© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

Weniger Steuern, weniger Staat
US-Präsidentschaftswahl: Clintons Skandale, Trumps Eskapaden lassen den libertären Politiker Johnson hoffen
Marc Zoellner

Gary Johnson hat gut lachen. Mit 67 Prozent der Befragten, ergab jüngst eine Studie des renommierten Pew Research Center, zeigten sich so viele US-Amerikaner wie selten zuvor derart unzufrieden mit ihrem politischen System wie im derzeitigen Präsidentschaftsvorwahlkampf. Und auch daß sich die Koryphäen der beiden großen Volksparteien, der Republikaner und der Demokraten, immer verbissenere Wortgefechte mit Schlägen bis tief unter die Gürtellinie liefern, hinterläßt schmutzige Spuren, die sich fatal in den Umfrageergebnissen der hiesigen Meinungsforschungsinstitute widerspiegeln.

Gerade Hillary Clinton trifft es dabei Schlag auf Schlag: Waffengeschäfte in Milliardenhöhe mit Saudi-Arabien, ein ganzes Konvolut veröffentlichter E-Mails mit brisantem Inhalt aus ihrer Zeit als Außenministerin. Dazu kürzlich aufgetauchte Reden, in denen Clinton vor Wirtschaftsgrößen des Landes davon spricht, es sei „Zeit für die Vereinigten Staaten, den Irak auch als Geschäftsmöglichkeit zu betrachten“. 

Libertäre stehen in allen Bundesstaaten zur Wahl

All diese kratz am ehemals hervorragenden Ruf der demokratischen Spitzenkandidatin. Rund 51 Prozent aller US-Amerikaner, ergab eine kürzlich veröffentlichte Studie der New Jerseyer Monmouth-Universität, betrachten Hillary Clinton, sollte diese das Rennen um die Demokratenwahl für sich entscheiden können, mittlerweile als ungeeignet für den Posten des US-Präsidenten.

 Deutlich schlechter schneidet nur noch Donald Trump in der gleichen Erhebung mit knappen 60 Prozent negativer Bewertung ab. Jeder zweite US-Bürger definiert sich bereits als „unabhängig“; als einer jener Wähler, die sich weder mit den Republikanern noch mit den Demokraten identifizieren wollen.

Für Gary Johnson sind solche Negativschlagzeilen Gold wert. „Was man daraus liest, ist die Frage: Wo ist die dritte Partei?“, erzählte der aus North Dakota stammende und in New Mexico aufgewachsene frühere Baulöwe mit Bachelor in Politikwissenschaften in der Huffington Post. „Wenn das keine Möglichkeit für einen libertären Kandidaten ist, wird es nie eine Möglichkeit geben.“

Johnson ist dabei nicht der einzige Unabhängige mit Hoffnung auf den Einzug ins Weiße Haus. Denn entgegen der – auch in den USA verbreiteten – landläufigen Meinung, haben die US-Amerikaner bei der Wahl zum Präsidenten im November nicht nur jene zwischen den beiden Nominierten von Demokraten und Republikanern. Landesweit haben sich mittlerweile über 1.644 Bewerber für das Amt des Staatsoberhaupts eintragen lassen. Darunter befinden sich mehrere hundert Einzelkandidaten ebenso wie Vertreter der Grünen, der Sozialisten und Kommunisten, der ultranationalistischen American Freedom Party sowie der zuletzt in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts einflußreichen Prohibitionspartei.

Es steht außer Frage, daß keiner der Genannten diesen Spätherbst ein nennenswertes Ergebnis erzielen wird. Keiner – außer vielleicht Gary Johnson. „Die Libertäre Partei ist die einzige dritte Partei, die in sämtlichen 50 Bundesstaaten auf dem Wahlzettel steht“, erklärt der 63jährige seine Strategie für einen Achtungserfolg im kommenden November. „Und ich bin der festen Überzeugung, daß die Mehrheit der Menschen in diesem Land Libertäre sind.“

Tatsächlich darf Johnson sich vom derzeitigen Umfragehoch seiner Partei bestätigt fühlen. Immerhin elf Prozent der US-Amerikaner konnten sich im März bereits vorstellen, ihr Kreuz bei den Libertären zu setzen. 

