© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

Himmlischer Wohlklang, neue Schminke
Stolz auf die Vergangenheit: Der Dresdner Kreuzchor feiert achthundert Jahre seines Bestehens
Sebastian Hennig

Der Dresdner Kreuzchor feiert sein 800jähriges Bestehen. Die Ausbildung von Chorknaben ist in Dresden zum ersten Mal 1371 beurkundet. Historisch genau genommen gibt es den Kreuzchor seit 645 Jahren. Von der Arithmetik unbeeindruckt und mit auffällig verändertem Logo (siehe Infokasten) und Werbekonzept begeht er dennoch sein 800jähriges Bestehen.

Die letzte Jahrhundertfeier des Dresdner Kreuzchors liegt gerade einmal siebzig Jahre zurück. Nach Kriegsende war jeder Anlaß zur Freude willkommen. So kam es zur letzten von insgesamt fünf 700-Jahr-Feiern, die allein zwischen 1916 und 1947 begangen wurden. Als mit der gleichen Freude am Aufbruch nach der Wiedervereinigung das 775. Jubiläum des Chors gefeiert wurde, hoffte der Landeshistoriker Karlheinz Blaschke, daß damit zum letzten Mal eine unbelegte Zählung zugrunde gelegt wird. Doch ungerührt davon wird dieses Jahr der dreifache Jahrestag von Chor, Gymnasium und Kirche begangen.

Als Nikolaikirche wird die heutige Kreuzkirche schriftlich noch vor der Stadt Dresden selbst erwähnt. Die Benennung nach der Kreuz-Reliquie setzt sich erst hundert Jahre später durch. Das Symbol des Chores spielte bisher unaufdringlich und intelligent auf das Kreuz an. Inzwischen trat ein beziehungsloses Schriftbild an seine Stelle. Einerseits wurde der Dresdner Kreuzchor 2014 zusammen mit den Leipziger Thomanern von der Unesco zum immateriellen Kulturerbe nominiert, andererseits sind neuerdings seine Plakate und Programmhefte von grün-bunten Farbtonverläufen überzogen, die aussehen, als hätte ein Fotolaborant die Temperatur der Entwicklungsbäder nicht konstant zu halten vermocht. Ein jahrhundertealter Chor wird wie eine Boygroup der Popmusik in einer hippen Vintage-Optik dargestellt. Unter der Bezeichnung „Look & Feel“ präsentiert die Internetseite einen Imagefilm. Darin verbinden sich Aufnahmen vom singenden Chor in der leeren Kirche mit der Fertigung von Glashütter Uhren und Meißner Porzellan sowie dem „Phaeton“, dessen Produktion ironischerweise kürzlich eingestellt wurde.

Bedeutende Sänger und Dirigenten

Eine Doku-Soap des Mitteldeutschen Rundfunks begleitete sechs der Jünglinge unter dem Titel „Engel, Bengel & Musik“ durch ihren Alltag im Internat, zu Proben, Konzerten und Freizeit. Es grenzt an ästhetische Pädophilie, wenn statt des himmlischen Wohlklangs der klaren Stimmen die Jungs selber ins Zentrum der Wahrnehmung gerückt werden. Für die Sänger ist im zwölften Lebensjahr, wenn sich der Knabe stimmlich zum Mann entwickelt, bereits Schluß. Bis dahin gibt es neben der liturgischen Gestaltung der Gottesdienste an der Kreuzkirche viele weitere Auftrittsmöglichkeiten, auf Gastspielreisen, zu den Serenaden im Schloßpark Pillnitz und die Mitwirkung an großen chorsinfonischen Konzerten mit Philharmonie und Staatskapelle. Auch Knabenpartien in Aufführungen der Semperoper werden gelegentlich durch Kruzianer bestritten. In dieser Spielzeit zum Beispiel stellen sie das Knabenterzett in Mozarts „Zauberflöte“.

Vor drei Jahren spielten einige Medien die Tatsache hoch, daß der Kreuzchor in China nicht das Lied „Die Gedanken sind frei“ vorgetragen hat. Dabei stand der Chor unter schwierigsten Umständen dem Zeitgeist stets reserviert gegenüber. Rudolf Mauersberger war der 25. Kreuzkantor seit der Reformation. Er hat mit künstlerischer Strenge und erzieherischer Verantwortung seit 1930 den Chor geprägt. In die Partei ist er 1933 eingetreten. Die Kruzianer gehörten zur Hitlerjugend. Doch kein nationalsozialistischer Gesang kam ihnen über die Lippen. Ein einziges Mal sind sie vor dem Hauptbahnhof in Pimpfen-Uniform aufgetreten, als sie sich zu einer Konzertreise verabschiedeten. Mauersberger rettet den Chor über Krieg und Zerstörung hinweg. Seine Motette nach des Jeremias Klageworten „Wie liegt die Stadt so wüst“ erlebte am 4. August 1945 in der Ruine der Kreuzkirche ihre Uraufführung. Bis zu seinem Tod 1971 hat er seinen Chor geleitet und vor Eingriffen staatlicher Stellen geschützt, die mit materieller Förderung politischen Einfluß erpressen wollten. Er setzte durch, daß die Kruzianer weiter in der evangelischen Christenlehre unterrichtet wurden, „damit sie wissen, was sie singen“.

