© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

Angriff auf das Gedenken
DDR-Unrecht: Leiter des Stasi-Gefängnisses Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, droht Entmachtung
Ronald Berthold

Wenn es um die Vertretung der Opfer des SED-Regimes geht, haben die Betroffenen ein gewichtiges Sprachrohr: Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Diese sitzt im ehemaligen Untersuchungsgefängnis der Stasi. Für viele Leidtragende der DDR-Diktatur ist Knabe auch deshalb so wichtig, weil er als einer der wenigen das Unrecht beim Namen nennt. Umgekehrt macht den 57jährigen genau das zum Feindbild der politischen Linken. Politiker von SPD, Grünen und Linken ist die nicht beschönigende Sprache und das Bohren in den Wunden, die der Sozialismus angerichtet hat, ein Dorn im Auge.

Trotz aller Skepsis hatte Knabe bisher zwei Schutzschilde um sich herum: Seinnen enormer Rückhalt bei den Opferverbänden und sein äußerst erfolgreiches Wirken in Hohenschönhausen. Die Gedenkstätte eilt unter seiner Ägide von Besucherrekord zu Besucherrekord. 2015 kamen 444.000 Menschen in den ehemaligen Stasi-Knast. Wegen Überfüllung mußten 50.000 Interessenten abgewiesen werden.

Doch durch die Hintertür soll Knabe nun entmachtet werden. Eine vom Bundestag eingesetzte „Expertenkommission zur Zukunft der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR“ empfiehlt, die Stasi-Gedenkstätte einer neu zu gründenden „Stiftung Diktatur und Widerstand – Forum für Demokratie und Menschenrechte“ einzugliedern. Die Unabhängigkeit wäre perdu, Knabes Worte hätten weniger Gewicht, wenn er sich denn überhaupt noch ohne Rücksprache mit dem neuen Stiftungs-Direktor äußern dürfte. Knabe spricht daher auch von einer „feindlichen Übernahme“, und Opferverbände sind entrüstet.

Union hat Mehrheit aus der Hand gegeben

Auffällig ist auch, daß der von der Kommission ausgesuchte Stiftungsname keinerlei Bezug mehr auf DDR-Unrecht, SED oder Staatssicherheit enthält. Die Erinnerung an die Greuel des sozialistischen Regimes würde somit bereits auf den ersten Blick getilgt.

Wie konnte es so weit kommen? Die Bundestags-Parteien entsendeten Vertreter in die Kommission: Die Union sieben, SPD, Grüne und Linke ebenfalls sieben. Da die CDU/CSU-Fraktion einen ihrer begehrten Plätze aber an den langjährigen Grünen-Politiker und Gründer der Alternativen Liste in Berlin, Wolfgang Wieland, vergab, hatte die politische Linke in der Experten-Kommission von Anfang an die Mehrheit. Wieland, im Westen linksradikal sozialisiert, hatte sich bisher nicht unbedingt als Experte für DDR-Unrecht einen Namen gemacht.

Merkwürdig ebenfalls, daß die Union mit Sabine Bergmann-Pohl ein ehemaliges Mitglied der DDR-Nomenklatura entsandte. Die spätere Volkskammer-Präsidentin war von 1987 an Berliner Vorstand der Blockpartei Ost-CDU.

Im Abschlußbericht der Kommission, der der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, heißt es nun, daß „die Gedenkstätten Normannenstraße/Magdalenenstraße und Hohenschönhausen unter dem Dach der neu gegründeten Stiftung zusammenzuführen“ seien. Das bedeutet darüber hinaus auch noch: Der Ort, der an die Opfer erinnert, nämlich Hohenschönhausen, und das Haus, das sich mit den Tätern beschäftigt, die ehemalige Stasizentrale, werden eins. Was bei der Aufarbeitung des Nationalsozialismus ein Unding wäre, nämlich die Erinnerung an Täter und Opfer unter einem Dach, soll nun – wenn es um die Verbrechen des Sozialismus geht – keinen Beigeschmack haben.

Kompetenzen überschritten

Die Mehrheit der Kommission, die die CDU/CSU von Anfang an freiwillig an die drei linken Parteien abtrat, möchte die neue Stiftung mit wissenschaftlichen Mitarbeitern ausstatten, „um fundierte Veranstaltungen durchzuführen, Formate für junge Zielgruppen zu entwickeln und eine aktive und anregende Rolle im Verbund der Gedenkstätten zu spielen“. Dies suggeriert, als sei das bisher nicht geschehen. Doch in Hohenschönhausen gibt es zahlreiche Veranstaltungen und umfangreiche „pädagogische Angebote“ für Schulen – darunter auch das Modul „Linksextremismus heute“. Vor allem das machte Knabe für viele Linke zu einem roten Tuch.

Auch die Stasi-Unterlagenbehörde (BStU) will die Kommission nun entmachten. Sie soll in das Bundesarchiv eingegliedert werden. Der Bundesbeauftragte, derzeit Roland Jahn, wäre ein Chef ohne Akten. Bisher verleiht dem ehemaligen Regimekritiker aber gerade die Kompetenz über die Stasi-Unterlagen ein gewichtiges Wort. Ob Jahns Vertrag überhaupt verlängert wird, steht in den Sternen. Eine weitere kritische Stimme in Sachen DDR-Aufarbeitung – neben Hubertus Knabe – würde verstummen.

Die „Expertenkommission“ hat also ganze Arbeit verrichtet, wenn es darum geht, die ohnehin nicht große Sensibilität für die Schicksale der DDR-Opfer weiter zu reduzieren. Ihre Vorschläge zur Entmachtung der Gedenkstätte, die insgesamt bereits vier Millionen Menschen besuchten, kommen dazu noch einer gewissen Kompetenzüberschreitung gleich. Denn der Auftrag des Bundestages an sie lautete, „zu klären, welche Entwicklungsperspektiven sich für die bislang von der BStU erfüllten Aufgaben ergeben“. Von der Gedenkstätte Hohenschönhausen findet sich in dem vierseitigen Beschluß des Parlaments mit dem „Auftrag“ an das Gremium kein Wort.