Zugute kommt Johnson dabei seine eigene Biographie: Jene vom jungen Mann, der sich sein Studium mit Handwerksdienstleistungen finanzierte, welche er in der Stadt von Tür zu Tür anbot. Der nach seinem Abschluß an der Universität von Albuquerque durch intensives Nachtstudium und auch eine Prise Glück das mit über 1.000 Mitarbeitern größte Bauunternehmen New Mexicos aus dem Boden stampfte. Der nach dem Verkauf seiner Firma in die Politik ging und im November 1994 das traditionell demokratisch regierte New Mexico für die Republikaner erobern und vier Jahre später auch verteidigen konnte.

Johnson verweist gern auf  seine Erfolge als Senator

In seinen zwei Amtszeiten als Senator, so rühmt Johnson sich heute noch, wurde nicht eine einzige Steuer erhöht, grundlegende Abgaben beispielsweise auf Benzin und Einkommen jedoch drastisch gesenkt. Das Haushaltsbudget von New Mexico wurde damals massiv gekürzt, aufgrund der Einsparungen die Arbeitsplätze von über 1.200 Staatsbediensteten ersatzlos gestrichen. Die Bilanz von Johnsons umfangreichen Reformen verzeichnete am Ende eine Halbierung der Arbeitslosenzahlen im Staat sowie erstmalig seit Jahrzehnten einen stabilen Haushaltsüberschuß.

„Wir Libertäre bieten uns als steuerlich konservativ und gesellschaftlich liberal an“, erklärte Johnson seine politischen Grundsätze im Gespräch mit dem Nachrichtensender MSNBC. „Ich bin damit ein klassischer Liberaler.“

Mit purer liberaler Programmatik erhofft Johnson nun, die Stimmen der 50 Prozent als unabhängig geltenden US-Amerikaner ebenso wie jene der mit ihren eigenen Kandidaten unzufriedenen Demokraten und Republikaner zu erringen. Seine Agenda läßt sich dabei gut auf einige Schlagworte reduzieren: weniger Steuern, weniger Staat; die Integration der illegalen Einwanderer in den Arbeitsmarkt; die Dezentralisierung des Schul- und Gesundheitssystems; die Nichteinmischung der USA in Konflikte im Nahen und Mittleren Osten.

Im Oktober 2005 überlebte Johnson, der gern als Extremsportler von sich reden macht, beim Fallschirmsegeln auf Hawaii nur knapp einen Absturz aus großer Höhe. Für mehrere Jahre war der Schwerverletzte anschließend auf eine medizinische Behandlung mit Marihuana angewiesen. Seitdem plädiert er für die Freigabe leichter Drogen. „Gegenüber noch vor vier Jahren unterstützen heutzutage schon 58 Prozent aller Amerikaner die Legalisierung von Marihuana“, weiß Johnson sich auf sicherer Seite.

Unsicher hingegen ist noch seine tatsächliche Nominierung als Kandidat der Libertären Partei. Mit dem multimedialen PR-Berater Austin Petersen sowie dem Softwareentwickler John McAfee, der mit der Erfindung der ersten Antivirensoftware in die Geschichte einging, wetteifern gleich zwei bekannte Kontrahenten mit Johnson um die Stimmen der Delegierten zur Libertären Nationalkonvention 2016. Deren Entscheidung wird zwar erst am 30. Mai bekanntgegeben. Doch Johnson ist optimistisch: In den bisherigen Vorwahlkämpfen, die im Gegensatz zu jenen der Mammutparteien für den Parteitag nicht bindend sind, konnte er bereits mehr Stimmen auf sich vereinen als sämtliche seiner Gegner zusammen.

Foto: Gary Johnson in Wahlkampflaune: „Und ich bin der festen Überzeugung, daß die Mehrheit der Menschen in diesem Land Libertäre sind“