© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/16 / 01. April 2016

Als das Empire seinen Sieg verspielte
Schwieriges Gedenken: In Dublin feierte die irische Nation den hundertsten Jahrestag des Osteraufstands / Für Nationalisten bleibt die Teilung eine Wunde
Daniel Körtel

Dublin, am Mittag des Ostersonntags: In andächtiger Stille verharrt die Menschenmenge an den eisernen Absperrgattern, die die O’Connell Street, die Hauptverkehrsader der Dubliner Innenstadt, an diesem Tag vom Verkehr freihalten. Auf Großmonitoren verfolgen sie das Geschehen in der Mitte der Straße, dort wo sich vor dem neoklassizistischen Gebäude des Hauptpostamts der Stadt das Hauptgeschehen des Tages abspielt. Nacheinander treffen der Verteidigungsminister Simon Coveney, die Bürgermeisterin Críona Ní Dhálaigh, Ministerpräsident Enda Kenny sowie Staatspräsident Michael D. Higgins vor dem Hauptpostamt ein, zum Höhepunkt der wichtigsten Staatszeremonie der irischen Republik in diesem Jahrzehnt, dem Gedenken zum 100. Jahrestag des Osteraufstands, dem Gründungsereignis des modernen irischen Staats. 

Grün-weiß-orangenes Farbenspiel am Himmel 

Ein Offizier der Irish Defence Forces verliest die Proklamation, mit der zu Ostern 1916 irische Freiheitskämpfer die Republik gegen das britische Empire ausgerufen hatten, das seit fast 800 Jahren die Oberherrschaft über die Grüne Insel ausübte. In Vertretung des irischen Volkes legt Staatspräsident Higgins einen Kranz vor dem Hauptpostamt nieder. Nach einer Schweigeminute wird unter dem Beifall des Publikums unter Abspielen der Nationalhymne die Nationalflagge, die grün-weiß-orangene Trikolore, von Halb- auf Vollmast gezogen. Stellvertretend für die vier Provinzen der Republik – Connacht, Munster, Leinster und Ulster – legen vier Kinder Osterglocken vor dem Hauptpostamt nieder. Über die Achse der O’Connell Street ziehen sechs Flieger die Farbspuren der Trikolore in den Himmel.

Was nun folgt, ist der eigentliche Höhepunkt der Veranstaltung. Von der Parkanlage St. Stephens Green kommend zieht sich entlang Zehntausender Zuschauer die Militärparade der Irish Defence Forces. Die irische Berufsarmee nimmt sich mit weniger als 10.000 Angehörigen relativ bescheiden aus. Doch seit Jahrzehnten stand sie immer wieder im Dienst der Uno, und bereits ihr erster Blauhelmeinsatz führte sie 1961 in die Kämpfe der Kongo-Krise. So stellten die Speerspitze der Parade die vor allem in diesen oftmals heiklen Einsätzen bewährten Veteranen, gefolgt von aktiven Soldaten mit dem typischen blauen UN-Baret tund den weiß getünchten UN-Panzern. 

Die Parade ist nur eingeschränkt militärisch. Den Armee-Gruppen schließen sich auch zivile Einheiten des Polizei-dienstes Gardai, der Gefängniswachen, der Küstenwache, der Rettungsdienste und des Civil Service an. Es muß den Zuschauern wie der Fingerzeig einer höheren Fügung erscheinen, als pünktlich zum Ende ein partieller Regenschauer einen Regenbogen über Dublin erstrahlen läßt.

Was sich Ostern 1916 in der Dubliner Innenstadt abspielte, war ein Drama, das die irische Insel in ihrer politischen Gestalt bis heute prägt. Niemand war damals auf diesen explosiven Ausbruch irischer Rebellion vorbereitet. Home Rule, die begrenzte Autonomie Irlands, war bereits 1914 gesetzlich vom Londoner Parlament verabschiedet und seine Umsetzung auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg verschoben. Denn eine Lösung für den vehementen Widerstand der protestantischen Unionisten im Norden der Insel stand noch aus. Und immerhin kämpften 150.000 Iren freiwillig für das britische Empire an der Westfront in Flandern. 

„Phantasievoll geplant mit künstlerischer Vision und außergewöhnlicher Inkompetenz“ – so läßt sich der ambitionierte, von vornherein zum Scheitern verurteilte Aufstand einer extremen Minderheit irischer Nationalisten zusammenfassen. Englands Schwierigkeiten im Ersten Weltkrieg sollten Irland die Gelegenheit bieten, endlich nach fast 800 Jahren den Traum von Freiheit für das irische Volk zu verwirklichen. 

