© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/16 / 01. April 2016

„Dies zu ignorieren ist gefährlich“
Eine brisante Studie über den negativen Effekt ethnischer Durchmischung auf sozialen Zusammenhalt sorgt für Aufmerksamkeit. Britische Forscher wollen festgestellt haben, „Multikulti“ zerstöre die soziale Kohäsion. Doch stimmen die Ergebnisse tatsächlich?
Moritz Schwarz

Herr Dr. Laurence, laut Medienberichten beweist Ihre Studie, daß Multikulturalisierung die soziale Kohäsion in Wohngebieten vermindert.

James Laurence: Bereits der bekannte Harvard-Soziologe Robert Putnam hat 2007 eine Studie über den Zusammenhang von ethnischer Durchmischung und sozialer Kohäsion in US-Kommunen veröffentlicht. Seine Studie sorgte damals für Aufmerksamkeit, weil er zu negativen Resultaten kam. 

Konkret?

Laurence: Unter sozialer Kohäsion verstehen wir den gemeinschaftlichen Zusammenhalt einer sozialen Gruppe, hier kommunaler Gemeinschaften. Also etwa das gegenseitige Vertrauen der Menschen untereinander, die eine Wohngegend oder Nachbarschaft bilden. Inhaltlich meint das zum Beispiel konkret die Bereitschaft, sich in lokalen Vereinen oder sozialen Initiativen für die Gemeinschaft zu engagieren, oder das Vertrauen der Bürger in die lokalen Institutionen, oder das Geborgenheitsgefühl und Wohlbefinden der Menschen in Hinblick auf ihr Wohngebiet. Auf all diese Faktoren wirkte sich laut Putnam ethnische Durchmischung negativ aus.  

Worum ging es Ihnen bei Ihrer Studie dann? Wollten Sie Putnam widerlegen?

Laurence: Nein, wir wollten herausfinden, ob seine auf Grundlage US-amerikanischer Daten erzielten Resultate auch für einen britischen Kontext zutreffen.

Ergebnis?

Laurence: Daß es zwar Unterschiede zu den USA gibt, daß aber auch hierzulande die soziale Kohäsion in ethnisch durchmischten Nachbarschaften geringer ist als in ethnisch homogenen. 

Aber sind diese Ergebnisse denn tatsächlich verläßlich? 

Laurence: Sie bezweifeln unsere Resultate?

Der Umstand, daß die soziale Kohäsion in durchmischten Nachbarschaften geringer ist, besagt noch nicht, daß sie geringer ist, weil sie durchmischt sind. Möglicherweise handelt es sich lediglich um eine Koinzidenz: Zum Beispiel könnten die durchmischten Nachbarschaften auch sozial schwächer und dies der eigentliche Grund für den geringeren sozialen Zusammenhalt sein. 

Laurence: Das ist richtig, und die Frage nach solchen externen Faktoren ist in der Tat eine Schlüsselfrage. Deshalb haben wir für unsere Studie – zum erstenmal bei diesem Thema überhaupt – die Methode der Längsschnittanalyse gewählt. 

Was bedeutet?

Laurence: Die Schwäche der bisherigen Studien zu diesem Thema – inklusive der Putnams – ist, daß sie Querschnittsstudien sind. Das heißt, sie haben die soziale Kohäsion sowohl in ethnisch durchmischten wie in ethnisch homogenen Nachbarschaften erfaßt und verglichen. Diese Methode hat aber eben genau die von Ihnen genannten Faktoren nicht ausgeschlossen. 

Im Klartext?

Laurence: Im Klartext heißt das, daß diese Studien zwar nachweisen, daß die soziale Kohäsion in den untersuchten ethnisch durchmischten Nachbarschaften geringer war als in den ethnisch homogenen – aber nicht, daß die ethnische Durchmischung auch die Ursache dafür war. Wir haben deshalb nicht einfach – wie die früheren Studien – ethnisch durchmischte und ethnisch homogene Nachbarschaften verglichen, sondern über Jahre hinweg die gleichen Nachbarschaftsgebiete beobachtet und untersucht, wie dort im Laufe der Zeit der Grad der ethnischen Durchmischung zu- und ob gleichzeitig der Grad der sozialen Kohäsion abgenommen hat. Und zwar – das möchte ich noch erwähnen – indem wir uns auf Individuen konzentriert haben: Das heißt, wir haben die Bewohner immer wieder befragt, wie wohl sie sich noch in ihrer Umgebung fühlen. Resultat: Tatsächlich sinkt mit zunehmender ethnischer Durchmischung das Wohlgefühl und das Vertrauen der Bewohner gegenüber ihrer Nachbarschaft, die soziale Kohäsion nimmt ab. 

Aber selbst dieses Resultat ist doch nicht eindeutig: Senkt ethnische Durchmischung denn begründetermaßen Wohlgefühl und Vertrauen in der Nachbarschaft? Oder ist dieser Effekt nur Folge der Vorurteile der Einheimischen gegenüber den Einwanderern?

