© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/16 / 08. April 2016

Vorzugsbehandlung für Asylbewerber
Einwanderung: Der Widerstand gegen das von Bundesinnenminister Thomas de Maizière geplante Integrationsgesetz wächst
Michael Paulwitz

Die kleine Harmonie in der Großen Koalition hielt nur übers Wochenende. Dann attackierten nach der Opposition auch SPD-Politiker die von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vorgestellten Leitlinien für ein „Integrationsgesetz“. Hauptkritikpunkt: die vorgesehenen Auflagen und Sanktionen für als „Flüchtlinge“ anerkannte Einwanderer, die Integrationsmaßnahmen verweigern.

Wer sich weigere, Deutsch zu lernen oder Arbeitsangebote anzunehmen, solle künftig nicht automatisch bereits nach drei Jahren einen unbefristeten Aufenthaltsstatus erhalten, kündigte der Bundesinnenminister an. Damit solle die „Privilegierung“ von als „Flüchtlinge“ ins Land gekommenen Ausländern gegenüber anderen Einwanderern beendet werden, die nur dann eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis bekommen, wenn sie Deutsch können, ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und Kenntnisse der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung nachweisen.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Staatsministerin Aydan Özoguz (SPD), will dagegen an der bevorzugten Behandlung von Ausländern mit Flüchtlingsstatus ausdrücklich festhalten. Dabei geht es offenkundig darum, die Umfunktionierung des Flüchtlingsstatus zum Einwanderungstatbestand festzuschreiben. Die Feststellung de Maizières, „wer keinen Sprachkurs besucht und sich nicht um Arbeit bemüht, der soll in Zukunft in Deutschland nicht dauerhaft bleiben können, wenn keine Fluchtgründe mehr bestehen“, spielt nämlich, wenngleich nur zaghaft, auf eine Selbstverständlichkeit an, die freilich in der deutschen Verwaltungspraxis kaum noch eine Rolle spielt: Wer als Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention aufgenommen wird, hat Anspruch auf Aufenthalt nur so lange, bis eine sichere Rückkehr möglich ist. Hunderttausende Bosnien-Flüchtlinge mußten deshalb nach Beendigung der Balkankriege 1995 wieder in ihre Heimat zurückkehren.

Auf der politischen Linken werden solche Differenzierungen nicht mehr vorgenommen. Kritiker de Maizières wie Linksparteichefin Katja Kipping oder Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter heben darauf ab, daß es gar nicht genug Sprachkurse und „Integrationsangebote“ seitens der Bundesregierung gebe, als wären Integrationsbemühungen nicht in erster Linie eine Bringschuld bleibewilliger Einwanderer. Solange der „Fluchtgrund“ bestehe, werde auch keiner wieder ausgewiesen, stellt de Maizière selbst klar. Dem Innenminister geht es, in der Interpretation des Rechtswissenschaftlers Daniel Thym, „um Bedingungen für die Staatsbürgerschaft light, die ein unbefristeter Aufenthaltstitel ja ist“; seine Kritiker scheinen solche Bedingungen an sich abzulehnen.

Auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) stimmt in diesen Chor ein. Er kritisiert darüber hinaus die vorgesehenen Wohnsitzauflagen für anerkannte Flüchtlinge, solange diese auf Sozialleistungen angewiesen sind und ihren Unterhalt nicht selbst sichern können. Dadurch, daß auch anerkannte Flüchtlinge sich an dem Ort aufhalten, „wo wir das als Staat für richtig halten, und nicht, wo das der Flüchtling für richtig hält“, soll „Ghettobildung“ verhindert werden, erläutert der Bundesinnenminister. Grundsätzlich unterstützt die SPD dieses Ziel; Parteichef Sigmar Gabriel und der Parteilinke Ralf Stegner haben sich ebenso dafür ausgesprochen wie die Integrationsbeauftragte Özoguz. Zustimmung kommt auch vom Städte- und Gemeindetag und von den betroffenen Länderministern. 

Daß Asyl-Immigranten sich bevorzugt in Ballungsräumen niederlassen, wo sie auf bestehende Parallelgesellschaften treffen, ist für Berlin und viele andere Großstädte eine erhebliche soziale Belastung, von der sie sich Erleichterung durch die Wohnsitzfestschreibung erhoffen. Bei Befürwortern im linken Lager mag auch der unausgesprochene Hintergedanke mitspielen, durch Umlenken der Migrantenströme in dünner besiedelte ländliche Räume vor allem in Mitteldeutschland noch bestehende ethnisch homogene Siedlungsstrukturen aufzubrechen.

Angesichts des absehbaren Wiederansteigens der Wanderungsströme, die sich bereits neue Wege anstelle der geschlossenen „Balkanroute“ suchen, wird sich die Unterbringungsfrage schnell zuspitzen. Und während es bei der Umsetzung von Merkels Türkei-Pakt in puncto Rückführung aus Griechenland weiter hakt, ist der vereinbarte Transfer syrischer Kriegsflüchtlinge aus türkischen Lagern nach Deutschland bereits angelaufen. 

Der Opposition und de Maizières innerkoalitionären Kritikern ist es gelungen, die Debatte um das Integrationsgesetz auf die Forderung nach mehr Geld für staatliche „Integrationsangebote“ zu verengen und die reale Anpassungsunwilligkeit vieler Asylbewerber rundweg zu leugnen. Ob es angesichts der hohen jährlichen Zuzugsraten überhaupt möglich ist, auf Gesetzespapier geschriebene Auflagen durchzusetzen und „Integration“ mit Kursen und Verwaltungsakten zu verordnen, wird dagegen kaum diskutiert. 

Immerhin verweist die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün auf Probleme aufgrund kultureller Unterschiede und Haltungen vieler Einwanderer, die wohl nicht einfach per Gesetz „überwunden“ werden könnten. Selbst ein Umerziehungsprogramm analog zur „Reeducation“ der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, wie es Welt-Autor Alan Posener ins Spiel gebracht hat, dürfte da wohl an seine Grenzen stoßen.