Doch das Empire war nach anfänglicher Überraschung immer noch stark genug, die Besetzung der Dubliner Innenstadt am Ostermontag 1916 durch rund 1.600 Freischärler nach knapp einer Woche zu beenden. Gesiegt hatten die Briten mit militärischer Überlegenheit und dem bedenkenlosen Einsatz massiver Artillerie, die die Innenstadt in ein Inferno verwandelte. Das ideologische Kalkül der Rebellen, das kapitalistische Britannien würde aus Eigeninteresse von einer Beschießung seines Eigentums absehen, ging nicht auf. Sie waren keine rücksichtslosen Fanatiker. Es spricht für das Verantwortungsgefühl ihrer Anführer, am Ende der Woche angesichts der zivilen Verluste die Aussichtslosigkeit des weiteren Kampfes eingesehen zu haben und den Briten die bedingungslose Kapitulation anzubieten.

Der Traum von der Freiheit war lange nur ein Traum

Der Traum von irischer Freiheit schien damit unter den Trümmern der Dubliner Innenstadt beerdigt zu sein. Aber die Rebellenführer um den Gewerkschafter James Connolly hatten ein Scheitern sogar fest eingeplant. Ihre Generation sollte nicht die erste sein, die keinen Aufstand wagte. „Wir gehen in den Tod“, rief Connolly zu Beginn Passanten zu. Am Ende war es die instinktlose Reaktion des britischen Militärs, die die Stimmung im irischen Volk zum Kippen brachte und die Großbritannien den Sieg kostete.

General Sir John Maxwell, der die Situation in Dublin bereinigen sollte, sah das Problem aus der verengten Perspektive eines Militärs im Kriegszustand, ohne die politischen Folgen in Betracht zu ziehen. Obwohl die Rebellen nach den Regeln des Kriegsrechts kämpften, lehnte der von unklugem Rachedurst erfüllte Maxwell ihre Behandlung als Kriegsgefangene ab. Geheime Militärtribunale verhängten 90 Todesurteile, von denen bis Mai etappenweise 15 vollstreckt wurden, bis London weitere Exekutionen unterband. Doch die folgenden Säuberungsaktionen und Masseninternierungen und letztlich die Ausdehnung der Wehrpflicht auf Irland verhalfen der republikanischen Partei Sinn Fein („Wir selbst“) bei den nachfolgenden Wahlen zu einem Erdrutschsieg. 

Bestärkt durch die politische Legitimation der Erfolge von Sinn Fein entfachte Michael Collins, Veteran des Osteraufstands, 1919 einen Guerillakrieg, der zur Blaupause anderer Bewegungen des 20. Jahrhundert wurde. Es ist unzweifelhaft das Glück, auf der Seite des Siegers zu stehen, das den irischen Nationalhelden Collins davor bewahrte, im Urteil der Geschichte als Vater des modernen Terrorismus dazustehen. Großbritannien verlor nun endgültig die Kontrolle über seine erste Kolonie. Nach schwierigen Verhandlungen entließ das Empire Irland 1922 in die Unabhängigkeit – als Freistaat mit dem britischen König als Staatsoberhaupt. Erst 1949 erklärte sich Irland zur Republik.

Mag das mit seinen religiösen Anleihen aufgeladene Blutopfer des Osteraufstands heute aus der Zeit gefallen sein, so sind die Iren stolz auf dieses Gründungsereignis. Die Selbstvergewisserung der nationalen Identität kommt zum richtigen Zeitpunkt, nachdem Irland nach dem Tod des „keltischen Tigers“ in der Finanzkrise zeitweise seine Souveränität Brüssel und der Troika unterordnen mußte. Doch für einfache Narrative ist die irische Geschichte zu komplex. Der Osteraufstand steht nicht nur für den Beginn irischer Souveränität und Freiheit. Er steht ebenso als ein Schicksalsjahr für ganz Irland, für die Teilung der Insel in das unabhängige Irland und das zu Großbritannien zugehörige Nordirland. Für den irischen Nationalismus, der in der irischen Insel seit jeher eine politisch-geographische Einheit sah, blieb diese Teilung immer eine schwärende Wunde, deren Verheilen die Umstände nicht zuließen. 