Laurence: Eine berechtigte Frage, und um ehrlich zu sein, unser Resultat ist sogar noch darüber hinausgehend interpretationsbedürftig.

Inwiefern?

Laurence: Auch wenn wir eindeutig festgestellt haben, daß die positive Einstellung der Leute gegenüber ihrer Nachbarschaft mit zunehmender ethnischer Durchmischung abnimmt – das Problem ist, daß unsere Studie auf den Vorgang des Wandels fokussiert war.

Was meinen Sie?

Laurence: Die Studie untersuchte nicht stabile Nachbarschaften – egal ob ethnisch durchmischt oder ethnisch homogen. Sondern solche, bei denen sich ein Wandel von der Homogenität hin zur Diversität vollzogen hat. Daß dies ein Problem ist, darauf stießen wir, als wir feststellten, daß Bürger, die aus ethnisch homogenen Nachbarschaften in ethnisch durchmischte Nachbarschaften umzogen, die genannten negativen Effekte nicht verspürten. Wohl aber jene, die nicht umzogen, deren Nachbarschaft sich im Laufe der Jahre aber ethnisch verändert hat. 

Sie meinen, würde eine ethnisch durchmischte Nachbarschaft an sich zu weniger sozialer Kohäsion führen, dann müßten dies auch Menschen bestätigen, die in eine ethnisch durchmischte Nachbarschaft hineinziehen, nicht nur jene, deren Nachbarschaft sich so verändert. 

Laurence: Genau. Warum zeigte sich der Effekt nur bei jenen, die den Vorgang der Durchmischung als Wandel erleben? Die Antwort könnte sein, auch wenn multikultureller Wandel zu einer nachweisbaren Verringerung der sozialen Kohäsion führt – letztlich könnte nicht der Faktor Multikultur verantwortlich sein, sondern das Erlebnis des Wandels.

Demnach könnten ethnisch durchmischte Nachbarschaften, die Jahrzehnte etabliert sind, eine ebenso hohe soziale Kohäsion entwickeln wie ethnisch homogene Nachbarschaften? 

Laurence: Eben das müßte man nun in weiteren Studien untersuchen. Da unsere Studie auf sich wandelnden Nachbarschaften basiert, läßt sie diesbezüglich keine Aussage zu.

Potentiell könnte Multikulti also funktionieren?

Laurence: Vielleicht ja, untersucht werden müßte, ob Menschen, die in bereits ethnisch durchmischte Nachbarschaften hineingeboren werden, diese negativen Effekte nicht mehr verspüren. 

Fest steht allerdings, daß der Prozeß der Einwanderung und Multikulturalisierung wissenschaftlich nachweisbar zu den genannten negativen Effekten führt?

Laurence: Ja.

Folglich, noch einmal: Was beweisen die negativen Effekte dann eigentlich: daß jene recht haben, die Einwände gegen eine Multikulturalisierung haben? Oder jene, die die Einheimischen einer „rassistischen“ Einstellung zeihen?

Laurence: Eine harte Frage. Allerdings ist egal, was wir Wissenschaftler darüber denken, denn wissenschaftlich kann es nur um die Untersuchung der Fakten und nicht um deren politische Interpretation gehen. Überdies werden beide politischen Seiten diese sowieso auf jeweils ihre Weise vornehmen, gleichgültig was wir sagen.

Aber Sie stellen diese Untersuchung doch nicht aus Lust und Laune an, sondern weil Sie sie für gesellschaftlich relevant halten. Also, welche gesellschaftliche Aussage impliziert sie? 

Laurence: Natürlich hoffen wir, daß die Resultate unserer Studie Aufmerksamkeit finden, weil wir – da haben Sie recht – davon ausgehen, daß sie relevant sind. Wir meinen in der Tat, daß würde man unsere Befunde ignorieren, das für die Gesellschaft möglicherweise von Nachteil wäre. Gleichwohl, deren politische Interpretation ist nicht unsere Sache.  

Würden Sie dem Fazit widersprechen, daß Ihre Studie auf jeden Fall zumindest eine Kritik an jenen ist, die Multikulturalismus schlicht als Bereicherung propagieren?

Laurence: Sie wollen mir erneut eine politische Stellungnahme entlocken.

Mir scheint dies die Schlußfolgerung aus Ihren Ergebnissen zu sein.

Laurence: Sehen Sie, wir sind uns der politischen Brisanz unserer Studie natürlich bewußt. Aber noch mal, wir wollen damit keine politische Aussage machen. Wir machen wissenschaftliche Aussagen. Diese politisch zu deuten, das würde unserem wissenschaftlichen Ansatz widersprechen. 

Kritiker der multikulturellen Gesellschaft werden meist als fremdenfeindlich eingestuft. Widersprechen Ihre Ergebnisse dieser automatischen Kategorisierung nicht? Zeigen sie nicht sogar, daß Kritiker durchaus auf seriösem und wissenschaftlichem Grund stehen können? 

