© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/16 / 25. März 2016

Auf die katholische Gemeinwohllehre besinnen
Der spanische Jurist Álvaro d’Ors klärt nach 1945 vermiedene politische wie völkerrechtliche Begrifflichkeiten
Felix Dirsch

Der spanischen Jurist und Philologe Álvaro d’Ors (1915–2004) zählt zu den bedeutendsten Rechtshistorikern seines Landes im 20. Jahrhundert. Grundlegend sind die Arbeiten des Ordinarius für römisches Recht besonders zu naturrechtlichen Fragestellungen und Problemen. 

Über Jahrzehnte hinweg dauerte d’Ors’ nicht unkritischer Kontakt zu Carl Schmitt. Vor über einem Jahrzehnt ist der Briefwechsel zwischen beiden erschienen (Berlin 2004). Der spanische Gelehrte versuchte weitaus stärker als der Meister aus Plettenberg, theologische Substanz in sein juristisches Denken einzubringen. So lehnte er – anders als der deutsche Etatist – den modernen Territorialstaat, der im 16. Jahrhundert anhebt, als Ausfluß säkularisierten Denkens ab. In d’Ors’ später Schrift „Gemeinwohl und Öffentlicher Feind“, deren Übersetzung ins Deutsche nunmehr erschienen ist, verweist der zweite Teil des Titels auf Schmittsche Einflüsse. Der konservative Katholik erörtert mit dem bonum commune eines der Grundprinzipien der katholischen Soziallehre neben dem Subsidiaritäts- und dem Solidaritätsprinzip, freilich stärker in juristischen als in philosophischen Zusammenhängen.

Ein Staat ist verpflichtet, seine Identität zu wahren

Natur- und römisch-rechtliche Einsichten werden von d’Ors in Verbindung gebracht mit öffentlich-rechtlichen Fragestellungen und völkerrechtlichen Hintergründen. Eine solche juristische Mixtur ist reizvoll, aber manchmal auch schwer verständlich, zumindest für den Laien. Einfache Konklusionen, beispielsweise vom Naturrecht zu den Menschenrechten, sind seine Sache nicht.

Zu den grundsätzlichen Überlegungen des Autors zählen die diversen Implikationen der Unterscheidung von gemeinen, öffentlichen und privaten Gütern – eine Differenzierung, die auf Lehren des römischen Rechts zurückgreift. Im Kapitel „Öffentlicher Feind“ geht es vor allem um verschiedene Arten von Kriegen, etwa Vernichtungs-, Religions- und Bürgerkriege, Genozide und andere. Das letzte Kapitel setzt sich mit dem Thema „Kriminalität“ auseinander. 

Viele seiner Ansichten sind politisch unkorrekt, darunter auch seine Stellungnahme zu einer etwaigen Kriminalisierung und Tribunalisierung von Kriegsverlierern. Dieser Beitrag ist im Umfeld der Debatten um den Internationalen Strafgerichtshof und die Legitimität der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse bleibend bedeutsam. An einigen Stellen ist der Text sogar von erstaunlicher Aktualität. So wird auch auf das Problem der Einwanderung eingegangen. D’Ors sieht es als zu kurz gegriffen an, wenn Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen forciert werde. Das könne zu Rassenunruhen führen, die auch durch die unterschiedliche Fertilität der Neubürger im Vergleich zu den Autochthonen verursacht werden könnten. Ein Staat sei in der Lage, Immigration zu begrenzen, ja in gewisser Weise sogar dazu verpflichtet, um seine Identität zu wahren. Nachträglich jedoch sei es der Gemeinschaft aus naturrechtlichen Gründen verboten, sich „zu reinigen“. 

Der nüchterne Realismus des spanischen Juristen ist gerade im hypermoralisch exaltierten Deutschland, dessen Eliten sich schwertun mit der Einsicht, daß es Freunde nur im privaten Bereich, nicht unter Staaten geben könne, ein unverzichtbares Antidot gegen einen Wirklichkeitsverlust, der sich nicht zuletzt in den Reaktionen auf die Snowdenschen Enthüllungen gezeigt hat.

Die Einführung in den Text durch den Herausgeber und Übersetzer, den Dominikaner und Juristen Wolfgang Hariolf Spindler, ist grundlegend. Weiterhin ist dessen vorzügliche Kommentierung hervorzuheben. D’Ors Veröffentlichung ist ein Musterbeispiel für die fruchtbare Rezeption des Denkens von Schmitt in Europa.

Wolfgang Hariolf Spindler (Hrsg.): Álvaro d’Ors. Gemeinwohl und Öffentlicher Feind. Karolinger Verlag, Wien 2015, gebunden, 128 Seiten, 19,90 Euro