Im Gegensatz dazu verstanden die Ulster-Protestanten, die treu zur Krone hielten, den Osteraufstand als einen „Dolchstoß in den Rücken“, der sie in ihrem negativen Urteil über die katholischen Nationalisten nur bestärkte. Die Schlacht an der Somme nur wenige Wochen später kostete in zwei Tagen die Ulstermen 5.500 Tote und Verwundete. Dieses Blutopfer Ulsters vertiefte und zementierte den Riß zwischen den Lagern.

Nordirland konstituierte sich so 1922 als ein „protestantischer Staat für ein protestantisches Volk“ mit einer signifikanten katholischen Minderheit, die sich in einem Apartheidsystem wiederfand. 1969 führten schließlich die Spannungen zwischen den Volksgruppen zu dem als „Troubles“ bekannten Bürgerkrieg mit seinen rund 3.500 Toten. 

Es ist dieser Hintergrund, der in Irland das Gedenken an den Osteraufstand bislang so schwierig machte. Fand zum 50. Jahrestag erstmals eine Parade statt, so wurde diese unter dem Eindruck der „Troubles“ mit dem Terror der Irisch-Republikanischen Armee IRA eingestellt, das Gedenken an „Easter 1916“ aus dem offiziellen Gedächtnis suspendiert. 

Erst der in den 1990er Jahren einsetzende Friedensprozeß in Nordirland ermöglichte es dem damaligen irischen Ministerpräsidenten Bertie Ahern, für 2006 eine Parade anzusetzen und die Planungen für das Gedenken zum 100. Jahrestag ins Auge zu fassen. Seitdem sind eine Reihe bedeutender Meilensteine in der Aussöhnung einstiger Gegner gesetzt worden. Es sah 2007 die historische Visite des irischen Ministerpräsidenten Bertie Ahern im Westminster-Parlament, das gemeinsame Gedenken seines Nachfolgers Enda Kenny mit dem britischen Premier David Cameron um die Gefallenen aus Irland und England auf den Feldern Flanderns und vor allem den bis dahin unwahrscheinlichen Handschlag zwischen Queen Elizabeth II. und dem damaligen nordirischen Deputy First Minister Martin McGuinness, einem früheren IRA-Kommandanten, bei ihrer Visite in Belfast 2012. Schließlich rückte der Einsatz irischer Soldaten im Dienst für Großbritannien im Ersten Weltkrieg stärker in den Fokus des öffentlichen Interesses, ein Kapitel irischer Geschichte, das bislang schamhaft ausgeblendet wurde.

Das Gedenken an den Osteraufstand beansprucht Inklusivität, also die Berücksichtigung der Sichtweisen und Erfahrungen aller Beteiligten, ohne das Ereignis als solches bis zur Unkenntlichkeit weichzuzeichnen. Die Konturen sind offenbar noch scharf genug, wie die kühl-distanzierte Haltung von Arlene Foster, der derzeitigen nordirischen First Ministerin von der probritischen DUP (Democratic Unionist Party), zum Osteraufstand zeigt. Sie lehnte es ab, den Feierlichkeiten in Dublin beizuwohnen, weil der Osteraufstand „eine Attacke auf die Demokratie zu der Zeit“ gewesen sei, dessen Gedenken dem gewalttätigen Republikanismus in Nordirland über viele Jahre Beistand gab. 

Arlene Foster steht nicht allein. Auch die Ränder der nationalistisch-republikanischen Szene Irlands formulieren ihr Unbehagen am Gedenken. Sie erkennen darin nicht Inklusivität, sondern Minimalismus, der den Anspruch des Osteraufstands auf das ungeteilte Irland in einer „Erwähne nicht den Norden“-Mentalität ausblendet. 





Zweierlei Gedenken 

2016 fällt auf der Grünen Insel das 100jährige Gedenken an zwei gegensätzliche, aber miteinander verwobene Ereignisse zusammen: Der Osteraufstand als Gründungsereignis der irischen Unabhängigkeit. Und in Nordirland das Gedenken der probritischen Unionisten/Loyalisten an die Schlacht an der Somme, die unter den protestantischen Freiwilligen einen enormen Blutzoll forderte. Beide Gedenken schließen bislang einander aus und wirkten trennend, da diese Ereignisse zur Spaltung der Insel in den irischen Freistaat und die Provinz Nordirland führten. Seit Einsetzen des nordirischen Friedensprozesses bemüht man sich aber um ein „inklusives“ Gedenken.