© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/16 / 01. April 2016

Die Täterschaft wurde nie geklärt
Attentat: Vor 25 Jahren wurde Detlev Karsten Rohwedder, Chef der Treuhandanstalt, erschossen
Wolfgang Kaufmann

Im Zuge der sogenannten „Wende“ in der DDR wurde 1990 die Treuhandanstalt gegründet, deren Aufgabe darin bestand, die knapp 9.000 volkseigenen Betriebe des ehemaligen „Arbeiter-und-Bauern-Staates“ mit ihren etwa vier Millionen Beschäftigten nach marktwirtschaftlichen Prinzipien zu sanieren beziehungsweise zu privatisieren oder stillzulegen. Als Präsident dieser Institution fungierte zunächst Reiner Maria Gohlke von der Deutschen Bundesbahn, der aber bereits nach fünf Wochen aufgab. Danach rückte Detlev Karsten Rohwedder, ein im thüringischen Gotha geborener Jurist, an seine Stelle. Dieser galt als überaus begnadeter Sanierer, hatte er es doch in den Jahren zwischen 1979 und 1990 fertiggebracht, die völlig marode Hoesch AG zu retten und damit über 10.000 Arbeitsplätze in dem Stahlkonzern vor der Vernichtung zu bewahren.

Solche Wunder waren unter den Bedingungen der neuen Bundesländer jedoch nicht möglich. Deshalb avancierte Rohwedder bald zum meistgehaßten Mann im Osten, woran auch die abermalige Verleihung des Titels „Manager des Jahres“ keinen Deut änderte. Vielmehr erhielt der Treuhandchef mehrere Morddrohungen, die seine Frau Hergard Ende März 1991 bewogen, sich an die Polizei zu wenden, die aber auf eine Ausweitung der bestehenden Personenschutzmaßnahmen verzichtete. 

Obendrein nahm auch Rohwedder selbst die Sache nicht so ernst, wie er es angesichts der Sachlage wohl hätte tun sollen. Insbesondere verweigerte er den Einbau von Panzerglasscheiben in der oberen Etage seines Hauses im noblen Düsseldorfer Stadtteil Niederkassel. Und genau das wurde ihm dann am Abend des 1. April 1991 zum Verhängnis: Als der 58jährige Präsident der Treuhand an diesem arbeitsfreien Ostermontag gegen 23.30 Uhr ins Bett gehen wollte, traf ihn ein Projektil vom Nato-Standardkaliber 7,62 mm, das seine Aorta sowie die Luft- und Speiseröhre zerfetzte, was innerhalb kürzester Zeit zum Tod durch Verbluten führte.

Die daraufhin eingeleitete Ringfahndung der Polizei setzte erst etwa zwanzig bis dreißig Minuten nach dem Attentat ein – genügend Zeit für den Schützen, der aus über 60 Metern Entfernung von einem benachbarten Schrebergarten-Grundstück aus gefeuert hatte, im Nichts zu verschwinden. Allerdings fand sich am Tatort ein kurzes Bekennerschreiben der linksterroristischen Roten Armee Fraktion, welches dann fünf Tage später noch um eine ausführlichere Version ergänzt wurde, die im Bonner Büro der Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP) einging. 

Darin hieß es in der RAF-typischen Orthographie: „wir haben am 1.4.1991 mit dem kommando ulrich wessel den chef der berliner treuhandanstalt detlev karsten rohwedder erschossen.“ Als Begründung wurde angegeben, der Ermordete sei „seit zwanzig jahren in schlüsselfunktionen in politik und wirtschaft“ tätig gewesen und danach zum „bonner statthalter in ost-berlin“ aufgestiegen.

Als Täter auch Ex-DDR-Stasi und CIA im Fokus

Weiterer Beleg für die Täterschaft der Rote Armee Fraktion – das wäre dann ihr Mord Nummer 33 – ist ein einzelnes am Tatort gefundenes Haar, denn das konnte 2001 durch DNA-Analysen dem RAF-Terroristen Wolfgang Grams zugeordnet werden. Der freilich war zu diesem Zeitpunkt schon acht Jahre tot und somit weder zu belangen noch zu befragen: Er starb am 27. Juni 1993 bei einem Festnahmeversuch auf dem Bahnhof von Bad Kleinen unter bis heute nicht genau geklärten Umständen.

