© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/16 / 01. April 2016

Neue Waffe ohne Treffergarantie
Christian Götters Analyse über die Rolle der Propaganda in der Konzeption britischer und deutscher Militärs bis 1945
Karlheinz Weißmann

Propagandasyndrom“ ist kein geläufiger Begriff. Er spielt für die Arbeit von Christian Götter zur militärischen Propaganda zwischen 1900 und 1945 im Band 77 der Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts aber eine ausschlaggebende Rolle, und zwar insofern, als er die „wunschgemäße Medienwirkung“ als Folge von Medieneinsatz in Frage stellt. 

Götter behauptet zwar nicht, daß die militärischen Eliten oder ihre Berater samt und sonders davon überzeugt waren, daß die Propaganda eine Waffengattung eigener Güte sei oder man mit ihrer Hilfe Kriege verhindern, herbeiführen oder siegreich beenden könne. Aber er zeigt doch, wie beeindruckt man in diesen Kreisen schon vor dem Ersten Weltkrieg von den neuen Möglichkeiten der Reklame war. Propaganda erschien wegen der wachsenden privaten Pressemacht nur anfangs als eher destruktive Größe, weshalb man auf Abhilfe sann, die einerseits „Informationssicherheit“ – das heißt Spionageabwehr, Kontrolle über Nachrichten und deren Präsentation –, andererseits aktive Beeinflussung im Sinne der „positiven Führung der öffentlichen Meinung“ gewährleisten sollte.

Dementsprechend begann schon vor 1914 in Deutschland wie in Großbritannien von der modernsten Waffengattung – der Marine – ausgehend die systematische Werbung um Rekruten, Spenden, Unterstützung durch einflußreiche Personen wie die breite Masse sowie die Arbeit an einer Strategie, mit der Propaganda im Ernstfall umzusetzen war. In der Folge wurden ab 1914 erhebliche Mittel und Personalmengen auf diesem neuartigen Gebiet zur Verfügung gestellt. 

Götter betont allerdings, wie übertrieben die Erwartungen regelmäßig waren und daß Propaganda oft als eine Art Ersatzhandlung diente, das heißt ausgleichen sollte, was die Armeeführung an militärischem Spielraum einbüßte. Das galt etwa für den Stellungskrieg, wenn es darum ging, den Stillstand der Truppenbewegungen zu kompensieren oder während der Waffenstillstandsverhandlungen 1918, bei denen die Propaganda helfen sollte, die Geschlossenheit der Heimatfront aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die Haltung des Gegners zu manipulieren.

Während in den beiden Jahrzehnten der Zwischenkriegszeit auf seiten der Siegermächte ein Rückgang des Interesses an der Propaganda zu verzeichnen war, wobei eine gewisse Erschütterung mitspielte, angesichts der unsauberen Mittel, derer man sich bedient hatte, galt dasselbe nicht für Deutschland. Gedemütigt meinte die Reichswehrspitze in der Propaganda noch eine Geheimwaffe zu besitzen, auch und gerade weil die konservativen wie nationalistischen Eliten überzeugt waren, daß die eigene Niederlage nicht zuletzt der Überlegenheit des Feindes auf diesem Sektor zu verdanken gewesen sei. 

Wenn Götter diese Einschätzung in Bausch und Bogen abtut und sich außerdem auf die Wirkungen der „Dolchstoßlegende“ als Konsequenz der deutschen Propaganda fixiert, hängt das mit einer bedauerlichen Engführung seiner Argumentation zusammen. Die ist auch daran zu erkennen, daß in seiner Untersuchung keine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Propaganda stattfindet, die qualitativen Unterschiede zwischen dem, was die Mittelmächte und Alliierte lieferten, ganz in den Hintergrund treten und schließlich verkannt wird, welche außerordentliche Bedeutung das entwickelte Pressewesen in Großbritannien (aber auch in den USA und in Frankreich) und dessen Zusammenspiel mit den staatlichen Stellen hatte.

An diesen Vorbehalten gegen die Arbeit von Götter ändert auch nichts, daß der Verfasser für die Entwicklung bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs aufschlußreiche Beobachtungen vorlegt. Das gilt etwa in bezug auf den Traditionalismus der britischen Seite, die im wesentlichen Muster der Vergangenheit wiederholte, während die deutsche ein verändertes – wenn man so will: „amerikanisches“ – Modell von Propaganda zugrunde legte. Das gilt auch im Hinblick auf die überraschende Tatsache, daß in der Wehrmachtsführung je länger je mehr Zweifel an der Effektivität von Medienarbeit wuchsen. Dementsprechend reduzierte man ab 1943 die Zahl der „Propagandakompanien“ und reagierte skeptisch auf Vorstöße der politischen Führung, wenn es etwa um deren Erwartung ging, daß sich die besetzten Länder durch Werbemaßnahmen doch noch auf die deutsche Seite würden ziehen lassen oder man den Durchhaltewillen der Bevölkerung mittels Propaganda unbegrenzt aufrechterhalten könne.

Christian Götter: Die Macht der Wirkungsannahmen. Medienarbeit des britischen und deutschen Militärs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. De Gruyter/ Oldenbourg Verlag, Berlin 2016, gebunden, 364 Seiten, 64,95 Euro