© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/16 / 25. März 2016

„Wenn ein Reicher klaut, wird er Minister“
Brasilien: Die politische Krise weitet sich auf den populären Ex-Präsidenten Lula da Silva aus / Flucht in die Regierung
Lukas Noll

Harte Vorwürfe brüllte der bärtige junge Mann mit der Schirmmütze 1988 mit erhobenem Zeigefinger ins Mikrofon: „In Brasilien ist es so: Wenn ein Armer klaut, geht er ins Gefängnis. Und wenn ein Reicher klaut, wird er Minister.“ Den Wahrheitsgehalt seiner eigenen Worte führt Lula da Silva seiner Heimat wohl erst heute vor Augen: Der Ex-Präsident wird Kabinettschef seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff. Dies zu  pikanter Stunde. 

Zwar hatte Lula bereits im August seine Rückkehr in die Politik angekündigt, um der in Korruptionsaffären verwickelten Parteifreundin zur Hilfe zu eilen. Doch erst am 4. März dieses Jahres war sein Haus von 200 Beamten der Bundespolizei durchsucht, Lula zum Verhör zitiert worden. Am 10. März  verkündete die Staatsanwaltschaft São Paulo schließlich, Anklage zu erheben. 

Der Arbeiterikone wird vorgeworfen, einer der „führenden Nutznießer“ des milliardenschweren Korruptionsskandals „Operação Lavo Jato“  – „Operation Hochdruckreiniger“ in Anspielung auf Geldwäsche – zu sein.

 Bei dem Skandal, der Brasilien seit zwei Jahren in Atem hält, sollen Gewinne des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras systematisch in die Wahlkampagne der Arbeiterpartei von Lula und Dilma geflossen sein. In vergangener  Zeit sei ein immer deutlicherer Bezug zur Person Lula aufgedeckt worden, den die Staatsanwaltschaft als Schlüsselfigur der „kriminellen Erfolge“ ansieht. Auch sei ein Teil der Gelder in Immobilien Lulas geflossen. Lula selbst bestreitet die Vorwürfe. Niemals habe er Vermögenswerte verheimlicht oder sich Vorteile erschlichen, weder während noch nach seiner Regierungszeit. Doch daß Lula nur wenige Tage nach den Enthüllungen auf die Regierungsbank wechselt, sorgt auf Brasiliens Straßen für Empörung.

Hunderttausende demonstrierten in  mehreren Großstädten für einen Rücktritt beider Spitzenpolitiker. Kritiker werfen der Präsidentin vor, ihrem politischen Mentor mit dem Ministeramt Immunität gegenüber einer Strafverfolgung zu verschaffen. Bestätigt fühlen sie sich durch ein abgehörtes Telefonat, das Bundesrichter Sérgio Moro publik machte. Sie schicke ihm „das Papier nur mal“, sagt Dilma ihrem Amtsvorgänger darin wenige Tage vor der Hausdurchsuchung. „Benutz’ es nur, falls es nötig wird. Das sind die Bedingungen für die Amtsübernahme.“ Konsequenzen hat dennoch vorerst nur einer zu fürchten: Richter Moro, für seinen „unverhohlenen Verstoß gegen das Gesetz und die Verfassung“, so Dilma.

Ein Amtsenthebungsverfahren dürfte die angeschlagene Präsidentin dank parlamentarischer Mehrheit derzeit vermutlich überstehen – auch wenn Umfragen zufolge über 60 Prozent der Brasilianer eine solche Enthebung befürworten würden. Auch Lulas Kabinettsposten ist für den Moment sicher. Die bundesrichterliche Verfügung, die Ernennung zu stoppen, ist am Wochenende zum zweiten Mal annulliert worden.