Aufgrund der recht fragilen Beweislage meldeten sich schon kurz nach dem Bekanntwerden des Bekennerschreibens erste Stimmen, die die offizielle Version bezweifelten, nach der die sogenannte „Dritte Generation“ der RAF Rohwedder liquidiert habe, um einen weiteren hochrangigen Vertreter des bundesdeutschen Establishments zu beseitigen und dabei en passant gleich noch die enttäuschten Bürger der untergegangenen DDR für die Sache der Terroristen zu begeistern. So kursierten Gerüchte, daß auch ehemalige hohe Wirtschaftsfunktionäre des Honecker-Staates, deren illegale Zugriffe auf das Volksvermögen aufzufliegen drohten, als Auftraggeber in Frage kämen, wobei der Anschlag dann von einem professionellen Killerkommando der Staatssicherheit ausgeführt worden sei.

Bei der Propagierung dieser These taten sich besonders Werner Czaschke und Clemens Schmidt vom Westdeutschen Rundfunk hervor, die 1998 mit ihrem Film „Wer erschoß den Treuhandchef?“ Furore machten. In der Reportage brachten sie unter anderem den früheren stellvertretenden Leiter der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS, Oberst Ralf-Peter Devaux, mit dem Mord in Verbindung. Dabei war die Argumentation der beiden Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens aber derart hanebüchen, daß der Vorsitzende der 27. Zivilkammer des Berliner Landgerichts, bei dem Devaux auf Unterlassung geklagt hatte, von einer „echten Räuberpistole“ sprach. Womit sich dann auch Blätter wie die Frankfurter Rundschau, die den Filmemachern euphorisch „Präzisionsarbeit“ bescheinigt hatte, bis auf die Knochen blamierten.

Eine ganz andere Theorie propagierten hingegen die US-amerikanischen Verschwörungstheoretiker John Perkins und Fletcher Prouty. Sie verwiesen auf Rohwedders grundsätzliche und erst fünf Tage vor seinem Tod nochmals im sogenannten „Osterbrief“ verteidigte Strategie, bei der Privatisierung der DDR-Betriebe mehr auf Sanierung als auf Stillegung zu setzen: Das sei keinesfalls im Sinne all der Spekulanten gewesen, welche die Wirtschaft in den neuen Bundesländern komplett zu ruinieren trachteten, um dann billig an die Filetstücke zu kommen. Deshalb, so die beiden weiter, müsse man die Verantwortlichen für den Mord an dem Treuhand-Chef in Kreisen der internationalen Finanzoligarchie sowie der Wallstreet suchen, wobei die Drecksarbeit dann wie immer bei der CIA gelegen habe.

Dritte RAF-Generation als Phantom bezeichnet

Hieran anknüpfend erklärten die deutschen Enthüllungsautoren Gerhard Wisnewski, Wolfgang Landgraeber und Ekkehard Sieker gleich die gesamte dritte RAF-Generation zum „Phantom“: Bei dieser handele es sich um eine Erfindung der Geheimdienste, mit der von den wahren Tätern im Falle Rohwedders sowie auch der Ermordung weiterer unbequemer Vertreter der bundesdeutschen Elite wie dem Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen abgelenkt werden solle. Damit stießen sie dann freilich auf den Widerspruch von RAF-Mitgliedern – allen voran Eva Haule und Birgit Hogefeld, die frühere Lebensgefährtin des mutmaßlichen Todesschützen Grams. Beide dementierten die Behauptungen von Wisniewski und Co. heftig und beteuerten, die Rote Armee Fraktion habe die „Aktionen“ gegen Rohwedder und Herrhausen durchgeführt: „Wäre es nicht so, hätte es selbstverständlich sofort Richtigstellungen gegeben. Schon aus Gründen der politischen Klarheit.“

Andererseits fällt jedoch auf, daß es unter Rohwedders Nachfolgerin, der Hamburger Bankierstochter Birgit Breuel, zu einem spürbaren Kurswechsel bei der Treuhand kam. Plötzlich brachen viele der bisher noch vorhandenen Dämme, und die rigorose „Abwicklung“ der Industrie in Mitteldeutschland ohne Berücksichtigung der sozialen Situation der Beschäftigten und der Zukunftschancen ganzer Regionen nahm ihren Lauf.