© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

Erfolg in Magdeburg, Niederlage in Straßburg
AfD: Während der Streit an der Saar weitergeht und Marcus Pretzell aus der EKR-Fraktion fliegt, besetzt die Partei erstmals ein parlamentarisches Spitzenamt
Marcus Schmidt

Nach der Europawahl 2014 zog die AfD mit sieben Abgeordneten in das Europaparlament ein. Gleich zu Beginn gelang der Gruppe um Bernd Lucke ein Überraschungserfolg, als sie sich der Fraktion der „Europäischen Konservativen und Reformer“ (EKR) anschlossen, denen auch die britischen Torys angehören.  Zwei Jahre später ist von der Brüsseler AfD-Truppe nicht mehr viel übrig. Nachdem im vergangenen Jahr nach der Spaltung der Partei fünf Abgeordnete der von Lucke gegründeten Allianz für Fortschritt und Aufbruch beitraten, gehen seit vergangener Woche auch die verbliebenen AfD-Abgeordneten Beatrix von Storch und Marcus Pretzell getrennte Wege – zumindest organisatorisch. 

Am Freitag verkündete von Storch überraschend ihren Austritt aus der EKR-Fraktion. Künftig werde sie statt dessen der Fraktion „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“ (EFDD) um Ukip-Chef Nigel Farage angehören. Ihren Austritt aus der EKR-Fraktion begründete von Storch mit dem Versuch der Fraktionsführung, sie und Pretzell vor den drei Landtagswahlen am 13. März in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt aus der Fraktion zu drängen. Die bisher vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Fraktionsführung sei durch diese Vorfälle irreparabel beschädigt worden.

Bemerkenswert an diesem Schritt ist, daß Pretzell dem Beispiel seiner Parteifreundin nicht folgte. „Ich werde einen anderen Weg gehen und die Entscheidung dem Bundesparteitag Ende April überlassen“, sagte Pretzell der JUNGEN FREIHEIT. „Am Ende kommt es darauf an, die Partei bei dieser Entscheidung mitzunehmen. Die Mitglieder sollten den Europaabgeordneten eine Fraktion empfehlen.“ Es gebe abseits der EKR-Fraktion drei Möglichkeiten: „Entweder werden wir Mitglied in der EFDD, der ENF oder wir werden fraktionslos.“ Der ENF-Fraktion („Europa der Nationen und der Freiheit“) gehören unter anderem die FPÖ und der Front National an.

Zu diesem Zeitpunkt war Pretzells Zukunft in der EKR-Fraktion noch offen. Bis zum Dienstag: Mit 45 zu 13 Stimmen bei fünf Enthaltungen votierten die EKR-Abgeordneten in Straßburg für den Ausschluß Pretzells. Hintergrund war die Kritik an den angeblichen Forderungen von AfD-Chefin Frauke Petry und ihrer Stellvertreterin von Storch nach einem Schießbefehl auf Flüchtlinge. „Die EKR hat heute nicht nur der AfD den Stuhl vor die Tür gestellt, sondern auch vielen anderen EU-kritischen Parteien“, sagte Pretzell nach seinem Ausschluß. Bis zum AfD-Parteitag werde er fraktionslos bleiben.

Unterdessen entwickelt sich der Streit um den saarländischen Landesverband, dem die Parteiführung Kontakte zu Rechtsextremisten sowie Vetternwirtschaft vorwirft, für den Bundesvorstand zum Desaster. Am Montag hob das Bundesschiedsgericht der Partei auf Antrag des abgesetzten Landesvorstandes den Auflösungsbeschluß der AfD-Spitze vorläufig wieder auf. Damit ist die alte Spitze der Saar-AfD um Landeschef Josef Dörr bis zur endgültigen Entscheidung wieder im Amt.  

An diesem Freitag will der Bundesvorstand sein weiteres Vorgehen in diesem Fall beraten. Eine Möglichkeit wäre, den Bundesparteitag über die Auflösung des ungeliebten Landesverbandes entscheiden zu lassen. Nötig ist für diesen Schritt laut Satzung eine Dreiviertelmehrheit. Im Bundesvorstand gab es nach Informationen der JUNGEN FREIHEIT am Wochenende Überlegungen, eine Entscheidung bereits auf dem am 30. April beginnenden Parteitag in Stuttgart herbeizuführen. Das Problem: Laut AfD-Satzung muß ein entsprechender Antrag drei Wochen vor dem Parteitag gestellt werden – auch angesichts des äußerst knappen Zeitfensters, das Anlaß für eine Anfechtung geboten hätte, fand der Vorschlag jedoch keine Mehrheit.

Gute Nachrichten für die Partei kommen dagegen aus Magdeburg. Dort hat die Konstituierung des Landtags von Sachsen-Anhalt für eine Premiere gesorgt. Erstmals wurde ein AfD-Abgeordneter zum stellvertretenden Präsidenten eines Landtags gewählt. Der 52 Jahre alte Daniel Rausch erhielt am Dienstag 46 Ja-Stimmen. 34  Abgeordnete stimmten gegen ihn und sieben enthielten sich.