© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/16 / 25. März 2016

Zwei Tote an Winnetous Silbersee
Vor 25 Jahren entzündeten Schüsse zwischen Serben und Kroaten an den Plitvicer Seen den Jugoslawienkrieg
Martin Grosch

Josip Jovic und Rajko Vukadinovic hießen die ersten Opfer des ersten großen europäischen Krieges nach 1945. Sie starben ausgerechnet am Ostertag, dem 31. März 1991, in einer der reizvollsten Regionen ihres Geburtslandes, dem Nationalpark Plitvicer Seen. Der „Kaluderovac jezero“, eines der schönsten Gewässer dieser wildromantischen Landschaft, ist als „Silbersee“ mit der Schatzhöhle, durch die Pierre Brice als Winnetou streifte, aus der Karl-May-Verfilmung von 1962 vielen bekannt. 

Jovic gehörte einer Spezialeinheit an, welche im Auftrag Zagrebs die Kontrolle der Straße durch das dünnbesiedelte Gebiet wiedererlangen sollte. Zwei Tage zuvor war die kroatische Leitung des Nationalparks von bewaffneten Krajina-Serben, die dieses Gebiet für sich beanspruchten, vertrieben worden. Einer von ihnen war Vukadinovic. Später sollten beide als Märtyrer ihrer Nationen gefeiert werden, Jovic als kroatisches Opfer „terroristischer serbischer Tschetniks“, Vukadinovic als Held, der das „serbische Land vor den kroatischen Ustascha“ verteidigen wollte. 

Mehr als 25 Jahre sind vergangen, seit der Vielvölkerstaat Jugoslawien seinen beinahe unausweichlichen Untergang erlebte und die von den Serben dominierten Nationen ihre Unabhängigkeit erlangten. Jugoslawien war ein Staat, in dem – je nach Lesart – sechs bis acht Völker lebten, die sechs Sprachen pflegten, drei Religionen angehörten, zwei Alphabete verwendeten und einer Partei unterstanden. So läßt sich in Kurzform die Problematik und Konfliktträchtigkeit dieses Staates umschreiben und dennoch existierte er fast siebzig Jahre: von 1918 bis 1941 und dann wieder ab 1945. 

Durch Jugoslawien verlief ein west-östliches Kulturgefälle zwischen dem katholischen und europäisch geprägten Nordwesten (Slowenien, Kroatien) und dem orthodox-byzantinisch sowie islamisch beeinflußten Südosten; historisch gesehen eine Konsequenz der Zugehörigkeit zur Donaumonarchie im Westen und zum Osmanischen Reich im Osten, wie sie den jugoslawischen Völkern über Jahrhunderte beschieden war. Dies wirkte sich massiv in politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht aus. Im Zweiten Weltkrieg sollte der Kampf an dieser Schnittstelle von unerbittlicher Brutalität gekennzeichnet sein. Während der faschistischen Herrschaft in Zagreb nach 1941 kämpften kroatische Ustascha-Einheiten und serbische Tschetniks und kommunistische Partisanen mit grausamer Härte gegeneinander. Mordaktionen an Zivilisten und Vertreibungen von Ustascha-Kämpfern wurden spätestens 1945 von den Tito-Partisanen bitter vergolten. Danach herrschte Friedhofsruhe, in der viele Jugoslawen die offenen Rechnungen noch jahrzehntelang konservieren sollten. Nicht ganz zufällig wurden 1991 Begriffe wie Tschetnik oder Ustascha reanimiert. 

Serbisch-montenegrinische Dominanz in Jugoslawien

Nach Ausrufung der „Föderativen Volksrepublik Jugoslawien“ am 11. November 1945 und der Verfassung vom 30. Januar 1946 gliederte sich das Land in die sechs Teilrepubliken: Serbien, Kroatien, Slowenien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Makedonien sowie den beiden autonomen, zu Serbien gehörenden Regionen Wojwodina und Kosovo. Damit wurde der Versuch unternommen, nationalitätenpolitisch-ethnischen Erwägungen Rechnung zu tragen, um die nichtserbischen Völker zu befriedigen sowie einem Großserbismus den Boden zu entziehen, lebten doch die Völker der Serben, Kroaten, Slowenen, Montenegriner, Makedonen, Albaner und Ungarn in diesem Staat zusammen. 

