© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/16 / 25. März 2016

Ein Terrier spielt Keyboard
Experimentelle Hundephilosophie: Laurie Andersons Film „Heart of a Dog“
Sebastian Hennig

Die Performance-Künstlerin und Musikerin Laurie Anderson belegte 1982 mit „O Superman“ den zweiten Platz der englischen Single-Charts. Im Konzertfilm „Home of the Brave“ von 1986 unterstreicht ein Background-Chor und eine Rhythmusgruppe ihr postmodernes Philosophieren. Damit erreichte sie gleichzeitig halbstarke Fans und intellektuelle Kunstgenießer. Nahezu ein Popstar und zugleich per „Documenta“-Teilnahme als seriöse Künstlerin zertifiziert zu sein war eine äußerst komfortable Situation. Wenn nämlich die Hits nicht in den Niederungen der Charts explodieren wollten, blieben ihr noch die Spielfelder der Hochkultur, um sich bedeutungsvoll darauf auszubreiten.

Dreißig Jahre später ist die Party abgeklungen und der Hauptstrom erweiterter Wahrnehmung wieder zum Rinnsal des artistischen Experiments zusammengeschrumpft. Auch Performance-Künstler können spießige Existenzen führen und zuweilen den Hund Gassi führen. In Andersons neuem Film „Heart of a Dog“ sind die Hauptfiguren die Rat Terrier Gatto, Archie und Lolabelle. Zur Seite stehen ihnen Pudel Etta, Border Terrier Little Will und Schäferhund Nitro. Zwischen all der zutraulichen Hündischkeit blitzen menschliche Gesichter nur kurz einmal auf.

In einem seiner „Venezianischen Epigramme“ stellte Goethe 1790 fest: „Wundern kann es mich nicht, daß Menschen die Hunde so lieben, / Denn ein erbärmlicher Schuft ist, wie der Mensch, so der Hund.“ Ähnliche Beobachtungen bewegten den Misanthropen und Philosophen Arthur Schopenhauer dazu, seinen Pudel „Mensch!“ zu rufen. Laurie Andersons Film nun treibt die Vermenschlichung des Köters auf die Spitze.

Es beginnt mit einer gezeichneten Animation aus wilden Kreidestrichen. Die Erzählerin wird in einem Traum nach der Art Alfred Kubins per Kaiserschnitt von einem Terrier entbunden. Gefühle von Freude und Schuld überkommen die seltsame Wöchnerin. In die Lebensgeschichte der Terrier-Hündin Lolabelle werden autobiographische Erinnerungen verflochten. Das Gewebe ist Flickwerk aus Acht-Millimeter-Heimfilmen, Albumbildern, unscharfen Einstellungen und hündischen Blickwinkeln.

Durch die Straßen von New York spazieren wir in vierbeiniger Perspektive. Das Tier kam infolge der Scheidung von Herrchen und Frauchen ins Heim. Ursprünglich wurde seine Rasse nicht zum Kuscheln gezüchtet. Der Ratten-Terrier sollte die Farmer dabei unterstützen, der Rattenplage auf ihrem Anwesen Herr zu werden. Der niedliche Totbeißer wird zur Projektion aller denkbaren Daseinsfragen genutzt. Beiläufig kommt die Rede auf den Einsturz der Zwillingstürme in der Heimatstadt der Künstlerin und die Exekution von Osama bin Laden. Als sich der Staub von der Trümmerstätte über die Stadt ausbreitet und während die Polizeiboote hektisch über den Hudson rasen, zieht sich Anderson mit ihrer Hündin in die kalifornischen Berge zurück.

Søren Kierkegaards Bemerkung, das Leben lasse sich nur rückwärts verstehen und vorwärts leben, wird über den alles aufzeichnenden Überwachungsstaat mit dem Hundeleben verbunden. Zur Verwendung für das Heimatschutzministerium werden Hunde von Insassen der Haftanstalten trainiert. Die Devise der infolge des 11. September 2001 gegründeten Homeland Security lautet „If you see something, say something“. Doch die Hunde haben nur eine beschränkte Farbwahrnehmung, den monochromen Aufzeichnungen der Überwachungskameras ganz ähnlich. Der gigantische Neubau des Datenzentrums der NSA in der Wüste von Utah ist zu sehen, wo mit einer Kapazität von 420 MB pro Erdenbürger zum erstenmal der gesamte Datenverkehr der Welt überwacht werden kann. Der Kamerafokus streicht von der Makroeinstellung des blind werdenden Augapfels der Hündin in die monochrome Welt ihrer vermutlichen Wahrnehmung. Graphische Muster aus digitalen Chiffren und Telefonkabeln laufen über die Leinwand.

Als das Tier erblindet ist, wird es von einer Trainerin zur bildenden Künstlerin ausgebildet. Mit der Pfote kratzt die Hündin die Farbe auf und modelliert eine Masse. Auch die Tasten des Keyboards lernt sie unter Gekläff niederzudrücken. Ein nervendes Rhythmusprogramm unterstützt die Darbietung. Die groteske Abrichtung ist völlig ironiefrei, ganz anders als die Nummern der russischen Dressurclowns Durow und Popow. Dressur gilt hier als engagierte Selbstverwirklichung. Die blinde Lolabelle spielt am Bühnenrand auf dem Keyboard, wie Stevie Wonder oder Ray Charles, ein Benefizkonzert für Tierrechtsorganisationen. Das Geplauder und Gelächter des wohltätigen Publikums überlagert die erzeugten Töne. Das Hundeleben endet beinahe auf der Intensivstation der Tierklinik. Doch die Großmutter mahnt, die Hündin zu Hause verenden zu lassen.

Der Film verästelt sich weiter über das Sterben eines Freundes, eine Schwimmbadverletzung nebst folgendem Krankenhausmartyrium, Nahtoderlebnisse beim Einbrechen durch die Eisdecke, Geistererscheinungen und ein 49 Tage währendes Zwischenreich von Leben und Tod. Wir erblicken Film- und Fotoaufnahmen, abgefilmt durch matt transparente, zerkratzte Flächen, die wie antike Fenster aus Alabaster wirken, oder durch nasse Glasscheiben, an denen unablässig Regen herabrinnt. Dem gesamten Film ist eine grummelnde, röhrende und dräuende Musik unterlegt. Darüber rezitiert die Regisseurin ihren Text. Ein Experiment ist das zweifelsohne, wenn auch kein gelungenes.


Kinostart: 24. März

 www.heartofadogfilm.com