© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/16 / 25. März 2016

Knapp daneben
Wahrheitsliebe kann fatal sein
Karl Heinzen

Wunsch und Wirklichkeit zu verwechseln ist, das hat sich in Europa herumgesprochen, ein Wesensmerkmal der Berliner Republik. Auch die Schüler der Hauptstadt sollen offenbar in diesem Geist erzogen werden. „Der rund drei Milliarden teure Flughafen Berlin-Brandenburg BER (auch BBI) bei Schönefeld ist“, so dürfen sie im Erdkundeunterricht aus der „Seydlitz Geographie“ lernen, „seit 2012 einziger Flughafen der Region.“ Klassenausflüge, um dieses Wunderwerk moderner Verkehrsplanung zu bewundern, finden allerdings wohl nicht statt. Dabei wäre es didaktisch reizvoll, Schüler mit der Aufgabe zu befassen, ein neues Nutzungskonzept für die Luxusbauruine zu erstellen. Weniger Kompetenz als jene, die hier bislang fünf Milliarden Euro in den Sand gesetzt haben, weisen sie sicher nicht auf.

Ein Infrastrukturmuseum? Eher nicht, denn auch Museen müssen Brandschutz-bestimmungen einhalten.

Lassen sich auf dem weitläufigen Areal möglicherweise „Flüchtlinge“ unterbringen? Dazu sind die gespenstischen Bauten nicht nur zu deprimierend, sondern vor allem zu weit ab vom Schuß, um eine Integration von Bewohnern in den deutschen Alltag zu erlauben. Aber vielleicht ließe sich hier ein Infrastrukturmuseum einrichten, um die Erinnerung wachzuhalten, daß unsere Vorfahren große Bauvorhaben erfolgreich zum Abschluß brachten? Eher nicht, denn leider müssen auch Museen Brandschutzbestimmungen einhalten. Als einziges Konzept dürfte daher der Abriß übrigbleiben. Auf dem Gelände könnte dann der Bund der Steuerzahler ein Mahnmal gegen die öffentliche Verschwendung errichten. 

In der nächsten Auflage von „Seydlitz Geographie“ werden die Schüler jedoch, so deutet der herausgebende Verlag an, nicht mehr auf diese Aussage stoßen. Das ist zu bedauern. Wahrheitsliebe ist gut und schön. Wenn man sie übertreibt, können die Folgen jedoch fatal sein. Menschen ist nicht damit gedient, wenn man sie ständig mit Problemen konfrontiert, an denen sie sowieso nichts ändern können. Sie werden dann bloß schlecht gelaunt und unberechenbar. Wenn wir wollen, daß Jugendliche voller Optimismus in unsere Gesellschaft hineinwachsen, sollte dies uns ein paar Lügen wert sein.