Was Johann Sebastian Bach für die Thomaner bedeutet, das ist die Musik von Heinrich Schütz für die Dresdner. Der Nestor der Schütz-Forschung Wolfram Steude war ebenso Kruzianer wie der Kunsthistoriker und Sächsische Landeskonservator Heinrich Magirius. Aber vor allem bedeutende Sänger sind aus dem Chor hervorgegangen, wie Theo Adam, René Pape und Peter Schreier sowie Dirigenten wie Karl Richter, Hans-Christoph Rademann und Hartmut Haenchen.

Letzterer hat sich unlängst in der Sächsischen Zeitung in einen Schlagabtausch zur umstrittenen neuen Schminke auf dem geliebten Gesicht gemischt. Er stellte richtig, daß der Chor schon seit 1935 internationale Gastspiele unternimmt und ein breites Publikum anspricht. „Von einer neuen Öffnung zu sprechen entbehrt also jeder Grundlage. Was der Kreuzchor allerdings bisher nicht gemacht hatte, war, als Backgroundchor für eine Varietésängerin zu dienen, die im Stadion von einer mittelmäßigen Band begleitet wurde. Das ist die Neuerung.“

Hoffnung auf einen neuen Kantor

In ihren schwarzen Anzügen mit den großen weißen Kragen sangen die Kruzianer zum Adventskonzert im Dresdner Dynamostadion mit einer Soulsängerin „Joy to the World“ und „Little Drummer Boy“. Ähnlich würdelos waren die Umstände des Festaktes zum Jubiläum, der am 4. März als geschlossene Veranstaltung in der Semperoper stattfand. Der Chor durfte lediglich mit kurzen Ausschnitten die Reden der Politiker einrahmen. Die Festwoche zum gedachten Jubiläum endet am 23. April in Anwesenheit des Bundespräsidenten mit Beethovens Missa Solemnis.

Der seit 1997 amtierende Kantor Roderich Kreile hat bislang keine Epoche gemacht. Allenfalls ist er ein braver Mann. Wenn sich die Ausprägung des traditionsreichen Chores weiter verflachen sollte, bleibt nur die Hoffnung auf seinen Nachfolger. Eine mehrhundertjährige Geschichte kann einige weniger glanzvolle Jahrzehnte verkraften. Es ginge freilich auch anders. Kreiles kommissarischer Vorgänger war von 1994 bis 1996 der ehemalige Kruzianer Matthias Jung. Der ist gegenwärtig einer der vier Kandidaten für die Nachfolge des zurückgetretenen Leipziger Thomaskantors.

Kontakt: Dresdner Kreuzchor, Dornblüthstraße 4, 01277 Dresden, Telefon: 03 51 / 31 53 56-0

 http://kreuzchor.com





Kreuzchor: Kritik an neuem Logo

In dem neuen Logo des Dresdner Kreuzchors kommt das Kreuz nicht mehr als Bild vor. Das hat eine Diskussion darüber entfacht, ob sich der Chor von seinen christlichen Wurzeln entfernt. Heftige Kritik an der Entscheidung übt der frühere Pfarrer der Leipziger Thomaskirche – an ihr ist der berühmte Thomanerchor zu Hause –, Christian Wolff. Der Kreuzchor nehme das Jubiläum offenkundig zum Anlaß, sich „von seiner gemeinsamen Geschichte mit Kreuzschule und Kreuzkirche und damit von seiner jahrhundertealten Trias aus Glauben, Musik und Bildung zu verabschieden“, schrieb Wolff bereits im März in seinem Internetblog. Der Pressesprecher des Kreuzchores, Christian Schmidt, wies die Kritik auf Anfrage der Evangelischen Nachrichtenagentur idea zurück. Von einer „Abkehr von christlichen Werten“ könne keine Rede sein. Man habe lediglich das Erscheinungsbild des Chores erneuert: „Die Wortmarke Kreuzchor ist erhalten geblieben, lediglich die Bildmarke ist verschwunden.“ (idea/JF)