umsehen, wo immer es sie unter den demokratischen Parteien gibt“, sagt etwa Grünen-Chef Cem Özdemir. Und Trittin erklärt mit Blick auf Sachsen-Anhalt, wo CDU, SPD und Grüne möglicherweise ein Bündnis eingehen werden: „Die Grünen müssen also im Zweifel Teil der neuen, lagerübergreifenden Koalitionen werden.“ Ganz offen erklärt der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter: „Ich will, daß Grüne 2017 realistische Machtoptionen haben. Am liebsten mit der SPD. Wenn das nicht geht und die Inhalte passen: im Zweifel mit der Union.“ Daß bei den Inhalten passend gemacht wird, was noch nicht paßt, daran besteht angesichts der früheren Drehungen der Union in die grüne Richtung kein Zweifel. Und in der Flüchtlingspolitik sind sich CDU und Grüne beinahe zu 100 Prozent einig. 

Die Inkompatibilität mit der CSU ist allerdings ein größeres Problem für die Union. Da zeigen sich Sollbruchstellen, die CSU-Chef Horst Seehofer sogar den Kreuther Ausdehnungsgeist beschwören ließen. Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wünscht sich bereits: „Der Merkel-Flügel der CDU kann sich ja ins rot-grüne Team verabschieden.“ Vermutlich läuft es aber andersrum: Einige empörte Abgeordnete könnten die Unionsfraktion verlassen, während die große Masse sich über schöne Posten, Dienstwagen und üppige Büros freut – nicht ahnend, daß sie dem Weg der italienischen Schwesterpartei Democrazia Cristiana (DC) in den Abgrund bald folgen werden. Die DC war zum Schluß auch mit jeder Gruppierung links von ihr koalitionsfähig. 1994 zerfiel sie.