© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/16 / 08. April 2016

Bauer ist ein Brotberuf
Landwirte heute: Immer weniger von ihnen machen immer mehr Verbraucher satt
Christian Vollradt

So ein Mist! Landwirt Christian Lange ärgert sich. Ausgerechnet heute früh mußte noch ein Hydraulikzylinder an einem Gerät kaputtgehen. Am Sonntag. Zum Glück hatte er trotzdem den Landmaschinenhändler erreicht. Der ist in seine Werkstatt geeilt und hat die Sache wieder in Ordnung gebracht. „Da bin ich seit Jahren Stammkunde. In solchen Situationen zahlt sich das aus“, meint Lange. 

Das Malheur hat den Zeitplan dennoch durcheinandergewirbelt. Nun kann der 42jährige erst am Nachmittag auf seinen Traktor, am Heck rasselt die Drille; sie zieht nebeneinander liegende kleine Furchen in den Acker und legt in bestimmten Abständen eine kleine grüne Pille in den Boden. In der Pille steckt der Rübensamen, rundherum eine Schicht aus Pflanzenschutz gegen Nager und Unkraut. 100.000 dieser Pillen sind in einem Karton, der Inhalt wird in kleine Behälter an der Maschine geschüttet. 250 Euro kostet solch eine Packung, allein für dieses 16 Hektar große Feld sind über zwanzig Packungen nötig. 

Ernährungssicherheit    spielt keine Rolle mehr

Auf der kleinen Landstraße fahren Cabrios vorbei, einige Radfahrer nutzen an diesem warmen Frühlingstag den Feldweg. Freizeitbeschäftigung. Doch Lange muß arbeiten, das Wetter ist günstig, die Saat muß in die Erde, Sonntag hin oder her. „Wenn die Beleuchtung es zuläßt, mache ich durch und bin bis 22 Uhr fertig“, meint er zuversichtlich. Abendbrot wird er auf dem Fahrersitz essen, einer seiner Söhne hat es ihm schon vorbeigebracht. Der Lehrling, der mit einem größeren, 200 PS starken Traktor den Boden mit Egge und Frontpacker fürs Rübendrillen präpariert hat, wird in den Feierabend geschickt. 

Hauptsächlich Weizen und Rüben baut Lange an. Sein Hof im Osten Niedersachsen, ist seit mehreren Generationen in Familienbesitz. Die Böden hier in den Ausläufern der Magdeburger Börde gehören zu den besten in Deutschland. Viehhaltung gibt es kaum, deswegen sind die meisten Bauern der Region auch nicht ganz so stark von der Krise der Landwirtschaft betroffen wie anderswo. 

Da die Preise für Milch, Fleisch und Getreide auf den Weltmärkten stark gefallen sind, haben die Bauern in der vergangenen Saison so wenig Geld wie seit Jahren nicht verdient. Weltweit gute Getreideernten haben die Preise gedrückt, in China sank infolge von Konjunkturschwächen die Nachfrage nach Fleisch, hinzu kommt der Einbruch durch den russischen Boykott von Agrarprodukten aus der EU. 

Milchbauern und Tiermäster hat es besonders hart getroffen. Im Vergleich zu den Jahren 2013/14 brach das Einkommen der Haupterwerbslandwirte durchschnittlich um rund 35 Prozent ein. Seit dem Herbst bieten der deutsche Staat und die EU in Finanznot geratenen Bauern besondere Kredite an. Der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, gibt auch den „kartellartigen Strukturen im Lebensmittelhandel“ eine Mitschuld daran, daß  etwa die Milchbauern 44 Prozent des Vorjahresgewinns einbüßten. 

Hatte früher agrarpolitisch die Ernährungssicherheit für die Bevölkerung Priorität, spielt dieser Aspekt spielt praktisch keine Rolle mehr. Eine Hungersnot in Deutschland? Praktisch unvorstellbar – gut 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und knapp 100 Jahre nach dem berüchtigten Steckrübenwinter. Heute muß der Landwirt auf dem Weltmarkt konkurrieren. Unter anderem weil er strengere Umweltauflagen und höhere Qualitätsstandards erfüllen muß, bekommt er Ausgleichszahlungen, „Cross Compliance“ nennt sich das neudeutsch. Durchschnittlich 344 Euro pro Hektar waren es laut Bauernverband im vergangenen Jahr. Die Direktzahlungen für Agrar-Großbetriebe, vor allem die nicht eigentümergeführten ehemaligen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, werden mittlerweile stufenweise gekürzt. 

Für die Standesvertreter steht fest: Ohne die Subventionen kann „unter den jetzigen politischen Rahmenbedingungen keine Landwirtschaft betrieben werden“, wie erst jüngst der Präsident des Deutschen Bauernbundes, Kurt-Henning Klamroth betonte. Dies gelte insbesondere, wenn die „Gesetzmäßigkeiten des Marktes durch politisches Handeln zum Nachteil der Bauern beeinflußt worden sind“, so der DBB, der die bäuerlichen Familienbetriebe in den östlichen Bundesländern vertritt. Statt von Subventionen müsse daher richtigerweise von „Preisausgleichsleistungen“ gesprochen werden. 

Was viele nicht wissen: Einer der größten Empfänger von Agrarsubventionen ist der Staat. Denn auch Behörden, die öffentliche Flächen (etwa Deiche) bewirtschaften, erhalten Fördermittel in zweistelligen Millionenbeträgen aus dem europäischen Agrarhaushalt. Von den zehn größten deutschen Subventionsempfängern war nur einer ein landwirtschaftlicher Betrieb.