Laurence: Ich glaube, daß echte Fremdenfeindlichkeit in der Tat nur einen kleinen Teil der Kritik an Einwanderung ausmacht, daß dieser Vorwurf aber – da haben Sie nicht unrecht – leicht ausgesprochen wird. Dies aber polarisiert und macht die Debatte nicht leichter. Zwischen den Menschen, die per se für Einwanderung sind und jenen, die per se dagegen sind, gibt es eine Mehrheit in der Mitte, die durchaus Vorbehalte hat, ohne vorurteilsbeladen zu sein. 

Damit aber liefern Sie den Einwanderungskritikern tatsächlich Argumente. Fördern Sie also nicht doch die Fremdenfeindlichkeit in der Gesellschaft? 

Laurence: Ich meine, es ist falsch, mit diesem Vorwurf jeden außerhalb der Normalität stellen zu wollen, der Bedenken gegen Zuwanderung hat. Und indem man das zu tun versucht, verschlimmert man die Vorbehalte nur. Unsere Ergebnisse zu ignorieren, nämlich daß die Menschen Multikulturalisierung als problembehaftet empfinden, ist nach meiner Ansicht gefährlich.  

Gibt es wegen der Studie bereits politische Angriffe gegen Sie?

Laurence: Nein, bis jetzt nicht. 

Sind die Schlüsse aus Ihrer Studie auch auf Deutschland übertragbar, oder wäre das unzulässig?

Laurence: Ich denke, durchaus ist das zulässig. Zumal deutsche Studien bereits zu gleichen Ergebnissen gekommen sind. Wenn diese auch den Nachteil haben, keine Langzeitstudien zu sein. 

In Deutschland erleben wir derzeit eine enorme Massenzuwanderung. Wie wird diese – unter dem Gesichtspunkt Ihrer Studie – unsere Gesellschaft verändern?

Laurence: Angesichts der Tatsache, daß starker Zuzug innerhalb kurzer Zeit zu erheblicher Verunsicherung innerhalb sozialer Gemeinschaften führen kann, sollten die verantwortlichen Politiker unbedingt die Ergebnisse unserer Studie berücksichtigen und bei ihren Entscheidungen einkalkulieren. 

Bitte konkret! Würde etwa Kanzlerin Merkel Sie um Rat fragen, welchen würden Sie ihr geben?

Laurence: Ich würde ihr raten, daß wenn sie diese Politik der Einwanderung verfolgt, dringend so viele Sozialkontakte wie möglich zwischen Einwanderern und Einheimischen zu organisieren. Denn dies verringert die von uns festgestellten negativen Effekte nach unseren Erkenntnissen am besten.   

Also ist folglich damit zu rechnen, daß mit zunehmender Einwanderung die volkspädagogische Beeinflussung zunimmt?

Laurence: Das könnte durchaus sein. Die Frage ist, ob es zu den gewünschten Ergebnissen führt. Denn keinesfalls dürfen die Leute dabei das Gefühl haben, daß sie zu etwas gedrängt werden. Denn ist das der Fall, merken die Leute das und entwickeln erst recht Ablehnung. Aber bitte lassen Sie mich eines noch einmal klarstellen: Das Ziel unserer Arbeit war nicht, die politische Debatte irgendwie aufzuladen. Sondern vielmehr Fakten aufzuzeigen, die dazu führen, daß die Debatte von beiden Seiten auf Basis unserer Daten weniger polarisiert, sondern sachorientierter geführt wird, eben weil sich die Debattenteilnehmer unseren Ergebnissen nicht entziehen können. Wenn wir dazu einen Beitrag leisten könnten, dann wäre unsere Hoffnung erfüllt. 






Dr. James Laurence, ist Soziologe am Institut für Sozialen Wandel der Universität von Manchester in Großbritannien und Leiter der Studie „Does Ethnic Diversity have a Negative Effect on Attitudes towards the Community? A Longitudinal Analysis of the Causal Claims within the Ethnic Diversity and Social Cohesion Debate“ („Hat ethnische Vielfalt einen negativen Effekt auf die Einstellungen gegenüber der Nachbarschaft? Eine Langzeitstudie der kausalen Behauptungen in der Debatte um ethnische Vielfalt und soziale Kohäsion“). Zuvor arbeitete der ehemalige Oxford-Absolvent in den Vereinigten Staaten an der John F. Kennedy School of Government der Eliteuniversität Harvard und in Schweden am Institut für Soziologie der Universität von Stockholm. Geboren wurde James Laurence 1982 in Leeds in der nordenglischen Grafschaft Yorkshire.

Foto: Multikulturelle Alltagsszene im Brüsseler Stadtteil Molenbeek: „Unsere Studie – die erste Längsschnittanalyse dazu überhaupt – belegt, daß soziale Kohäsion in ethnisch durchmischten Nachbarschaften geringer ist als in ethnisch homogenen Wohngegenden (…)  Ein Problem ist allerdings, daß unsere Untersuchung auf den Vorgang des Wandels fokussiert war.“ 

 

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