© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/16 / 08. April 2016

Wissenschaft als Gefahr für das „Gruppendenken“: Bedrohte Meinungsfreiheit
Neues Repressionsniveau
(wm)

Am 11. Januar 2016 verurteilten 1.128 türkische Wissenschaftler in einer öffentlichen Erklärung die „Vernichtungs- und Vertreibungspolitik“, die das Regime von Recep Tayyip Erdogan gegen die kurdische Minderheit im Südosten des Landes exekutiere. Nachdem tags darauf Staatspräsident Erdogan die Unterzeichner als „Landesverräter“ stigmatisiert hatte, dauerte es kaum eine Woche, da waren bereits 109 Disziplinarverfahren gegen Dozenten von 20 Universitäten anhängig. 33 Unterzeichner wurden festgenommen, viele in regimetreuen Medien ebenso wie in ihrem sozialen Umfeld von „ultranationalistischen Gruppen“ beschimpft und bedroht, wie Dilek Dizdar schildert, die an der Universität Mainz Interkulturelle Germanistik lehrt (Forschung&Lehre, 2/2016). Massive Einschnitte in die Meinungsfreiheit gehörten zwar zum „Alltag kritischer Wissenschaftler und Intellektueller“ in der Türkei, doch mit der strafrechtlichen Verfolgung der Appellanten sei ein neues Repressionsniveau erreicht. Wie der Londoner FAZ-Korrespondent Jochen Buchsteiner anschließend berichtet, säßen Briten bei Türkei-Kritik aber im Glashaus, da die Hochschulen des Königsreichs vor dem gewaltaffinen Meinungsterror muslimischer Studenten oder der Schwulenlobby zurückwichen, die Kommilitonen und Professoren angriffen, deren Ansichten ihrem „Gruppendenken“ widersprächen. 


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