© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

Von der Satire zur Staatsaffäre
Anti-Erdogan-Gedicht: Jan Böhmermann hat sich in den Fallstricken seiner politischen Dummheit verheddert / Das ZDF läßt ihn im Regen stehen, der Staatsanwalt ermittelt, die Türkei übt Druck aus
Thorsten Hinz

In der Affäre um den Moderator Jan Böhmermann, dessen „Schmähkritik“ am türkischen Präsidenten Erdogan zum Gegenstand diplomatischer Verwicklungen und staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen geworden ist, zeigt sich das Elend der Medien und generell der öffentlich-rechtlichen  Verhältnisse. Böhmermann ist freilich keiner, der sich vom Elend strahlend abhebt, er gehört dazu.

Als der heute 35jährige vom ZDF für das satirische „Neo Magazin Royale“ engagiert wurde, verband sich damit die Erwartung, daß er die Lücke füllt, die ein müde gewordener Harald Schmidt hinterlassen hatte. Seither bemüht er sich, dem Ausspruch Thomas Manns über den jungen Brecht zu entsprechen: Das Scheusal ist begabt!

Begabung hat Böhmermann ohne Frage. Größere Bekanntheit erzielte er 2015 mit dem Stinkefinger, den der damalige griechische Finanzminister Varoufakis an die Adresse Deutschlands gerichtet und Günther Jauch in seiner ARD-Talkshow präsentiert hatte. Böhmermanns Behauptung, die skandalisierte Filmsequenz höchstpersönlich manipuliert zu haben, beschäftigte mehrere Tage die Medien.

Das war ein geschickter Coup, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und gleichzeitig geeignet, den leerlaufenden Mechanismus der Medien, die sich am Sekundären abarbeiten und falsche Erregungskurven hochfahren, aufzudecken. Die medienkritische Meta-Ebene war politisch allerdings nur eine Semi-Ebene, weil sie vom Kernproblem, der Fatalität der europäischen Gemeinschaftswährung, ablenkte. Indem Böhmermann die Selbstreinigungskräfte der Medien simulierte, erwies er sich als staats- und medienpolitisch besonders wertvoll. Den offiziösen Grimme-Preis, den mit eigener Hand entgegenzunehmen er wegen des aktuellen Skandals gerade für unklug hielt, hatte er damit zweifelsfrei verdient!

Letztlich dienen seine Subversionen der Befestigung der Linie. „Daß Ironie nicht zwangsläufig in Zynismus und Standpunktlosigkeit enden muß, stellt Böhmermann immer wieder unter Beweis“, hob der Stern lobend hervor, verwies auf seinen Einsatz gegen Homophobie und Rassismus und zitierte seinen Ausspruch über Pegida: „Wäre Dummheit ein Festival, wäre Dresden gerade Woodstock.“

Nach den Erfolgen der AfD bei den jüngsten Landtagswahlen präsentierte er im Stil der Comedian Harmonists das Lied „Frühling für Frauke und Beatrix“, eine Adaption des Songs „Springtime for Hitler and Germany“ aus Mel Brooks Filmkomödie „Frühling für Hitler“. Darin geht es um ein verrücktes Musical, dessen Höhepunkt ein Ballett mit blondbezopften Maiden und schneidigen SS-Männern bildet, während sich im Hintergrund ein riesiges Hitler-Bild auf die Bühne herabsenkt. Der Höhepunkt in Böhmermanns Version lautete: „Kommt, wir zünden ein Negerkind an.“

Das ist durch die Meinungs-, Kunst- und Satirefreiheit zweifellos gedeckt, nur in doppelter Weise perfide. Denn zum einen tritt der Satiriker offen auf die Seite des etablierten Parteienkartells und damit der Macht, zweitens verschafft er dem realen Terror, dem Frauke Petry und Beatrix von Storch durch Brandstiftung, Tortenwurf und Verwüstung der Büroräume ausgesetzt gewesen sind, den Anschein der Legitimation und demütigt die Opfer nochmals. Er ist eben doch kein Scheusal vom Formate Brechts, sondern ein medialer Homunkulus aus dem Maas-und-Merkel-Land!

Sein Anti-Erdogan-Gedicht, in dem die Bezeichnung „Ziegenficker“ noch zu den milderen Ausdrücken zählt, bewegt sich auf ähnlichem Niveau, nur statt in der perfiden in der Fäkalvariante. Gewiß, er hat das Gedicht vorab als Satire und Provokation kenntlich gemacht: Ein Schweinchen Schlau, das sich ein Alibi verschafft, um, wie man so sagt, die Sau rauszulassen. Der Vorwurf an den türkischen Präsidenten, sich als Sodomit und Pädophiler zu betätigen, wiegt immerhin leichter als der an Petry und von Storch, potentielle Kindermörderinnen zu sein, die nur auf die passende Gelegenheit warten.

Doch nun erlebt er sein ganz persönliches Byzanz wie weiland beim Türkensturm 1453. Das ZDF entfernte den besagten Beitrag umgehend aus der Mediathek, und die Mainzer Staatsanwaltschaft nahm ein Emittlungsverfahren nach Paragraph 103 Strafgesetzbuch – Beleidigung eines ausländischen Staatschefs – auf. Die Kanzlerin drückte in einem Telefonat mit Ankara ihr Bedauern über seinen Auftritt aus. Die türkische Regierung hat dennoch in einer Verbalnote an das Auswärtige Amt offiziell seine Strafverfolgung verlangt.

