© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/16 / 08. April 2016

Eine Clique phantasieloser Antidemokraten ließ Weimar scheitern
Debatte: Die Kontroverse über Brünings Sparpolitik und ihr geschichtspolitischer Hintergrund
Oliver Busch

Im Juli 2014 veröffentlichte der junge Potsdamer Doktorand Paul Köppen in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte (VjZ) einen Aufsatz zum Thema „Heinrich Brünings Spardiktat und die Ablehnung der französischen Kreditangebote 1930/31“. Obwohl sich hinter dem nach Fliegenbeinzählerei klingenden Titel erheblicher Zündstoff verbarg und der Autor eine Provokation beabsichtigte, werden ihn die damit ausgelösten Reaktionen doch überrascht haben.

Denn kein Geringerer als Knut Borchardt, der Doyen der deutschen Wirtschaftshistoriker, führte ein halbes Jahr später (VjZ, 2/2015) einen wuchtigen Gegenschlag, mit dem die Diskussion über Heinrich Brünings Sparpolitik erst richtig in Fahrt gekommen ist. 

Worum geht es? Köppen behauptet, die sich infolge der Weltwirtschaftskrise abzeichnende innenpolitische Polarisierung in Deutschland habe die französische Regierung bewogen, dem seit Frühjahr 1930 amtierenden Reichskanzler Brüning ein Kreditangebot zu unterbreiten. Französisches Geld, das es ihm ermöglicht hätte, seine Politik der Etatsanierung weniger rigoros durchzuführen und so den durch die ökonomische Depression bedingten Zulauf, den die Feinde des „Weimarer Systems“, KPD und NSDAP, erhielten, vielleicht zu stoppen. Doch sei es, so Köppen, Brüning gar nicht darum gegangen, mit Pariser Finanzhilfe die sich zum Bürgerkrieg zuspitzende Lage zu deeskalieren. 

Brünings Absicht, Versailles abzuschütteln, in der Kritik

Vielmehr wollte er die Krise instrumentalisieren, um Deutschlands Gläubiger zum Verzicht auf die dem Reich durch den Versailler Friedensvertrag auferlegten Kriegsreparationen zu bewegen und damit überhaupt das Joch des „Schanddiktats“ abzuwerfen. Eine außenpolitische Strategie, die, falls erfolgreich, auch die innenpolitischen Gegner der Republik ausmanövriert hätte.

Daß Brüning damit einen risikoreichen Kurs steuerte, der mangels greifbarer Erfolge im Mai 1932 zu seiner Entlassung führte und am 30. Januar 1933 Adolf Hitler ins Reichskanzlerpalais trug, ist in der Forschung unumstritten. Nur galt dieser gefährliche Kurs zugleich als durch Handlungszwänge determiniert und daher als „alternativlos“. Mit Köppens „Entdeckung“ eines Pariser Kreditangebots scheint der Kanzler, der nach eigener Einschätzung nur „hundert Meter vor dem Ziel“ scheiterte, sehr wohl eine Alternative gehabt zu haben. Aber statt Frankreichs Geld und internationaler Kooperation wählte er trotzig die Verschärfung der prekären Lage, mitsamt „verheerender Folgen für die Bevölkerung“.

Knut Borchardt, Urheber und seit dreißig Jahren Verfechter der These der Brünings restriktive Fiskalpolitik festlegenden „Handlungszwänge“, glaubt Köppens „Spekulationen“ leicht anhand der Quellen widerlegen zu können, die kein konkretes Angebot, sondern nur unverbindliche Sondierungen dokumentierten. Worauf Köppen, dem inzwischen Tim B. Müller bei seinem Versuch einer „Neuperspektivierung der Geschichte der Zwischenkriegszeit“ beigesprungen war (VjZ, 4/2014), dann replizierte, um seine Lektüre der diplomatischen Protokolle zu rechtfertigen (VjZ, 4/2015).

Tatsächlich bedarf es einiger Phantasie, um aus den eher „unspezifischen Eckdaten“ der Franzosen auf die „prinzipielle Ernsthaftigkeit“ ihrer finanziellen Offerten zu schließen. Daher wirkt die von Borchardt so geschmähte „Erfindung“ eines Kredits mehr wie ein Haken, an dem aufgehängt werden soll, worauf es Köppen und Müller als Exponenten einer jungen Historikergeneration eigentlich ankommt. Deren Hauptstoßrichtung bringt der Münchner Wissenschaftshistoriker Roman Köster, ausgewiesen durch eine umfangreiche Studie über die Nationalökonomie an den Hochschulen der Weimarer Republik, auf den Punkt, wenn er meint, es ginge ihnen um eine anachronistische „Normalisierung“ eines Ausnahmezustandes (VjZ, 2/2015). Demnach bestand 1930 eine „hoffnungsvolle lebensfähige Ordnung“, die auf die Hilfe des wohlwollenden Westens rechnen durfte und nicht etwa eine instabile Demokratie inmitten einer zerrütteten Weltordnung mit ihrer dichten Folge ökonomischer Krisen und daraus resultierender Handlungsdilemmata. 

Es hätte, nach Lesart von Köppen und Müller, also alles gut enden können, wenn nicht 1930 eine „Clique phantasieloser Antidemokraten“, Brüning und der „zunehmend hochmütige deutsche Nationalismus“, die Macht okkupiert und Deutschland ins Verderben gerissen hätte. Womit aus der Perspektive der „Wahrheitsunlust“ (Thomas Mann) des geschichtsfremden  bundesdeutschen Kosmopolitismus wieder einmal alles Unheil vom Nationalismus herrührt.