Tito erklärte 1948 die Nationalfrage zur „allseitigen Zufriedenheit unserer Nationen“ für gelöst. Das dem nicht so war, sondern neben verordneter Eintracht sich auch noch eine serbisch-montenegrinische Dominanz im Staatsapparat etablierte, verdeutlichen folgende Zahlen: Bereits 1961 stellten diese beiden Volksgruppen bei einem Anteil von 45 Prozent der Gesamtbevölkerung 84 Prozent der Minister, Beamten und Funktionäre, 84 Prozent der Bundesrichter, 70 Prozent der Offiziere usw. Die wirtschaftlich effektiven Teilrepubliken Slowenien und Kroatien wurden von den Serben, die sich als Staatsnation verstanden, vollständig dominiert. Eine gewisse Autonomie der Teilrepubliken stand auf serbischer Seite nie zur Debatte. Dies zeigte sich auch an der gewaltsamen Niederschlagung des „Kroatischen Frühlings“ 1971. 

Nach dem Tod des Diktators Tito 1980 fehlte dem Staat die einigende Klammer. Slowenien begann ab 1986 auf Reformen zu setzen, Serbien dagegen auf ein eigenes nationalistisches Selbstbewußtsein. 1987 wurde dort Slobodan Miloševic zum Vorsitzenden der serbischen KP und zum Präsidenten gewählt. Dies bedeutete den entscheidenden Richtungswechsel in der serbischen Politik nach Titos Tod und eine abrupte Abkehr von dessen auf ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Volksgruppen ausgerichteter Innenpolitik.

Im Zuge der Auflösungserscheinungen im kommunistischen Lager gründeten sich in Slowenien und Kroatien Parteien, die Liberalismus, freie Meinungsäußerung und Autonomie und sogar Unabhängigkeit propagierten. Am Beispiel Kroatiens läßt sich dieser Weg gut nachzeichnen. Vater der kroatischen Unabhängigkeit war der ehemalige General der Jugoslawischen Volksarmee und Historiker Franjo Tudjman, Gründer der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ). Bei den ersten freien Wahlen im April 1990 errang die HDZ in der Teilrepublik Kroatien die absolute Mehrheit. Am 30. Mai wurde eine eigene Verfassung verabschiedet, doch zunächst favorisierte Tudjman eine konföderative Lösung. In einem Referendum sprachen sich 94 Prozent der Kroaten ebenfalls für einen Bund souveräner Staaten aus. 

Das Ziel war, eine Gemeinschaft mit den anderen jugoslawischen Teilrepubliken zu bilden, zumindest aber sollte eine unbehinderte wirtschaftliche Zusammenarbeit aufrechterhalten werden. Doch es kam anders. Obwohl den Serben und allen weiteren Minderheiten kulturelle Autonomie und alle bürgerlichen Rechte garantiert wurden, steuerte die serbische Partei Kroatiens von Beginn an auf Konfrontationskurs. Der „Zwischenfall bei den Plitvicer Seen markierte dann im 1991 den Beginn des serbisch-kroatischen Krieges. 

Besonders, als serbische Freischärler, die sogenannten Tschetniks, im April 1991 dank massiver Unterstützung durch die „jugoslawische“ Bundesarmee die Unabhängigkeit der überwiegend von Serben bewohnten Krajina ausriefen, beschloß Tudjman, bis zum 25. Juni 1991 im Einklang mit Slowenien die völlige Unabhängigkeit seines Landes zu vollziehen, ein laut der jugoslawischen Verfassung von 1974 legitimer Schritt. 

