© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/16 / 25. März 2016

Die staatliche Zensur tarnt sich
Netzwerke der Macht: Private US-Firmen verstärken die politisch-ideologische Einheitsfront
Thorsten Hinz

Was sind schon drei vergeigte Landtagswahlen gegen eine Übereinkunft mit Facebook-Chef Mark Zuckerberg, wird sich Angela Merkel denken. Wie recht sie damit hat, sieht man an Horst Seehofer, dem mächtigsten Ministerpräsidenten der Republik, der gegen ihre Politik der offenen Grenzen so verzweifelt wie vergeblich anrennt. Im Netzwerk der Macht besitzen die Landesparlamente und -regierungen – genauso wie die Parteigremien – nur noch geringe Bedeutung. Schwerer als das Gegrummel aus München, Stuttgart, Mainz oder Magdeburg wiegen beispielsweise die Regeln der sozialen Medien, die international agieren und bei jüngeren Nutzern längst die herkömmlichen Medien ersetzen.

Im September 2015 hatte Merkel deshalb den Facebook-Gründer bei einem Essen am Rande der Uno-Vollversammlung gedrängt, in Deutschland sogenannte Haßkommentare, Hetze, rassistische oder fremdenfeindliche Äußerungen aus dem Netz zu verbannen. Überflüssig zu erläutern, daß es sich um Allerweltsbegriffe und Entsprechungen zum berüchtigten Gummiparagraphen handelt. Die staatliche Zensur tarnt sich, indem sie sie an ein Privatunternehmen auslagert. Es ist das Ziel, politischen Meinungsäußerungen das Wort abzuschneiden und das Entstehen einer effektiven Gegenöffentlichkeit zu unterbinden. Zuckerberg erklärte sich dazu bereit.

Als Popstar gefeiert, als Politstar hofiert

Im Februar 2016 war er einige Tage in Berlin, um den „Axel-Springer-Award“ des großen Pressehauses entgegenzunehmen. Er wurde halb als Popstar gefeiert, halb als Politstar hofiert. Auch Martin Schulz, Präsident des Europaparlaments, stellte sich neben ihn ins Bild. Das für Staatsgäste obligatorische Durchschreiten des Brandenburger Tores absolvierte der 31jährige imagegemäß als Jogger. Die neugeschaffene Ehrung des Springer-Verlags wurde ihm zuteil, „weil er mit Facebook das wichtigste Kommunikationsmittel einer neuen Generation geschaffen hat“ und sich intensiv mit der Frage auseinandersetze, wie „man mit dieser Macht verantwortungsvoll“ umgeht. Gleichzeitig wurde sein „fairer“ Umgang mit Verlegern und Kreativen gelobt. Springer setzt seit längerem ganz auf die Digitalisierung und kooperiert auch mit Facebook als neuem Vertriebskanal. „Millionen von Nutzern des Sozialen Netzwerks in Deutschland können künftig Bild.de-Angebote direkt in ihrem Facebook-‘News Feed‘ lesen“, heißt es in einer Pressemitteilung vom Mai 2015.

Bild gibt sich in Sachen Asyl, Islam und AfD kanzlernah bis zur Beleidigung des eigenen Publikums und versucht, der Kanzlerin den Rücken freizuhalten. Merkels Ehemann Joachim Sauer sitzt wiederum im siebenköpfigen Kuratorium der Friede-Springer-Stiftung. Zuckerberg hat die politisch-ideologische und wirtschaftliche Einheitsfront komplettiert und verstärkt, als er in Berlin erklärte. „Ich hoffe, daß mehr Länder dem Vorbild Deutschlands folgen. Ich hoffe, daß die USA dem Vorbild Deutschlands folgen.“ Die Rolle der deutschen Regierung in der Flüchtlingskrise sei eine Inspiration und „definitiv ein Modell für die Welt“. Facebook habe Flüchtlinge in Deutschland inzwischen zu den Gruppen von Menschen hinzugefügt, für die besonderer Schutz auf der Plattform gelte. Mit seiner Versicherung: „Für Haßrede gibt es keinen Platz bei Facebook und in unserer Community“, können die Kanzlerin und ihr Justizminister mehr als zufrieden sein.

Zuckerberg ist weder Experte für internationale Politik noch kennt er sich in den Untiefen der deutschen Paranoia aus. Für ihn stehen wirtschaftliche Interessen im Vordergund. Der Großteil der Facebook-Umsätze in Europa fließt nach Irland an die Facebook Limited in Dublin, die deutsche Tochter firmiert als Dienstleister. Als professioneller Steuervermeider hat man Gründe, sich der Bundesregierung erkenntlich zu zeigen.

Die großen Erwartungen, die sich mit dem Internet im allgemeinen und Unternehmen wie Facebook, Google, Wikipedia, Amazon, Twitter, Youtube, Instagram im besonderen verbunden haben, sind deutlich geschrumpft. Was war nicht alles prophezeit worden: Ein neues Zeitalter der Emanzipation sollte beginnen, überholte Hierarchien gestürzt, Strukturen aufgebrochen, Machtverhältnisse neu geordnet werden. Rechts von der Mitte hoffte man, an Presse, Rundfunk und Fernsehen vorbei die eigene Stimme öffentlich vernehmbar machen und die Mauern der Politischen Korrektheit niederreißen zu können.

