© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/16 / 01. April 2016

Der Flaneur
Flucht vom Kinderflohmarkt
Paul Leonhard

Hausnummern ziehen vorbei. Irgendwo hier muß es sein. Da ist die 12, die 16, die 24. „Halt, halt!“ Die Zwillinge kreischen auf und deuten auf eine Parklücke. Blitzschnell haben sie sich aus ihren Kindersitzen befreit, stehen auf der Straße und deuten auf einen bunten, handgemalten Wegweiser: Kinderflohmarkt.

Ich bin nur der Kraftfahrer und trolle langsam den beiden Mädchen und ihrer Mutter hinterher. Kinderflohmarkt, na, das kann ja was werden. Sorgfältig nach Größen sortierte Kleiderberge auf Klapptischen und auf dem Fußboden eines freigeräumten Aufenthaltsraumes eines Kindergartens erwarten mich. Ich versuche mich zu orientieren. Die Zwillinge stehen begeistert vor einem schwarzen 26er Fahrrad mit unzähligen Gängen. Lediglich 30 Euro soll es kosten. Ihre Mutter zieht nachdenklich die Stirn kraus. Zweifellos ein Schnäppchen. „Kauf’s doch“, sage ich. „Wenn’s doch nicht gefällt, nehme ich’s für meinen Großen.“

Typ einsame, unverstandene Norddeutsche. Ich kannte da mal eine, und es war die Katastrophe.

Ich will bei der Entscheidung nicht stören, schlendere ein Stück weiter. Spüre einen Blick auf mir ruhen. Er gehört einer schlanken Blonden mit großer, schwarzgerahmter Brille. Typ einsame, unverstandene Norddeutsche im Sachsenland. Mitte Dreißig schätze ich. Ich kannte da mal eine, und es war die Katastrophe. Ich wende mich ab, inspiziere ein paar andere Stände.

„Nur mal gucken“, bescheide ich eine Kleinkindmutter, die mir ihre Hilfe anbietet. „Und die junge Frau?“ Die Blonde steht neben mir. „Na, wie alt ist denn Ihr Kind?“ fragt die Besitzerin. „Och, die kleinste Größe“, flüstert die Befragte. Das Baby sei noch unterwegs. Die Verkäuferin staunt. „Bei Ihnen sieht man ja noch gar nichts.“ Es sei auch erst im November soweit. Man sieht der Frau an, daß sie, wie auch ich, blitzschnell nachrechnet – und aufatmet. Immerhin schwanger scheint die Blonde schon zu sein. Wohl gerade eben erst den positiven Test in den Händen gehabt und gleich panisch zum Flohmarkt geeilt. „Warten Sie mal lieber, bis Sie wissen, ob Sie rosa oder blau benötigen“, sagt die Frau mütterlich. Die Blonde nickt und schaut mir tief in die Augen. Ich mache, daß ich wegkomme.