© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

Pankraz,
H. Rosa und der Zorn über Facebook

Die sogenannten „Sozialen Medien“ (Facebook, Twitter und andere) geraten immer mehr in die Generalkritik. Faktisch niemand mehr will für ihren gegenwärtigen Zustand ein gutes Wort einlegen, es geht nur noch um die Alternative „Zensur oder totaler Bierverschiß“. Die Politiker sind fürs erste, die Kulturkritiker fürs zweite.

Typisch war dafür der Auftritt zweier höchst zuständiger Repräsentanten der beiden Richtungen. Vor Monaten schon nahm Angela Merkel in New York den Facebook-Chef Mark Zuckerberg ins Gebet und flehte ihn geradezu an, endlich die „schrecklichen Haßtiraden“ aus seinem Netz zu nehmen. Dieser Tage nun gab der Jenaer Philosoph und Entschleunigungsprediger Hartmut Rosa ein Interview, in dem er die sozialen Netzwerke generell der Unmenschlichkeit bezichtigte und sie für einen „kollektiven Burn-out“ der modernen Gesellschaft verantwortlich machte.

Er wolle, sagte Rosa, die digitale Welt keineswegs grundsätzlich verteufeln. Aber speziell die sozialen Netzwerke verwandelten unsere Kontakte mit der Welt zunehmend in bloße, immer gleiche Fingerbewegungen am Smartphone. „Bei Facebook und Twitter wird über Likes und Kommentare zwar eine Resonanz anderer Menschen erzeugt, sie ist aber nur vorgegaukelt. Das führt dazu, daß der Mensch rastlos wird und nach immer mehr und immer Neuem sucht: Wir haben uns angewöhnt, die Welt nach immer interessanteren Optionen zu scannen. Dahinter steckt die Angst, irgendwo etwas zu verpassen.“


Melancholisch könnte man werden, wenn man solche Äußerungen mit jenen vergleicht, die prominente, ernstzunehmende Kulturkritiker am Anfang von Facebook im Jahre 2004 verbreiteten, mit den gewaltigen Hoffnungen, die sie damit verbanden. Vilém Flusser (1920–1991), der ingeniöse tschechisch-brasilianische Kommunikationstheoretiker, hatte die Gründung regelrecht vorausgesagt und machtvoll eingefordert. Er gilt heute als der große Inspirator des jungen Zuckerberg.

Flusser war der Überzeugung, daß mit den digital-sozialen Netzwerken (der „Teleproximation“, wie er es nannte) ein ganz neues Zeitalter, ein Zeitalter der wahren Liebe und Freundschaft zwischen den Menschen anbrechen werde. „Nur die Teleproximation“, predigte er, „schafft  existentiell wertvolle Nachbarschaften, in Sekundenschnelle über Tausende von Meilen hinweg. Die telematische Distanz ist geistige Nähe pur, unter Ausschaltung der schwitzenden Körper samt ihrer lokalen Hemmschwellen. Man kommt einander nah und hält sich den anderen dennoch vom Leibe.“

Heute, nach gut zehn Jahren Facebook-Praxis, sehen wir: Fast jedes Wort in den Flusserschen Statements führt in die Irre. Formulierungen wie „existentiell wertvoll“ oder „echtes Vertrauen“ im Zusammenhang mit Facebook reizen nur noch zum Lachen. Gerade die von Flusser herbeigesehnte „telematische“, also digitale Vereinzelung, die „Befreiung vom schwitzenden Körper“, sabotiert Vertrauen, Freundschaft und existentiellen Zusammenhalt. Denn Freundschaft braucht Nähe, körperliche wie seelische, sie ist nicht durch bloße elektronische Kommunikation herzustellen.

Sehr aufschlußreich war in diesem Zusammenhang das vor einigen Wochen zu Ende gegangene internationale „Technik-Festival“ in Austin, Texas (USA), das unter dem inoffiziellen Titel „Facebook verschlingt die Welt“ stand und auf dem die aus aller Welt herbeigeeilten Medienmanager und Algorithmen-Betreiber, soweit man den Berichten trauen darf, bewegt darüber Klage führten, daß sich in den sozialen Netzwerken ein wüster Egoismus breitmache, der dem Geist seriösen Informationsaustauschs hohnspreche. Es gehe, formulierte einer, nur noch um Selbsterkenntnis, nicht mehr um Welterkenntnis.


Pankraz muß noch einmal lachen: Selbsterkenntnis via Facebook? Das wäre doch etwa so, als wolle man mit einem Suppenlöffel den Bodensee auslöffeln. Außerdem ist Selbsterkenntnis ohne im gleichen Takt sich abmühende Welterkenntnis gar nicht denkbar. Schon die schlichtesten Einsichten, die ich über mich selbst gewinne, sind nur möglich, indem ich in die Welt hinaushorche und auf „Resonanz“ warte, um mit Hartmut Rosa zu sprechen. Facebook jedoch ist extrem resonanzarm, seine scheinbar so üppigen Resonanzangebote, seine Likes und Kommentare sind, siehe oben, lediglich vorgegaukelt.

„Wüster Egoismus“ ist das richtige Stichwort. Das Gros der Nutzer (oder zumindest eine rapide wachsende Anzahl von ihnen) will nicht informieren, sondern performieren, das heißt Druck ausüben, sich selber hochjubeln und andere fertigmachen. Statt Selbsterkenntnis also Selbstüberhebung, statt Freundschaftsbund à la Flusser politische Gefolgschaft, statt gelassener Diskussion dröhnende Parolenausgabe. Deshalb ja auch die große derzeitige Beliebtheit von Facebook bei den Politikern, nicht zu vergessen ihre Liebe zu Twitter, dessen 140 Zeichen sich ausgezeichnet zur Parolenausgabe eignen.

Die Bitte von Angela Merkel an Mark Zuckerberg, er möge doch in seinem Netzwerk die offene Zensur einführen und „Hetzer“ nicht mehr zulassen, entsprang nicht dem Drang nach Freundschaft und offener Diskussion, sondern war ein politisches, egoistisches Kalkül. Zuckerberg hat zunächst ausweichend und zögerlich darauf reagiert. Fast schien es so, als fühle er sich den Utopien seines geistigen Ziehvaters Vilém Flusser noch irgendwie verpflichtet. Dessen philosophischer Kollege Hartmut Rosa, der soeben bei Suhrkamp ein dickes Buch über „Resonanz“ herausgebracht hat, hegt dergleichen Gefühle aber nicht. 

Digitale soziale Netzwerke, konstatiert Rosa, mögen nützlich sein für dies und das, als Resonanzboden für die Herstellung eines guten Lebens taugen sie indessen nicht. Man sollte sich ihnen nur mit Gummihandschuhen beziehungsweise mit einer Taucherbrille auf der Nase nähern. Und vielleicht noch mit einer Harpune in der Hand, um eventuell sich nähernde Weiße Haie abzuwehren.