Bei den Rüben, die Landwirt Lange am Sonntag in die Erde sät, sieht die Lage noch etwas besser aus. Trotz guter Ernten waren auch die Preise hoch. Und obwohl im kommenden Jahr die europäische Zuckermarktordnung endet, die einen Mindestpreis für quotierte Mengen vorsah, bereiten ihm die Absatzmöglichkeiten vorerst keine Sorgen. Insgesamt etwa 450 Hektar bewirtschaftet Lange, nicht alles gehört ihm. Er hat Flächen dazugepachtet, von ehemaligen Bauern, von der Kirche. „Ab 100 Hektar giltst du bei vielen schon als Großbauer; allerdings würde ich sagen, daß du mit unter 200 Hektar keine Familie mehr ernähren kannst“, resümiert er. 

Enttäuscht von der           Annäherung an die Grünen

Er selbst sieht sich als bäuerlicher Mittelstand. Wie über 90 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe ist sein Hof ein Einzelunternehmen, keine Genossenschaft. Der Eigentümer trägt das Risiko. Lange wirtschaftet im Bewußtsein, auch das Erbe seiner Vorfahren zu bewahren, aber das hat nichts mit Landlust-Idylle zu tun. Landwirtschaft im 21. ist anders als im 19. Jahrhundert. 

Augenzwinkernd meint er: „Wenn wir das Rad zurückdrehen wollen, bitte sehr. Dann würde ich mein Land weniger intensiv und weniger maschinell bearbeiten, weniger ernten. Dann würde ich aber auch viele Landarbeiter beschäftigen können, die per Hand die Saat ausbringen und die Ernte einfahren. Die würden dann alle einen sehr geringen Stundenlohn bekommen – und ich müßte nicht in Arbeitsklamotten auf dem Trecker sitzen, sondern mit Breeches und Lederstiefeln auf meinem Pferd sitzen und Anweisungen geben.“

Die (klein-)bäuerliche Landwirtschaft wird stets als das Ideal verkauft, gleichzeitig sollen natürlich hohe Standards bei Umweltschutz und Ressourcenschonung gelten. Die hohen Auflagen jedoch – nicht nur in Form von verpflichtenden Fruchtfolgen, Dauergrünland oder Ökobrachen, sondern auch bei Viehhaltungsstandards oder Geräten – machen es gerade den kleineren Betrieben immer schwerer. Und der zeitliche Aufwand für die Bürokratie wird immer größer; alles muß dokumentiert und bei Kontrollen sofort vorgelegt werden. Das trifft vor allem die Viehhalter. Datenbanken, Formulare, alles nach dem Motto: Akten statt Ackern. Halb im Spaß stellte in einem Gespräch unter Landwirten ein Viehzüchter fest: „Wenn mir mal meine Frau davonläuft und das Paßwort zum Computer mitnimmt, dann stehe ich mit einem Bein im Gefängnis. Denn die hat im Gegensatz zu mir den Überblick über die ganzen Daten und Auflagen ...“

Was die politische Interessenvertretung betrifft, so geht es den Bauern ähnlich wie den katholischen Kirchgängern: Sie sind die treuesten CDU-Wähler und zugleich diejenigen, deren Werte und Überzeugungen in der Programmatik und Praxis der Partei faktisch kaum noch eine nennenswerte Rolle spielen. Enttäuschend sind für viele Bauern vor allem die schwarzen Annäherungen an die Grünen. Denn die haben, seit ihr Kampf gegen die Kernkraft obsolet geworden ist, als neues Kernthema die Agrarwende entdeckt. Die wiederum bedeute immer weitere neue Vorschriften und Auflagen. Selbst in den Kommunen machen Landwirte manchmal die Erfahrung,  politisch nicht mehr vertreten zu sein. „Da kommt es dann vor“, berichtet Lange, „daß der bauernlose Gemeinderat in einem Dorf die Ortseinfahrt verkehrsberuhigt – und mein Mähdrescher dort nicht mehr durchpaßt.“

Traditionell geprägt ist unterdessen immer noch das Leben in bäuerlichen Familienbetrieben. Auf dem Hof wird gearbeitet und gelebt. Gerade bei Milchviehhaltern muß jeder mit anpacken, oft auch die ältere Generation. Ernähren muß eine Landwirtschaft nämlich in der Regel auch die sogenannten Altenteiler, also die Eltern des Eigentümers. Und die nächste Generation, denn Bauernfamilien haben überproportional häufig mehr als zwei Kinder, die Langes zum Beispiel haben eine Tochter und zwei Söhne. 

In der Regel ist man als Bauer in der Kirche aktiv, oft sogar im Kirchenvorstand. Ehrenamt ist auch normal, Fördermitglied in der Feuerwehr zu sein, ist das mindeste. Wenn das Osterfeuer aufgeschichtet werden muß, sind Gummiwagen und Frontlader unverzichtbar, und manch ein Dorfbewohner freut sich, wenn ihn der ortsansässige Bauer im Winter mit dem Schlepper aus der Schneewehe zieht. „Landwirtschaft dient allen“, ist nicht ohne Grund ein gängiger Aufkleber auf bäuerlichen Fahrzeugen.    

Tag des offenen Hofes: Wer sich ein eigenes Bild von der Landwirtschaft machen will, hat am 21. und 22. Mai 2016 dazu Gelegenheit. Zahlreiche Bauernfamilien öffnen ihr Hoftor zum Dialog mit den Verbrauchern.

 www.offener-hof.de