© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/16 / 25. März 2016

Dorn im Auge
Christian Dorn

Alles „Merde“ und „Shit“ – auch der neue Gehweg ändert nichts an der allgemeinen Befindlichkeit. Auf den Hundehaufen am Wegrand stecken kleine französische oder britische Flaggen wie bei Petits fours, damit läßt sich die ganze Sch... immerhin sprachlich nobilitieren. So ist die anarchische Kunst im urbanen Raum wirklich auf den Hund gekommen, irgendwo zwischen Dada und Gaga.

Volk, Volker, AfD – der selbstkonstruierte Komparativ hilft noch immer über die neuesten Enttäuschungen hinweg. So kippte am Wahlabend die Stimme des AfD-Siegers in Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, bei der pathetischen Verkündung, die „neue Volkspartei“ zu sein, unversehens in eine tümelnde Tonhöhe, als ginge nun auch mit ihm der völkische Gaul durch. Das mag dem Augenblick geschuldet gewesen sein, doch seine neueste Äußerung führt mich dann doch zum Spitznamen André „Putinburg“. So wendet sich der AfD-Landeschef in der jüngsten FAS-Ausgabe gegen „Exzesse wie auf dem Christopher Street Day“, denn „daß Schwule halbnackt tanzten, dürfe nicht sein“, gibt ihn die Zeitung wieder.

Wie gut für Poggenburg, daß er nicht in Berlin lebt. Hier feiert die schwule Leder- und Fetisch-szene alljährlich zu Ostern ihr eigenes Fest zur Auferstehung des Fleisches. Öffentlicher Höhepunkt dürfte zweifellos am Ostersonntag die „Puppies Easter Walking Tour“ durch den Tiergarten sein, wo Herrchen und „Kerlchen“ zu Dogplay-Spielen im Park den Herrchen mit den wirklichen Hunden begegnen werden – Mensch und Tier endlich auf Augenhöhe. Zusammen mit den türkischen und osteuropäischen Gruppen, die hier am Wochenende picknicken, gibt das ein wirklich idyllisches Paradies auf Erden – bevor es dann wieder „auf die Fresse“ gibt, etwa am Kottbusser Tor.

Dort residiert auch der Musikclub „Monarch“ im ersten Stock eines Hauses, dessen Treppenflur bestialisch nach Urin und Fäkalien stinkt. Als im Club die neue Ausgabe des schwul-lesbischen Magazins Siegessäule vorgestellt wird, warnt Chefredakteur Jan Noll davor, die Übergriffe auf sexuelle Minderheiten durch die „Flüchtlinge“ zum Gegenstand zu machen, da dies nur rassistische und xenophobe Stereotype befeuere. Es gehöre nun einmal dazu, daß man im Leben immer mal irgendwo „eins in die Fresse bekommt“. Als ich dies bei der Jubiläumsfeier von Beate Uhse TV einer Kollegin erzähle, die gerade an den Außengrenzen Europas Flüchtlinge versorgt hat, entgegnet sie tonlos: „Das ist ja die Kapitulation.“