Anfangs schien die Hoffnung aufzugehen und die neuen Kanäle und Plattformen, die von US-Firmen betrieben wurden, sich als technische und neutrale Mittler zu betätigen. Doch je mehr sie sich zu international agierenden Konzernen und globalen Spielern entwickelten, gerieten sie ins Blickfeld der Politik und wurde die technische Innovation zum Vehikel wirtschaftlicher und politischer Interessen. Amazon nimmt heute ohne Begründung politisch mißliebige Bücher und Autoren aus dem Programm. Bei Wikipedia ist die herrschaftsfreie Akkumulation von Wissen zum Ding der Unmöglichkeit geworden, seitdem es in weiten Teilen von anonymen, gut organisierten und blitzschnell agierenden Säuberungskommandos kontrolliert wird. Google entscheidet durch seinen unter Verschluß gehaltenen Algorithmus über Relevanz und Reihenfolge der Informationen. Eine Sperrung bei Facebook kann die Ohnmacht verdoppeln, aus der aufmüpfige Nutzer sich eben befreit zu haben glaubten. Die Ausschluß- und Zensurdrohung richtet sich eindeutig gegen „Rechts“ und folgt den Intentionen staatlicher Stellen.

Der politische Gegner wird zum absoluten Feind

Die Freiheit durch das Netz war eine schöne, aber keine zufällige Illusion. Die technischen Innovationen gingen einher mit Theorien über die Neuerfindung des Politischen, über die „reflexive“ oder „Zweite Moderne“ und die „Risikogesellschaft“. Ein Hauptvertreter war der 2015 verstorbene Soziologe Ulrich Beck. An die Stelle der Verteilungskämpfe, welche die „Erste Moderne“ der Industriegesellschaft kennzeichnete, sah er die Reflexion über ihre Schäden und Risiken – Umweltzerstörung, Gefahren der Technik usw. –  treten. Weil niemand mehr den absoluten Wahrheitsanspruch erhebe, stattdessen die Möglichkeit des eigenen Irrtums mitdenke und dem Kritiker seine Berechtigung zubillige, würde die Politik ihre antagonistische Härte verlieren. Die Freund-Feind-Konstellation würde durch den Dialog abgelöst werden und gesellschaftliche Kräfte verstärkt an den Entscheidungen teilhaben. Das Politische würde durch die Delegierung an das engagierte Individuum seinen Charakter verändern und zur „Subpolitik“, zur „Gesellschaftsgeschichte von unten“, werden. Das Internet war das dazu passende Medium.

Neben der individualisierten prognostizierte Beck eine kosmopolitische Zukunft, in der internationale Kommunikation, Handel, Arbeitsteilung und Migration den Staat und die Gesellschaft von innen her globalisierten. Der politische Konflikt zwischen links und rechts würde zum Gegensatz zwischen Modernisten und Traditionalisten eingedampft werden.

Tatsächlich geht die Entscheidungsmacht von nationalen auf transnationale Akteure über, um den Preis allerdings der fortschreitenden Entdemokratisierung. Statt der Emanzipation hat der einzelne nur die Wahl, sich dem Zweckrationalismus der Globalisierungsvorgaben zu unterwerfen oder seine Verdammung zur Unperson hinzunehmen. Der politische Konflikt ist mitnichten verschwunden, er hat sich sogar noch verschärft, weil er aus der Politik auf das Gebiet der Moral verlegt worden ist.

Wer aktuell in der Frage der Massenzuwanderung eine konträre politische Position vertritt, dem wird statt mit Argumenten mit der Behauptung begegnet, er verbreite „Haß“. Man unterstellt ihm damit moralische und intellektuelle Fehlfunktionen und ein quasi-kriminelles Handeln. Der politische Gegner wird in einen absoluten Feind verwandelt! Die großen sozialen Netzwerke verstehen sich als Träger der globalistischen Ideologie. Das erschließt sich auch aus der Videobotschaft, die Microsoft-Gründer Bill Gates an Zuckerberg und seine Frau nach Berlin sandte: „Mark, du und Priscilla, ihr bereitet den Weg für eine neue Generation von Menschenfreunden.“

Der Gegner muß logischerweise ein Menschenfeind oder gleich ein „hostis humani generis“, ein Feind der Menschheit, sein, gegen den jedes Mittel recht ist.

So wendet sich das Medium gegen seine Nutzer, wenn sie vermeintlich falschen Meinungen anhängen. Die globalisierte Form der Machtausübung steht erst am Anfang. Man darf sie sich nicht als einen simplen, hierarchisch gesteuerten Prozeß vorstellen. Sie verläuft auch horizontal. Regierungen, internationale Organisationen, Denkfabriken, Banken, große Firmen, Pressekonzerne bilden Knoten innerhalb eines weitgespannten Netzwerks und senden je nach Größe und Bedeutung Impulse von unterschiedlicher Stärke aus.

Stattgefunden hat eine Emanzipation der anderen Art: Die Politik hat sich vom Demos freigemacht. Die machtbewußte Kanzlerin weiß besser als ihre Kritiker, daß es nicht mehr auf ihn, sondern auf das Netzwerk ankommt.