Der Grund für die eilfertigen Reaktionen der deutschen Behörden und Institutionen liegt gewiß nicht in der mangelnden Subtilität und verletzenden Absicht des Schmähgedichts. Hätte Böhmermann sich über die klein geratenen Penisse der Neuen Rechten, den fauligen Mundgeruch von Pegida-Demonstranten und auch über die hohe Frequentierung des Moskauer Knabenstrichs durch Wladimir Putin mokiert, es wäre allen recht gewesen und Böhmermann endgültig zum Helden des politischen Humors aufgestiegen. Doch Erdogan ist kein zur Zersetzung freigegebener Alternativpolitiker und steht auch nicht auf der Proskriptionsliste der Globalplaner, sondern er ist einer ihrer Aktivposten und ein machtbewußter Sultan obendrein, dessen starker Arm längst in die deutsche Politik und Gesellschaft hineinwirkt. Es liegt in der Logik der von allen etablierten Kräften der Bundesrepublik forcierten, wenigstens aber geduldeten Zuwanderung aus dem islamischen Kulturkreis, daß sein und der Einfluß anderer externer Kräfte weiter zunehmen wird.

Vor diesem Hintergrund waren Böhmermanns Sottisen gegen Parteien, Bewegungen und Personen, die mit diesen Einflüssen nicht einverstanden sind, hochwillkommen und politisch absolut korrekt. Wie sich jetzt zeigt, war er aber doch nicht wach und klug genug, um die Gemengelage, in der er sich als öffentlich-rechtlicher Hofnarr bewegte, zu durchschauen und zu begreifen. Sein Prinzip der kalkulierten Grenzübertretung hat sich deshalb gegen ihn gewendet und ihn ins Fadenkreuz jener Verhältnisse gestellt, in denen er so engagiert gewirkt hat. 

Die deutschen Behörden sind in seiner Angelegenheit Getriebene und die Geiseln von Merkels Politik der offenen Grenzen. Für genau diese Politik, die Deutschland erpreßbar durch die Türkei machte, hatte Böhmermann sich ins Zeug gelegt, als er ihre Gegner diffamierte. Das Abkommen mit Erdogan, auf das seine schlechte Satire abzielte, ist die notwendige Modifizierung, um sie weiter praktizieren zu können. Böhmermann hat sich also in den Fallstricken seiner politischen Dummheit verheddert. Auch in den Diskussionen um die Grenzen der Satire, um Freiheitsrechte, Strafbarkeit, verletzte Gefühle, Beleidigung und Volksverhetzung werden in Wahrheit politische Machtfragen verhandelt. Das ist der Kern des Problems, von dem Böhmermanns Fäkalsprache nur ablenkt. 

Mit der via Facebook verbreiteten Erklärung: „Ich fühle mich erschüttert in allem, an das ich je geglaubt habe“, erklärt er sich rückwirkend selber zum politischen Idioten, der eben auch nur mitgelaufen ist, und demontiert seine Rolle als Satiriker, die persönliche Souveränität und Durchblick voraussetzt. Mit der unterwürfigen Mitteilung an Kanzleramtsminister Peter Altmaier, er bitte um „Berücksichtigung (seines) künstlerischen Ansatzes und (seiner) Position, auch wenn er (!) streitbar ist“, hat er sich als scheusaliges Scharfmaul fürs erste gänzlich aus dem Rennen genommen.

Peinlich, geradezu infantil wirkt da der offene Brief, in dem Springer-Vorstand Mathias Döpfner sich mit Böhmermann nicht nur als Person solidarisiert, sondern sich auch allen „Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließt und (sich) in jeder juristischen Form zu eigen macht“. Haben nicht gerade die Springer-Organe die Entschlüsse, mit denen Merkel das Land in die Bredouille gebracht hat, am vehementesten propagiert? Mag sein, daß Döpfner die Nähe zur Kanzlerin inzwischen als geschäftsschädigend erkannt und nach einer Gelegenheit gesucht hat, um mit Aplomb auf Distanz zu gehen.

Vielleicht löst die Erfahrung der sozialen Ächtung, über die Böhmermann sich amüsieren konnte, solange sie andere betraf, einen intellektuellen und moralischen Reifeprozeß bei ihm aus, der ihn in die Lage versetzt, künftig seine Begabungen analytisch anspruchsvoller und damit treffgenauer zu verwenden.

Erschütternd und entlarvend, wenn auch erwartbar, ist die Illoyalität der Instanzen, die sich sofort in der häufigsten staatsbürgerlichen Tugend der Bundesrepublik – der Distanzierung – übten und Böhmermann im Platzregen stehen ließen. Das ZDF hätte sich umgehend, öffentlich und ohne Wenn und Aber zu seiner Obhutspflicht für den bedrohten Mitarbeiter bekennen und ihm jedwede Unterstützung zusichern müssen. Die Verantwortlichen haben es nicht nur an Anstand und Courage fehlen lassen, sie haben auch die so heftig bestrittene Funktion des öffentlich-rechtlichen als Regierungsfernsehen bestätigt. 

Ach ja, die Regierung! Der fixe Kotau der Kanzlerin vor dem Potentaten vom Bosporus hat ohnehin niemand verwundert. Welcher Satiriker wagt es, den Skandal zum Anlaß zu nehmen, um dieser Kanzlerschaft endlich einmal auf den Grund zu gehen?





Strafbare Beleidigung

Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt (…) beleidigt, kann nach Paragraph 103 Strafgesetzbuch (StGB) mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden. Voraussetzung der Strafverfolgung ist laut Paragraph 104a StGB, daß die Bundesregierung dazu ihre Ermächtigung erteilt.