© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/16 / 25. März 2016

Der Fischsegen wird zum Fluch Vietnams
Im Mekongdelta zeigen sich die ökologischen Schattenseiten der Aquakultur / Reisanbau gefährdet?
Dieter Menke

Das Mekongdelta an der Südspitze Vietnams ist mit 39.000 Quadratkilometern so groß wie die Schweiz, hat aber mit 17,5 Millionen eine doppelt so große Bevölkerung. Nur das Delta des Roten Flusses mit der Hauptstadt Hanoi ist in dem 93-Millionen-Einwohner-Land noch dichter bewohnt. Doch nicht aus ihrer Bevölkerungszahl resultieren die Probleme dieser südlichsten vietnamesischen Region. Paradoxerweise ist es deren wirtschaftliche Erfolgsgeschichte, die seit Jahrzehnten von der Aquakultur in den 13 Mekong-Provinzen geschrieben wurde.

Dank des Monsunklimas, großer Frischwasserressourcen und nährstoffreicher Sedimente war das Delta von jeher nicht nur für seinen Reisanbau, sondern auch für seine artenreiche Fischfauna bekannt. Nach dem Ende des Vietnam-Krieges 1975 begann der Aufbau einer exportorientierten Fischzucht. Nach bescheidenen Anfängen steigerte sich der Ertrag von Mitte der neunziger Jahre bis heute von 0,26 auf 2,22 Millionen Tonnen. Allein in der Südprovinz Cà Mau – zweimal so groß wie das Saarland – verdoppelte sich die Shrimpsproduktion zwischen 2003 und 2013 von 62.000 auf 136.000 Tonnen. In der vom Meer am weitesten entfernten Provinz ?òng Tháp, dem Zentrum der Süßwasserfischzucht, verzehnfachte sich die Produktion von 41.000 auf 417.000 Tonnen. Das Gros entfällt dabei auf den bei Supermarkt-Einkäufern immer beliebter gewordenen Pangasius. Der fettarme, auch als Schlankwels verkaufte Speisefisch landet meist auf europäischen Tischen. Der US-Hunger wird durch eigene Aufzucht gestillt, denn ein prohibitiver Zoll verhindert den Export nach Amerika – zumindest solange der von Donald Trump oder Bernie Sanders attackierte Freihandelsvertrag TPP noch nicht ratifiziert ist.

Derzeit stammt 70 Prozent der vietnamesischen Aquakulturproduktion aus den Teichen des Deltagebietes. Mit 1,5 Millionen Tonnen ist Vietnam nach Brasilien der zweitgrößte Kaffee-Erzeuger Welt. Bei der Aquakultur liegt das Land mit 3,1 Millionen Tonnen Fisch, Garnelen und anderen Krustentieren nach Thailand und Indonesien auf Rang drei.

Die Hälfte des größten Mangrovengebiets abgeholzt

Doch mittlerweile droht der ökologische Schaden den ökonomischen Nutzen der Aquakultur erheblich zu mindern, warnt die am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (Oberpfaffenhofen) tätige Geographin Claudia Künzer (Geographische Rundschau, 2/16). Die Expertin für satellitengestützte Erderkundung dokumentiert zusammen mit zwei Kollegen, wie Düngemittel-, Pestizid- und Antibiotika-Einsatz den Mekong verschmutzen.

Schadstoffeinträge und Überdüngung seien als Hauptursachen für Artenvielfaltsverlust und Degradierung der natürlichen Küstenökosysteme klar identifiziert. Die Übernutzung der Wasserressourcen durch Entnahme für Fisch- und Garnelenteiche führe zum Absinken des Grundwasserspiegels, zur Zerstörung wertvoller Feuchtgebiete und zur Versalzung des Bodens. Das führe wiederum vielerorts zu schmerzlichen Rückgängen beim Reisanbau, der immer noch die Hälfte des Territoriums der Region einnimmt. Hinzu kämen bereits 2.000 wissenschaftlich nachgewiesene Veränderungen der Magrovenbedeckung, deren „Rückgang und Konvertierung eindeutig“ auf den „enormen Flächenbedarf“ der extensiven Aquakultur zurückgehe. Zugunsten der Shrimpszucht habe man in der Provinz Cà Mau inzwischen die Hälfte des größten Mangrovengebiets Vietnams abgeholzt. Eine derartige Dezimierung der für den Küstenschutz unentbehrlichen Mangrovenwälder verstärke die Küstenerosion und erhöhe das Risiko für Sturmschäden, Flutwellen und Überschwemmungen.

Für Künzer stehen die positiven Impulse der Aquakultur außer Frage, weil sie dem Mekongdelta wirtschaftlichen Aufschwung und Arbeitsplätze beschere und zur vietnamesischen Nahrungssicherung beitrüge. Zudem kompensierte die Aquakultur teilweise den Rückgang der Fangerträge der Seefischerei infolge der Überfischung des Südchinesischen Meeres. Dennoch deute sich an, daß aus dem Segen ein Fluch werde, da unzureichend ausgebauter Umweltschutz die „unkontrollierte Ausweitung der Aquakultur“ begünstigt. Inzwischen erkenne man die Abhängigkeit von der Produktivität der angrenzenden Ökosysteme und könne absehen, wie Umweltverschmutzung, Abholzung und Verlust von Küstenökosystemen langfristig auch die Rentabilität der Aquakultur gefährdeten.

Leider sei zu erwarten, daß ökologische Bedenken dem Wachstum geopfert würden. Unaufhaltsam steige die Nachfrage nach proteinreicher Fischnahrung. Was in dem faktischen Entwicklungsland, wo es erst Ansätze des nachhaltigen Ressourcenmanagements gebe und das mit den ökologischen Altlasten des Vietnam-Krieges wie mit denen der enthemmten Industrialisierungspolitik seit 1975 kämpfe, zwangsläufig die Umweltproblematik verschärfe.

Foto: Fischzucht im Mekongdelta: Pangasiusfilets für europäische Teller