Die Volksabstimmungen über eine Unabhängigkeit in Slowenien (am 23. Januar 1990) und Kroatien (am 19. Mai 1991) mit 88,5 Prozent bzw. 93,2 Prozent Zustimmung stellten eine eindrucksvolle Legitimation dieses Schrittes dar. Dennoch wurden auf internationalen Druck hin die Unabhängigkeitserklärungen für drei Monate ausgesetzt, weitere Verhandlungen und Vermittlungen durch die Europäische Gemeinschaft (EG) blieben in dieser Zeit aber erfolglos. Völkerrechtlich anerkannt wurden beide Staaten durch die EG und weitere Länder erst am 15. Januar 1992, nicht zuletzt dank der deutschen Vorreiterrolle, wo unter Regie von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher die Anerkennung schon am 23. Dezember 1991 erfolgte.

In Kroatien eskalierte die Lage jedoch. Innerhalb kurzer Zeit besetzten serbische Einheiten mehr als ein Drittel des Landes, darunter auch rein kroatisch besiedelte Gebiete, wie die Stadt Vukovar in Slawonien, aus der die Serben sämtliche kroatischen Bewohner auf brutale Weise vertrieben. Gleiches galt für die Kraijna, wo kroatische Familien aus ihren Häusern von serbischen Milizen, die zuvor Polizei- und Verwaltungsstellen besetzt hatten, gejagt wurden. Trotz des Abkommens von Brioni weiteten sich die bewaffneten Auseinandersetzungen zu einem klassischen konventionellen Krieg aus mit Tausenden Gefallenen und Hunderttausenden zivilen Flüchtlingen. 

Nach unzähligen Waffenstillstandsbemühungen, die oft am unnachgiebigen serbischen Präsidenten Miloševic oder den kaum zu bändigenden Kämpfern der „Republika Srpska“ scheiterten, stoppte im Februar 1992 eine 14.000 Mann starke Uno-Blauhelmmission (Unprofor) die bewaffneten Auseinandersetzungen. Da die serbische Führungsspitze in Belgrad und in der Krajina jeden Rückzug von kroatischem Staatsgebiet ablehnten, die Uno-Truppen die Vertreibung der Kroaten („ethnische Säuberungen“) nicht verhinderten und die serbische Besatzung dadurch im Prinzip festigten, war eine politische Lösung des Konflikt nicht in Sicht. 

1995 erobert die kroatische Armee die Gebiete zurück

Tudjman entschloß sich nun, militärisch offensiv zu werden und die serbisch besetzten Gebiete zurückzuerobern. Am 11. Januar 1994 kündigte er an, daß Kroatien einer Erneuerung des Unprofor-Mandats über den 31. März 1995 hinaus nicht zustimmen werde, da die Vereinten Nationen zu geringe Aktivitäten gezeigt hätten, das von den Serben völkerrechtswidrig besetzte Gebiet unter die Souveränität Kroatiens zurückzuführen. Innerhalb weniger Tage eroberte die mittlerweile aufgerüstete kroatische Armee im Mai 1995 Westslawonien zurück (Operation „Bljesak“–Blitz). Vom 4. bis 7. August erfolgte im Zuge der Operation „Oluja“ (Gewittersturm) mit etwa 120.000 Soldaten die Befreiung der Krajina. Kroatischen Verbänden gelang es, auch die Serbenhochburg Knin in Dalmatien zu erobern. 

Einschließlich des Bosnienkrieges zwischen 1992 bis 1995 forderte der Jugoslawienkrieg 150.000 bis 200.000 Menschenleben, Millionen wurden vertrieben und konnten oft später nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren. Weite Teile Bosniens und Kroatiens wurden zerstört, bis heute sind die Narben noch sichtbar. 

Foto: Idylle der Plitvicer Seen; kroatische Spezialeinheiten nehmen serbische Rebellen aus der Krajina im Nationalpark Plitvice fest, Ostern 1991 (r.):