© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/16 / 25. März 2016

Eine schwere Geburt
Bundeswehr: Ein Sammelband zeigt, daß Deutschland trotz zahlreicher Auslandseinsätze noch immer mit dem Veteranen-Begriff fremdelt
Jan Hoffmann

Schon im Untertitel ruft die von Marcel Bohnert und Björn Schreiber vorgelegte Textsammlung „Die unsichtbaren Veteranen“ den Krieg ins Bewußtsein. Noch immer ein Begriff, mit dem die Bundesrepublik Probleme hat. Und während verschiedenste Gremien nun definieren, wer „Veteran“ und wer „Einsatzveteran“ sein soll, kann man im vorliegenden Buch unterschiedliche Sichtweisen von Betroffenen lesen. Aktive und ehemalige Soldaten – wie die Herausgeber –, aber auch Wissenschaftler, Politiker oder auch für Veteranen karitativ tätige Menschen kommen zu Wort. 

Ihre Beiträge sind in drei Kapitel geordnet. Im ersten kommen die Soldaten zu Wort, im zweiten wird das Verhältnis Bundeswehr und Gesellschaft beleuchtet, um dann zum Themenfeld der „unsichtbaren“ psychischen Einsatzfolgen zu kommen. Mit dem letzten Abschnitt wird auch deutlich, worin die Auswirkungen auf die Bundeswehrveteranen vor allem bestehen. Der Tod beziehungsweise die eigene körperliche Verwundung wirken sich vor allem in ihrer drohenden Möglichkeit aus. Verstärkungsfaktoren sind dann heimische gesellschaftlich-politische und private soziale Verhältnisse nach dem Einsatz. Tausende oder auch nur Hunderte von Toten und Verwundeten hat die Bundeswehr nicht zu beklagen. Dies kann sich ändern, und deshalb kann dieses Buch einen bedeutenden Beitrag leisten, zu zeigen, welche Verantwortung Politik und Gesellschaft für das Militär tragen. 

Hang zum „Klagen ohne zu leiden“ 

Allerdings muß dieses Buch dazu gelesen werden, was für Nichtmilitärs nicht immer ganz einfach ist, wenn Soldaten ihre Ausführungen mit Fachbegriffen spicken. Dennoch öffnet sich ein weites Spektrum, das auch nicht vor deutlicher Kritik an Politik und Militär zurückschreckt. Gerade der Mythos Parlamentsarmee wird deutlich behandelt.

Das Buch ist den „Gefallenen, Hinterbliebenen, Verwundeten und Traumatisierten“ gewidmet und sein Erlös soll auch ihrer Unterstützung zugute kommen. Es ist ein bedeutendes Signal in einer Zeit, in der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) als Beitrag zur Syrienkrise die zivile Berufsausbildung von Flüchtlingen anbietet und noch immer Stimmen zu vernehmen sind, daß besser Piloten in Gefahrenzonen fliegen als ferngesteuerte Flugapparate. Diese realitätsfremde Haltung gegenüber dem Militärischen zieht sich durch die westdeutsche Nachkriegsgeschichte und ist trotz des wachsenden zeitlichen Abstandes nicht geringer geworden.

Das spiegelt sich auch in manchem Beitrag, in dem ein Hang zum „Klagen ohne zu leiden“ spürbar wird. Selbst für Berufssoldaten scheint die deutlich entschärfte Realität der deutschen militärischen Einsätze – auch und gerade in Afghanistan –, aber auch der Dienst dafür in der Heimat bereits die Belastungsgrenze zu sein. Zum Beispiel fällt ein ganzes Kontingent in „eine Art Schockstarre“, weil ein Kamerad durch einen Unfall ums Leben gekommen ist. Hier werden tragische Einzelfälle zu einer Herausforderung stilisiert, die Zweifel an der grundsätzlichen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr wecken. Ein Eindruck, der vielen Soldaten sicher nicht gerecht wird, was in einer an anderer Stelle zitierten Studie auch deutlich wird, wenn es dort heißt, daß Einsatzrückkehrer nach zwei Jahren „sogar positive Veränderungen“ der eigenen Person feststellen. „Dazu gehören etwa ein gesteigertes Selbstbewußtsein, eine höhere Wertschätzung des Lebens oder eine gewachsene psychische Belastbarkeit.“ Aber das Unfallbeispiel zeigt, wie stark der Friedensdienst und eine sich dem zivilen Umfeld anpassende Führungsphilosophie sich auswirken können.

Die Texte bieten viele Anknüpfungspunkte zur Lebenswirklichkeit jedes Lesers. Aber auch die Traditionsdiskussion findet ihre Spiegelung, wenn mit dem Leitspruch „Treu gedient – Treue verdient!“ eine Variante des „Treue um Treue“-Spruches erscheint, der im Heer verboten wurde. Diese Verbindung in die Zeit der Weltkriege wird in den Texten nur gestreift. Gleich zu Beginn ist eine Erzählung gedruckt, „die Kriegsheimkehrer der beiden Weltkriege mit dem Phänomen der jungen Veteranen in Deutschland“ verbindet. Die Herausgeber verbinden diesen Text mit dem Hinweis, daß Umfrageergebnisse zeigten, daß „lediglich sechs Prozent unserer Bevölkerung bei Veteranen intuitiv an junge Menschen denken“ und drei Prozent eine „positive Assoziation zum Veteranenbegriff“ hätten. Das ließe sich jedoch auch unter dem Gesichtspunkt diskutieren, daß die meisten Bundeswehreinsatzveteranen vielleicht nichts Außergewöhnliches in einem Land sein können, in dem psychische Krankheiten zehntausendfach diagnostiziert werden, auch Entwicklungshelfer in Krisengebieten arbeiten, traumatisierte Flüchtlinge zu Hunderttausenden versorgt werden und es ohnehin kaum eine Gelegenheit gibt, Soldaten in Uniform in der Öffentlichkeit zu sehen, geschweige denn, mit ihm zu sprechen. Aber gerade für dieses Gespräch kann dieses Buch ein Ersatz sein! Wenn es denn im Land des „freundlichen Desinteresses“ gelesen wird.

Marcel Bohnert, Björn Schreiber (Hrsg.): Die unsichtbaren Veteranen. Kriegsheimkehrer in der deutschen Gesellschaft. Carola Hartmann Miles-Verlag, Berlin 2016, kartoniert, 324 Seiten, 24,80 Euro